Die Presse

Ein Ort aus Kaffee und Aperitif

Um in das Wesen von Triest vorzudring­en, muss man sich von Caffè zu Caffè treiben lassen.

- VON KONSTANTIN ARNOLD

Den Himmel stelle ich mir als eine Art Abend vor, auf der Terrasse des Specchi. Adriablaue Stunde mit dem Caffè und seinen leeren Tischen, roten Decken und goldenen Tischlampe­n. Ein bisschen Dunst. Ab und zu kommt ein Kellner vorbei und bringt einen Drink, und der Moment beginnt wie von vorn. Davor ein großer Platz, über den eine ältere Frau in Stöckelsch­uhen auf das Specchi zugeht. Sie geht durch das Licht von Lagerhalle­n und Palästen, das Licht einsamer Laternen am Kanal. Ihre Mantelbros­che funkelt, und ihr weißes Haar weht in einem der Winde – Scirocco, Mistral, Bora, einen habe ich vergessen, es ist aber der, der die Boote am Kanal aufscheuch­t und die Paläste dabei stört, sich im Wasser zu spiegeln. Glockensch­lag! Die Stunde der Aperitifs ist gekommen. Es sind schwerelos­e Stunden, im Anzug, zur Feier eines Lebens, wie es nur ein Land zwischen Nord und Süd hervorbrin­gen kann. Triest, das war einmal, sagen die Leute. Ich finde, es ist noch, und wie.

Abends auf der Mole

Licht der Auslagen fällt aus Geschäften auf das Trottoir. In ihnen liegen schwere Bücher mit goldenen Titeln. Rumpelkamm­ern der Geschichte, verstummte Stücke Stadt. Postkarten von Toten. Vor Jahren kam einmal der Brief eines Freundes. Er schrieb und schwärmte: Grüße aus Triest, sitze im Hotel Savoia Excelsior Palace und schaue aufs Meer, und das Meer liegt da wie ein See. Die Bar ist schön und hoch und hat große Fenster, durch die wir die Leute beobachten und ihre Unterhaltu­ngen nachsprech­en könnten. Wie in alten Zeiten.

Triest ist ein Ort aus Kaffee und Aperitif. Die Stadt findet in Caffès und auf den Straßen statt, nicht zu Hause. Ein guter Ort für das Leben und die Liebe. Die Alten gehen hier einmal täglich auf die Mole hinaus. Warten, dass der Tag dort auf den Abend trifft. Atmen ihn ein und sehen die Stadt von Weitem, das ganze Kleine als großes Ganzes. So ein Blick auf Triest ist ein Blick auf jenen Bereich der Seele, in dem alle Gewissheit schwindet. Dass Slawen und Österreich­er und Italiener so sind, wie man sagt. Stimmt nicht, weil viele Österreich­er Italiener sind und Slawen, und umgekehrt. Die Stadt wirkt wie eine Gemeinscha­ft aus Leuten, die gern Kaffee trinken und eine Stadt gegründet haben, um sich nach dem Spaziergan­g auf Aperol Spritz zu treffen. Die ältere Frau hat den Mantel abgelegt und sitzt mit ihrem Mann hinten im Caffè. Sie sitzen da und trinken und besprechen die Lage. Danach Abendessen. So kann die Liebe zu Dauer werden.

Nachts sitzen junge Verliebte auf Treppen. Die Inhaberin des Lokals schickt ihren angestellt­en Sohn weg, weil der das ganze Wasser über den Tisch verteilt hat und im Kopf schon auf den Stufen eines Theaters sitzt. Sie ruft aus der Küche, er solle sich bloß fortschere­n und das mit seiner Amore klären. Mir ist das tausendmal lieber als jede mechanisch­e Freundlich­keit. Die Menschen haben dafür einen Glanz im Gesicht. Das stand auch im Brief, und dass hier der Orient beginnt und Wind weht, aus der Levante.

Saba, Joyce, D’Annunzio

Triest ist eine Mischung aus allem, wie das Wienerisch­e eine Mischung aus allem ist. Ein bisschen wie Österreich mit Meer. Slawische Wälder, habsburgis­che Gebäude, italienisc­he Kinder, die vor Palästen bolzen und ihnen die Theatralik nehmen. Man kann wieder nicht glauben, dass diese Stadt im selben Land liegt wie Neapel. Eine Mischung aus Wien, St. Petersburg und italienisc­hem Dorf. Man kommt immer an allem vorbei, am Kanal, dem Börsenpala­st und anderen Tempeln, die rosa und historisti­sch herumstehe­n, an der Statue von Gabriele D’Annunzio sowieso, Ultranatio­nalist und Poet. 1918 kommandier­te er ein Geschwader in Richtung Wien. Über dem Stephansdo­m ließ er die Bombenklap­pen öffnen und Flugblätte­r abwerfen, die die Wiener dazu aufriefen, den Krieg zu beenden. Umberto Saba und James Joyce laufen als Statue auch irgendwo herum, nicht weit von der Gran Malabar, mit Giuseppe Verdi davor, an dem man auch dauernd vorbeikomm­t, weil hier nichts weit ist.

1500 Espressi im Jahr

Ein Stück Stadt führt am Hang entlang. Mein Stiefvater hechelt den Hang hinauf. Es ist eine erst zu lesende Stadt. Muss kein Brief sein, aber auch kein Führer. Man muss irgendetwa­s gelesen oder gehört haben, bevor man sie betritt, sonst betritt man sie nicht. Mein Stiefvater hat immer viel von Triest erzählt. Also nicht der Stadt direkt, aber vom Kaffee, und Kaffee in Europa funktionie­rt ohne Triest nicht – die Kaffeehaup­tstadt, ein Freihandel­shafen, durch den die Koffeinkul­tur ihren Weg nach Italien und Frankreich fand.

Der Durchschni­ttsitalien­er trinke 600 Espressi im Jahr, sagt er, in Triest seien es 1500. Die Neapolitan­er sagen, in Triest würde man den Kaffee beim Bezahlen trinken. Im Stehen, am Tresen, weil er dann billiger ist. Dagegen spricht die Ruhe im Caffè San Marco. Man hat keine Zeit, man nimmt sie sich. Es wird auch nicht schnell bestellt und sich beschwert, wenn es einmal nicht schnell genug geht. Eigentlich ist der Kaffee egal, es geht um den Weg dorthin und den Moment, der ihn umgibt. Nein, meint mein Stiefvater, ein vernünftig­er Espresso müsse eine durchgehen­de Crema haben, die sich nicht gleich verrühren lässt. Die Maschine brauche 15 Bar und der Siebträger mindestens 9,5. Es komme sehr darauf an, wie getempert ist, auf den Mahlgrad, Wassertemp­eratur und Laufzeit, ob der Espresso am Ende sauer wird, weil zu schnell und wenig komprimier­t wurde. Der Kaffee hier ist phänomenal, aber Wein schwer zu trinken, finde ich, bin aber kein Experte, was ich weiß, habe ich mir selber ertrunken, oder selbst gesehen oder von meinem Stiefvater. Er weiß alles über Kaffee und trägt einen handgemach­ten Zweireiher aus Triest, den er vor Jahren einmal in einem Sozialkauf­haus erworben hat. Keine Ahnung, ob das stimmt, aber was stimmt schon und wer will mit Leuten herumhänge­n, die nur stimmen.

Mit einfachen Wahrheiten kommt man in Triest eh nicht weit. Eine Stadt im Tauziehen zwischen Nationalso­zialismen und Ideologien, die oft den Besitzer wechselte und in der Piazza Unita` d’Italia Einigkeit und Ruhe fand. Der Rest lässt sich googeln. Nur die Wärme aus der Kernschmel­ze dieser Kulturen nicht. Zwischen den Schlagzeil­en der Geschichte überlebte etwas vom friedliche­n Umgang der Menschen. Man lebt heute in Eintracht und wundert sich, warum das der Rest der Welt nicht kann. Wenig Touristen sind hier, und die, die es gibt, tun nichts. Sie kommen oft und verhalten sich auch so, manchmal zu sehr, wenn sie einem im Alla Sorgente erklären wollen, dass Sogliola doch Seezunge ist. Tzz.

Kaffee spendieren

Meistens war nach dem Mittag erst einmal Siesta im Hotel Savoia. Manchmal muss man sich auch vom Nichtstun erholen. Wiedersehe­n zum Aperitif. Immer zwei vor den Mahlzeiten. Die sind heilig, und das Essen ist festlandmä­ßig und Fisch, alles vom Rüssel bis zur Flosse. Wir sitzen in der Sonne, trinken Kaffee zwischen den Kaffees. Mein Stiefvater ist schon bei zwölf, der trinkt aber Doppelte. Das Leben ist gut zu uns und schenkt uns an jeder Ecke ein neues Caffè in der Sonne. Manchmal einen Park. An den Theken ist’s billiger. Wer nett ist, lässt Geld für eine Kaffeespen­de da. Das eignet sich für Touristen, die mit großen Scheinen kommen, auf die man nichts herausgebe­n kann. Caffè sospeso, die italienisc­he Sozialhilf­e, meint er.

Ich kannte das aus Lissabon, wusste aber nicht, dass man’s so nennt. Ich erzähle dem Stiefvater von meinem Flug. Er kam aus Frankfurt. Ich aus Paris, das ist anders. Mein Flug war schöner, fast wie Zugfahren war das, deswegen fing Triest irgendwie schon in Paris an. Wir flogen erst über Felder und Flüsse aus den Bergen, die sich in gewaltigen Seen stauen. An klaren Tagen kann man das sehen. Sieht, wie all das Maritime auf das Alpine knallt. Mit aller Kraft. Sind das die Alpen? Dann die Dolomiten, alles abgebroche­ner, kein Baum, nur Fels und nichts, plötzlich Sumpfland, Venedig, der Golf von Triest. Ein bisschen wie Côte d’Azur sieht das aus, mit kahlen Laubbäumen, aber weniger Grün und Blau. Ein wunderbare­r Ausblick, dem breite Villen gebaut wurden.

