Suizidhilfe: Wer Zusage zurückzieht, könnte haften
Gastbeitrag. Der Rücktritt des Suizidassistenten ist rechtlich mit dem vom Verlöbnis vergleichbar.
Wien. In Österreich ist es seit 1. Jänner 2022 erlaubt, Beihilfe zum Suizid zu leisten. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber das Sterbeverfügungsgesetz (StVfG) geschaffen. Dieses Gesetz regelt die Voraussetzungen und die Wirksamkeit von Sterbeverfügungen zum Nachweis eines dauerhaften, freien und selbstbestimmten Entschlusses zur Selbsttötung. Unter anderem sieht das Gesetz vor, weder die Durchführung noch die Weigerung, physisch oder psychisch bei der Durchführung lebensbeendender Maßnahmen zu unterstützen, darf zu Nachteilen „in welcher Art immer“für den Suizidassistenten führen. Allgemeine zivilrechtliche Konsequen zen,wieetwaSchadenersatzansprüche, gelten grundsätzlich aber nicht als Nachteil „in welcher Art immer“, vor denen der Suizidassistent – jedenfalls im Anwendungsbereich des StVfG – geschützt werden soll. Was könnte dem Suizidassistenten aber nun drohen, wenn er etwa kurz vor der Durchführung doch einen Rückzieher macht, weil ihm beispielsweise am Ende doch moralische Zweifel kommen?
Erfüllung nicht einklagbar
Die Leistung der Suizidassistenz kann nicht gerichtlich eingeklagt wer denwieetwadieZahlungein es vollen Kaufpreises oder die ordnungsgemäße Durchführung eines Werkes. Es existieren aber auch Rechtsverhältnisse, bei denen keine durchsetzbaren Leistungen begründet werden, deren Ausbleiben allerdings trotzdem Konsequenzen hat. Ein solcher Fall ist etwa das Verlöbnis nach § 45 ABGB. Wer sich verlobt, kann nicht gerichtlich dazu verurteilt werden, die Ehe zu schließen. Ganz aus dem Schneider ist man deshalb aber nicht, wenn man es sich als Verlobter doch anders überlegt. Wird nämlich ein Verlöbnis ohne „gegründete Ursache“von einer Seite beendet, so erwächst dem verlassenen Verlobten gemäß § 46 ABGB ein Anspruch auf Ersatz jener Schäden, die aus diesem unbegründeten Rücktritt entstehen. Es wäre rechtsmethodisch denkbar, die Rechtsfolgen des unbegründeten Rücktritts vom Verlöbnis auf den unbegründeten Rücktritt von der zugesagten Suizidassistenz „analog“anzuwenden.
Die analoge Anwendung einer Vorschrift auf einen Sachverhalt, den diese dem Wortlaut nach nicht regelt, setzt eine „planwidrige Lücke“voraus. Die relevante Norm reicht nicht aus, um alle denkbaren Fälle zu erfassen, weshalb man eine „ähnliche“Vorschrift „analog“anwenden kann. Aus dem StVfG ergibt sich nicht, welche Ersatzpflichten den unbegründet zurücktretenden Suizidassistenten treffen können. Das deutet auf eine planwidrige Lücke hin. Um festzustellen, ob die für Ve rlöbnisse geltenden Vorschriften analog angewendet werden dürfen, muss der jeweils verfolgte Zweck übereinstimmen. Ein Verlöbnis dient dem Ziel, das „Vorhaben Eheschließung“gemeinsam vorzubereiten. Die Erkenntnis beider oder auch nur eines Verlobten, einfach nicht zusammenzupassen, muss als Rücktrittsgrund ausreichen: Die Vorschrift soll nicht die Partner zu einer unglücklichen Ehe zwingen.
Nachvollziehbare Gründe?
Es sind aber Konstellationen denkbar, bei denen die Beendigung nur einseitig erfolgt. In diesem Fall ist gemäß § 46 ABGB zu prüfen, ob berechtigte Gründe für diesen Rücktritt vorliegen, die objektiv nachvollziehbar einer Eheschließung entgegenstehen, etwa eine strafrechtliche Verurteilung, ansteckende Erkrankung oder auch besonders ausgeprägte Charakterdefizite. Die unterbliebene Eheschließung oder der emotionale Schmerz sind keine ersatzfähigen Schäden. Vielmehr geht es darum, nicht durch ein leichtfertig oder gar zur Täuschung abgegebenes Eheversprechen Geld durch unnütze Ausgaben zu verlieren: etwa die bereits entstandenen Kosten für Feierlichkeiten, Hausstandsgründung oder Vorbereitung der Ehe.
Ist der Rücktritt vom Verlöbnis jenem von Suizidassistenz ähnlich? Beide Male geht es um die Zusage höchstpersönlicher Leistungen, die von einem besonders starken Vertrauensverhältnis der betroffenen Personen geprägt sind. Insbesondere, da die Beihilfe zum Suizid nicht gewinnbringend durchgeführt werden darf, werden wohl überwiegend nahestehende Personen als Suizidassistenten ausgesucht. In diesem Fall wird zugesagt, das „Vorhaben Suizid“gemeinsam umzusetzen. Ist sich der Suizidassistent von Anfang an gar nicht sicher, ob er dieses Projekt zu Ende führ en will, könnten ihn ähnliche Folgen erwarten wie den Verlobten, der unberechtigt von der Verlobung zurücktritt. Für das verlängerte Leben oder die damit verbundenen Schmerzen haftet der zurücktretende Suizidassistent zwar keinesfalls. Aber wie sieht es mit Vermögensnachteilen aus? Weil sich die beiden Rücktrittsfälle ähneln, ist eine analoge Anwendung der Rechtsfolgen des § 46 ABGB auf Fälle der Suizidassistenten denkbar. Dafür muss ein „unbegründeter“Rücktritt des Suizidassistenten vorliegen.
Ausführliche Beratung vorab
Liegt eine Sterbeverfügung vor, so ist der Sterbewillige – anders als beim Verlöb nis – im Vorfeld ausführlich medizinisch und rechtlich beraten worden. Es ist deshalb wahrscheinlicher, der „Dealbreaker“liegt in der Sphäre des Suizidassistenten, wie etwa bei kurzfristig doch aufkommenden moralischen Bedenken. Hat der Suizidassistent keine objektiven Gründe für seinen Rücktritt, muss er wohl bereits entstandene und nun frustrierte Kosten, etwa für Begräbnisfeierlichkeiten, Aufsetzen letztwilliger Verfügungen oder sonstige Vermögensübertragungen auf den Todesfall, übernehmen.
Vor dem Hintergrund der somit rechtlich denkbaren Haftungsfolgen erscheint es umso ratsamer, weder eine zukünftige Eheschließung noch die Beihilfe zum Suizid leichtfertig zuzusagen.