Gewartet hat auf uns niemand
Gerald Wunderer und sein Lebensgefährte, Matthias Lobner, betreiben das Weingut Doktor Wunderer in Straning im Weinviertel. Wunderer ist dort auch Gemeindearzt. Über zwei Quereinsteiger und einen Business Angel im Hintergrund.
VON GERHARD HOFER
Die Presse:
Sie sind Landarzt und Winzer. Wie kommt so eine Kombination zustande?
Gerald Wunderer: Eigentlich ist mein Vater schuld. Er war Unternehmer und hat sein Unternehmen verkauft. Danach war er etwas zu wenig ausgelastet und hat begonnen, der Familie auf den Wecker zu gehen. Also haben wir uns gedacht, wir brauchen eine neue Beschäftigung für ihn. Wein und gutes Essen war in unserer Familie schon immer ein großes Thema. Also ein Weingut für unseren Vater. Diese Idee gab es schon lang, und dann hat sich das in Straning zufällig ergeben.
ÜBER GELD SPRICHT MAN
DiePresse.com/meingeld
Aber das Weingut betreiben jetzt Sie gemeinsam mit Ihrem Lebensgefährten. Alles lief also nicht nach Plan.
Wunderer: Als ein Weingut zum Verkauf stand, bin ich an meinen Vater herangetreten und habe ihm erklärt, dass dies eine tolle Gelegenheit ist. Mein Vater hat die Idee super gefunden. Hat aber gleich gesagt, dass er nur das Kapital zur Verfügung stellt.
Aus der Beschäftigungstherapie ist also nichts geworden.
Wunderer: Jetzt haben wir also das Weingut übernommen, und mein Vater agiert quasi als BusinessAngel.
Matthias Lobner: Und da ich ja aus der Gastronomie komme, ist mir Wein nicht fremd. Ich habe schon mit 15 Jahren die Koch- und Kellner-Le hre gemacht, habe auf Kreuzfahrtschiffen gearbeitet. Richtig Hardcore-Gastronomie.
Hardcore-Gastronomie?
Lobner: Fünf Monate durcharbeiten ohne einen freien Tag. Kreuzfahrtschiff eben.
Und jetzt also Hardcore-Winzer? Lobner: Ja, wir merken jetzt schon, dass wir unsere Weine erst verkaufen müssen. Gewartet hat auf uns niemand. Man muss gute Qualität abliefern, muss sich gut vermarkten und präsent sein. Wunderer: Uns war von Anfang an klar, dass wir nur mit hoher Qualität punkten können, aber diese dafür zu einem fairen Preis. Lobner: Ich habe ja in der Weinbauschule Krems einen Lehrgang gemacht, dort nicht nur den Traktorführerschein gemacht, sondern auch viel über Vertrieb und Management gehört. Uns wurde von vornherein eingetrichtert, dass die ersten Jahre schwierige und verlustreich sind. Da wurde mir klar: Das ist ein hartes Geschäft. Wunderer: Das Know-how im Weingarten und im Keller mussten wir uns natürlich besorgen. Also haben wir vor vier Jahren ein Inserat aufgegeben: Kellermeister gesucht. Durch Zufall hat sich Bernd Karnaus gemeldet. Ich hab ihn am Parkplatz gesehen, und noch bevor wir ein Wort miteinander gesprochen haben, wusste ich: Der ist es.
Kernaus hat auf der Boku studiert und bereits bei zahlreichen Winzern im In- und Ausland gearbeitet. Zuletzt war er bei F. X. Pichler.
Der kommt – sorry – von der Wachau nach Straning? Wunderer: Anfangs hat er eh abgelehnt. Wir dachten nämlich, dass wir einen tollen Keller und tolle Weingärten haben.
Lobner: Er fand das nicht so toll. Wir haben aus dem Keller jedes Fass, jeden Tank, die gesamte Technik rausgeschmissen und neu eingerichtet.
Wieder eine Großinvestition?
Wunderer: Ja, da hatten wir den Point of no return bereits erreicht. Jetzt schaut es im Weinkeller aus wie in einer Kü che. Im Weingarten haben wir auf schonenden Rebschnitt und auf Bio umgestellt. Alles Handarbeit, wenig Maschinen.
Lobner: Der anspruchsvolle Kunde will sauber verarbeitete Weine, die dennoch Ecken und Kanten haben. Es geht um den Wiedererkennungswert. Deshalb arbeiten wir mittlerweile mit Spontanvergärung, um diese unverwechselbare Note zu erzielen. Wir füllen die Weine auch erst im April ab.
Das klingt toll, aber ein acht Hektar großes Weingut ist ja kein Hobby, es soll doch auch irgendwann abwerfen, oder?
Wunderer: Dennoch ist unser großer Vorteil, dass wir nicht vom Weingut leben müssen. Ich hab ja einen Beruf als Arzt. Wir wissen, dass uns das Weingut eine Zeit lang etwas kosten wird. Das ist einkalkuliert. Aber ab einem gewissen Zeitpunkt muss der Betrieb einen Gewinn abwerfen. Der muss auch nicht großartig hoch sein.
Sie sind auch Gemeindearzt in Straning.
Wunderer: Seit sechs Jahren. Vorher arbeitete ich im Krankenhaus Hollabrunn als Psychiater. Dann ist meine Vorgängerin hier in Pension gegangen, und ich habe diese kleine Ordination übernommen. Es gab wenige Patienten, die Praxis war alles andere als lukrativ.
Heute schaut Ihre Praxis aber ziemlich modern aus, und sie ist verhältnismäßig groß.
