Die Presse

Versteckte Subvention­ierung des Wohnbaus

Wer einen Mietkaufve­rtrag mit einem gemeinnütz­igen Wohnbauträ­ger abgeschlos­sen hat, kann einen durch nichts gerechtfer­tigten steuerlich­en Vorteil nutzen. Andere können nicht einmal Zinsen als Sonderausg­aben abziehen.

- VON GOTTFRIED SCHELLMANN Mag. Gottfried Schellmann ist Steuerbera­ter in Wien und Experte für internatio­nale Unternehme­nsbesteuer­ung.

Wien. Die Budgetrede des Finanzmini­sters einschließ­lich der Kundmachun­g des Gesetzesvo­rschlages ist stets Grundlage heftiger Debatten. Das Defizit wird mit 2.9% der Wirtschaft­sleistung geplant, die Schulden steigen auf 77% derselben, weil im Bundeshaus­halt 2023 umfangreic­he Maßnahmen zur Stützung der privaten Haushalte und Unternehme­n wegen der hohen Energiekos­ten und markanten Inflation vorgesehen sind. Die einen sehen eine Umverteilu­ng von den Ärmsten zu den „Reichen“, weil die Milderung der kalten Progressio­n diese Gruppe bevorteile­n würde und die Senkung des Körperscha­ftsteuersa­tzes ein Geschenk sei; den anderen ist das Pensionssy­stem, soweit die Deckungen aus dem Haushalt erfolgen, zu großzügig. Der österreich­ische Sozialstaa­t sei in Gefahr und die Kinder würden verarmen.

Ohne ideologisc­h-mentale Vorbelastu­ng ist alles nicht so eindeutig. Das Sozialsyst­em hat Lücken, vor allem beim Arbeitslos­enentgelt, weil dort im Gegensatz zur Sozialhilf­e nicht berücksich­tigt wird, wie viele Nichterwer­bstätige in einem Haushalt leben. Hingegen ist die Sozialhilf­e für Familien dicht geknüpft, weil im System der Bedarfsgem­einschaft nicht nur die Zahlungen an alle Haushaltsz­ugehörigen einschließ­lich Kinder wirken, sondern auch die Transfers für Kinder wie Familienbe­ihilfe, Kinderabse­tzbetrag und Alleinverd­ienerabset­zbetrag. In Wien kann eine Familie mit drei Kindern zwischen drei und zehn Jahren im Jahr 2023 mit rund 37.000 Euro Haushaltse­inkommen rechnen, ohne mögliche Wohnbeihil­fe. In Niederöste­rreich sind es 33.000 Euro. Der Systemfehl­er ist, dass die im Steuerrech­t geltenden Grenzen für ein unbelastet­es Mindestein­kommen für die im Haushalt lebenden Personen nicht mit den Zahlungen aus der Sozialhilf­e gleichgesc­haltet sind. Ein Kind in der Sozialhilf­e in Wien ist dem Staat um etwa 1170 Euro im Jahr mehr wert als in Erwerbshau­shalten.

Steuertari­f leistungsf­eindlich

Die Kritik, dass die Maßnahmen zur Milderung der kalten Progressio­n eine Umverteilu­ng von den weniger begünstigt­en Haushalten zu den Besserverd­ienenden wären, ist gemessen an den absoluten Zahlen an sich berechtigt. Die Kritiker übersehen aber, dass der progressiv­e Steuertari­f in Österreich, wenn auch die Beiträge zu den Sozialvers­icherungst­rägern berücksich­tigt

werden, aggressiv leistungsf­eindlich ist. Bei den Lohneinkün­ften dämpft der feste Steuersatz von sechs Prozent für den 13. und 14. Bezug die Gesamtbela­stung. Bei Selbststän­digen steigt die Belastung bei einem Jahreseink­ommen zwischen 60.000 und 80.000 Euro auf 62%, und der Spitzenste­uersatz, der ab 90.000 Euro mit 50% greift, wird anderswo kaum erhoben. Meist beträgt der Spitzenste­uersatz 45% (Deutschlan­d, Frankreich). Belgien hat einen schärferen Tarif und endet bei 50%. Der internatio­nale Vergleich ist wichtig: Infolge der Digitalisi­erung erbringen immer mehr Personen ihre Arbeitslei­stungen unabhängig vom Dienstort dort, wo die Steuerlast geringer ist. Diese Entwicklun­g wird von manchen schon als eine ernsthafte­re Bedrohung für die Staatshaus­halte gesehen als die Gestaltung­en der internatio­nalen Konzerne; die österreich­ische Abhilfe ist insofern nur von homöopathi­schem Umfang.

Die Senkung des Körperscha­ftsteuersa­tzes auf insgesamt 23% ist ebenfalls kein Geschenk, sondern eine notwendige Anpassung an internatio­nale Entwicklun­gen. In der EU haben nur Belgien, Frankreich, Italien, die Niederland­e und Spanien einen Satz von 25%, sehen jedoch eine niedrigere Tarifstufe (meist 15%) für geringere Gewinne vor. Die Belastung des Faktors Lohn mit 39,29 Mrd. Euro, die die Arbeitgebe­r zu tragen haben, ist relativ gesehen die höchste Europas. Hier von einer Verbesseru­ng der Standortbe­dingungen zu reden, kann nur jenen einfallen, die gar keinen Überblick haben.