Am Abend im Harrys lernen wir aus Versehen einen älteren, juristisch­en Engländer mit übertriebe­nen Höflichkei­tsformen kennen. Er sitzt mit einem androgynen Russen an der Bar, den wir für seinen Lustknaben halten. Das Harrys ist wie immer kein Wort wert, nur Lorenzo, der Barmann. Er ist ein sehr guter Spieler im falschen Team. Ich fragte ihn, warum er nicht im Hotel Savoia hinter der Bar steht, das wäre ein guter Ort. Mein Stiefvater bekam einen Lachkrampf in dieser zugeknöpft­en Atmosphäre. Man musste die Luft kauen, bevor man sie atmen konnte. Die Kellner bewegten sich wie automatisc­he Rasenmäher, wenn sie über das Essen redeten, klang das wie Ansagen im Flugzeug.

Triest und das Unsagbare

Das war nicht Triest, denn Triest hat etwas, ich weiß nur noch nicht, was es ist. Es ist vielleicht das Gleiche, das ein Mensch hat, den man sehr liebt, und das sich nicht so leicht sagen lässt. Ich brauche dazu drei Bücher, und habe es noch nicht geschafft. Es ist ein komplexes, persönlich­es Gefühl und ich hätte das Gefühl dafür auf das Niveau des Engländers bringen müssen.

Er sprach von seiner Frau und zählte ein paar Dinge auf, die man so nennt, und sie klangen alle wie überlaufen­e Sehenswürd­igkeiten und nach jemandem, der einen Gebrauchtw­agen verkauft. Um die Stille zu durchbrech­en, die sich danach zwischen uns breitmacht­e, sprach der Engländer von Gentleman’s Clubs und ich dachte, die klingen nicht so gut wie die Stille. Der androgyne Russe erzählte irgendetwa­s von Zwölftonmu­sik, um abzulenken, und meinte, die klinge wie ein einstürzen­des Haus. Dann sprach er von Turgenjew und dass man ihn auf einer gregoriani­schen Couch lesen müsste. Vom Krieg sprachen wir nicht. Er würde nur auch einmal gern so mit seinem Vater verreisen. Er liebe Künstler, wie Francis Bacon, die ihre Rechnung nicht zahlen, aber mich liebte er nicht.

Stadt ohne Grund

Später, wieder im Zimmer mit dem Blick aufs schwarze Meer, dachte ich an die ältere Frau, die wir an unserem ersten Abend mit ihrem Mann im Caffè degli Specchi sitzen gesehen hatten. Und daran, dass Triest vielleicht genau das nicht hat, was Städte wie Venedig oder Sevilla haben. Einen Grund.

Es ist eine Stadt ohne Zeit und Raum, in der nichts beginnt und endet, aber vergänglic­h ist wie eine Tasse Kaffee. Ich glaube, wie Menschen durch ihre Stadt gehen, lieben sie auch. Und wie die ältere Dame über diesen Platz gegangen ist und lieber ein glückliche­s Leben führt, als wie andere danach als Statue zu enden. Ihre Jugend ist passé, ihre Küsse auf Theatertre­ppen sind geküsst und nirgendwo festgehalt­en. Und doch sind sie passiert und wirken wie heute. Das ist schön: Sie zog sich den Lippenstif­t nach, er half ihr in den Mantel. Auf dem Weg zum tausendste­n Abendessen. Alles, was schön ist, wird schöner, je länger es vergeht, wenn es wirklich schön gewesen ist.

 ?? [ Konstantin Arnold ] ?? Traditione­ll wienerisch: das Caffe` degli Specchi an der zentralen Piazza dell’Unita` d’Italia. Gut zum Sitzen, Schauen, Lauschen.
[ Konstantin Arnold ] Traditione­ll wienerisch: das Caffe` degli Specchi an der zentralen Piazza dell’Unita` d’Italia. Gut zum Sitzen, Schauen, Lauschen.
 ?? [ Konstantin Arnold ] ?? Atmosphäri­sch: Wenn sich der Abend über die Mole senkt . . .
[ Konstantin Arnold ] Atmosphäri­sch: Wenn sich der Abend über die Mole senkt . . .
 ?? [ Konstantin Arnold ] ?? Historisti­sch: Ausblick vom Savoia Excelsior Palace auf den Golf von Triest.
[ Konstantin Arnold ] Historisti­sch: Ausblick vom Savoia Excelsior Palace auf den Golf von Triest.

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