Wunderer: Mit Unterstützung der Gemeinde haben wir ein altes Haus, das beinahe abgerissen worden wäre, quasi recycelt und eine moderne, zeitgemäße Ordination hineingepackt. Wenn man sich wirklich engagiert, spüren das die Leute. Heute schaffe ich die Ordination allein fast nicht mehr. Nicht aufgrund des Weinguts.
Die Ordination hat viel mehr Patienten als früher?
Um ein Vielfaches mehr. Mittlerweile bin ich so weit, dass ich einen Arzt anstellen werde. Vor allem, damit ich wieder mehr Zeit für meine Patienten habe.
Wie bringt man in so kurzer Zeit eine Arztpraxis so in Schuss? Wunderer: Von allein geht das nicht. Da muss man als Arzt auch Unternehmer sein.
Ist ein Arzt ein Unternehmer?
Wunderer: Ärzte sind an sich selten Unternehmer, das merke ich immer wieder. Leider denken viele meiner Kollegen nicht wirtschaftlich. Mit war wichti g, eine zeitgemäße Ordination auf den technisch neuesten Stand zu führen. Meine Ordination ist mittlerweile eine kleine Vorzeige-Ordination,
ZU DEN PERSONEN
Gerald Wunderer (im Bild rechts) lebt mit seinem Lebensgefährten, Matthias Lobner, in Eggenburg in Niederösterreich. Im Nachbarort Straning betreibt Wunderer eine Arztpraxis und das Weingut Doktor Wunderer.
Matthias Lobner arbeitete lang in der Gastronomie. Um als Neowinzer gerüstet zu sein, besuchte er die Weinbauschule und machte den Traktorführerschein. die sich andere Kollegen als Vorbild nehmen. Man kann als Arzt wirtschaftlich agieren, ohne dass die Patienten dadurch einen Nachteil erleiden. Ganz im Gegenteil, sie profitieren sogar davon.
Gerät man als Arzt und Weinbauer nicht auch in einen gewissen Interessenskonflikt?
Wunderer: Vor allem erdet mich das Winzer-Sein und bringt mich den Menschen näher. Gleichzeitig trenne ich die beiden Sachen natürlich.
Kein Achterl auf Rezept?
Wunderer: Den kritischen Zugang zum Alkohol verliere ich dennoch nicht. Wein ist ein Genussmittel bis zu einem gewissen Maß. Ich kommuniziere das klar. Auf unserer Homepage erkläre ich etwa, wie sich Wein auf Diabetes auswirkt. Lobner: Gerald gibt Gesundheitstipps, und ich stelle Kochrezepte vor. Einmal im Monat gibt es ein Rezept, das natürlich zu unseren Weinen passt. Zu Weihnachten wird es auch ein Weihnachtsmenü geben. Es sind keine komplizierten Rezepte.
Klingt da durch, dass bald ein Restaurant entstehen könnte?
Wunderer: Das wäre cool, aber das ist momentan Zukunftsmusik. Wir planen al lerdings, den Weinkeller neu zu bauen, und da wird es auch einen Bereich geben, wo man Gäste empfangen kann. Lobner: Natürlich gibt es Visionen, Wünsche und Ziele. Im Weingeschäft muss man ja viele Jahre vorplanen. Man muss Trends erkennen, die Klimaerwärmung berücksichtigen und vieles mehr.
Straning ist zum Glück eine etwas kühlere Gegend. Aber andererseits nicht gerade der Mittelpunkt der Weinwelt.
Wir merken, dass engagierte Gastronomen und Sommelier saufder Suche nach jungen, motivierten Winzern sind.
Matthias Lobner, Winzer
Ärzte sind an sich selten Unternehmer, das merke ich immer wieder. Leider denken viele Kollegen nicht wirtschaftlich.
Wunderer: Das war Straning aber einmal. Die Region war für Grünen Veltliner bekannt.
Lobner: Viele Grinzinger Heurigen hatten hier ihre Weingärten. Leider hören mittlerweile viele Winzer hier auf.
Stellen wir die gewagte These auf, dass Straning nicht allen ein Begriff ist. Wie wollen Sie als Neowinzer da reüssieren?
Gerald Wunderer, Arzt und Winzer
Wunderer: Man muss immer authentisch sein. Es ist wie beim Kochen. Wenn man gute Lebensmittel hat und keine Fehler macht, muss auch etwas Gutes herauskommen. Wir kochen übrigens nie nach Rezept. Wenn man regelmäßig gute Produkte liefert, wird man irgendwann auch wahrgenommen. Ich finde, dass wir fürs Erste relativ viel Aufmerksamkeit erregt haben. „Die Presse“kommt zum Beispiel nach Straning.
Aber wie kommen Ihre Weine in die Gastronomie?
Wunderer: Das ist Knochenarbeit. Selbst wenn Gastronomen und Sommeliers unsere Weine toll finden, sind sie noch lang nicht verkauft. Aber es gibt Gastronomen, die den unbekannten guten Wein suchen. Sie wollen nämlich nicht die Weine, die überall auf den Weinkarten stehen. Und so gibt es unsere Weine etwa in der Labstelle oder im Shiki in Wien
Lobner: Uns ist wichtig, dass wir mit unseren Weinen in guten, vielleicht auch kleineren Lokalen vertreten sind. Hier in der Region gibt es die Weine etwa im Retzbacherhof. Wir merken, dass engagierte Gastronomen und Sommeliers auf der Suche nach jungen, motivierten Winzern sind.