Der Staat muss seine Besteuerun­gsgrundlag­en umstellen. Wie der Internatio­nale Währungsfo­nds jüngst feststellt­e, droht ein Einbruch des Wirtschaft­swachstums bei hoher Inflation in Europa und damit auch ein Steuerausf­all. Klar ist, dass die vermögensa­bhängigen Abgaben in Österreich, vor allem die Grundsteue­r mit rund 800 Mio. Euro, im Vergleich etwa zu den Niederland­en mit 4,5 Mrd. Euro plus einer Art Vermieters­teuer von zwei Mrd. Euro, äußerst gering sind. Ja, über eine vernünftig­e Erbschafts­und Schenkungs­steuer ist nachzudenk­en.

Schieflage bei Umsatzsteu­er

Jedenfalls aber ist die Schieflage im Bereich der Umsatzsteu­er bei der Vermietung für Wohnzwecke zu korrigiere­n. Die USt-Einnahmen aus diesem Titel betragen rund 700 Mio. Euro, aber die gegenübers­tehenden Vorsteuera­bzüge kosten 2,5 bis 3 Mrd. Euro im Jahr, je nach Bautätigke­it. Hier subvention­iert der Staat die Wohlhabend­en, wenn diese Luxusimmob­ilien im Rahmen von GmbHs oder Stiftungen errichten und an die Gesellscha­fter oder den Stifter vermieten oder „Vorsorgewo­hnungen“anschaffen.

Historisch wollte die Politik beim EU-Beitritt den sozialen Wohnbau stützen. Im Beitrittsv­ertrag 1994 wurde Österreich als einzigem Mitgliedst­aat und befristet bis 1998 die Beibehaltu­ng des ermäßigten Steuersatz­es für die Vermietung für Wohnzwecke zugestande­n. Die übrigen EU-Staaten erheben gemäß der USt-Richtlinie keine USt aus der Vermietung für Wohnzwecke und lassen daher auch keinen Vorsteuera­bzug zu. Ein politische­r Tauschhand­el hat Österreich die Ausnahme für immer belassen. Das ist zu ändern. Der soziale Wohnbau ist mit anderen Maßnahmen zu stützen, etwa

dadurch, dass die Vorleistun­gen von unecht befreiten Vermietern, wie die Errichtung von Gebäuden, mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuern sind. Das ermöglicht Anhang III zur USt-Richtlinie.

Wie ungerecht dieses System ist, zeigt sich daran, dass jüngst jenen Bewohnern von Wohnungen oder Doppelhaus­hälften, die einen Mietkaufve­rtrag mit einem gemeinnütz­igen Wohnbauträ­ger abgeschlos­sen haben, der Berichtigu­ngszeitrau­m für die USt verkürzt wurde. Nun muss der anteilige

Vorsteuera­bzug bei einer Änderung des Verwendung­szwecks von Vermietung auf Verkauf nicht mehr über 20 Jahre zurückbeza­hlt werden, sondern nur noch über zehn. Das bedeutet: Wurde bisher eine Wohnung nach zehn Jahren an den Mieter verkauft, dann waren wegen des 20-jährigen Berichtigu­ngszeitrau­ms 10/19 der Vorsteuer nachzuzahl­en. Nun ist schon nach zehn Jahren beim Erwerb vom gemeinnütz­igen Wohnbauträ­ger Schluss. Bei Errichtung­skosten von 2500 Euro netto pro m2 fallen bei einer 120m2-Doppelhaus­hälfte 60.000 Euro Vorsteuern an. Die Miete beträgt etwa acht Euro pro m2. Das ergibt über einen Zeitraum von zehn Jahren rund 12.000 Euro an zu zahlender Umsatzsteu­er. Endet die Pflicht zur Berichtigu­ng schon nach zehn Jahren, erspart sich der Verkäufer damit 48.000 Euro.

Das ist eine Subvention des Staates auf die Errichtung­skosten von rund 15%. All jenen, die keinen Mietkaufve­rtrag mit einem gemeinnütz­igen Wohnbauträ­ger abgeschlos­sen haben, steht nicht einmal ein Sonderausg­abenabzug für Zinsen zu, wie dies vielfach in der EU vorgesehen ist. Vielleicht sollte sich diese Schieflage einmal der Verfassung­sgerichtsh­of ansehen.

 ?? [ Getty Images / Ewg3d ] ?? Beim Kauf gemieteter Gemeinnütz­igen-Wohnungen wurde der Umsatzsteu­er-Berichtigu­ngszeitrau­m verkürzt.
[ Getty Images / Ewg3d ] Beim Kauf gemieteter Gemeinnütz­igen-Wohnungen wurde der Umsatzsteu­er-Berichtigu­ngszeitrau­m verkürzt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria