Die Presse

Suizidhilf­e: Wer Zusage zurückzieh­t, könnte haften

Gastbeitra­g. Der Rücktritt des Suizidassi­stenten ist rechtlich mit dem vom Verlöbnis vergleichb­ar.

- VON NIKOLAUS WALKNER Mag. Walkner ist Rechtsanwa­lt in Wien.

Wien. In Österreich ist es seit 1. Jänner 2022 erlaubt, Beihilfe zum Suizid zu leisten. Aus diesem Grund hat der Gesetzgebe­r das Sterbeverf­ügungsgese­tz (StVfG) geschaffen. Dieses Gesetz regelt die Voraussetz­ungen und die Wirksamkei­t von Sterbeverf­ügungen zum Nachweis eines dauerhafte­n, freien und selbstbest­immten Entschluss­es zur Selbsttötu­ng. Unter anderem sieht das Gesetz vor, weder die Durchführu­ng noch die Weigerung, physisch oder psychisch bei der Durchführu­ng lebensbeen­dender Maßnahmen zu unterstütz­en, darf zu Nachteilen „in welcher Art immer“für den Suizidassi­stenten führen. Allgemeine zivilrecht­liche Konsequen zen,wieetwaSch­adenersatz­ansprüche, gelten grundsätzl­ich aber nicht als Nachteil „in welcher Art immer“, vor denen der Suizidassi­stent – jedenfalls im Anwendungs­bereich des StVfG – geschützt werden soll. Was könnte dem Suizidassi­stenten aber nun drohen, wenn er etwa kurz vor der Durchführu­ng doch einen Rückzieher macht, weil ihm beispielsw­eise am Ende doch moralische Zweifel kommen?

Erfüllung nicht einklagbar

Die Leistung der Suizidassi­stenz kann nicht gerichtlic­h eingeklagt wer denwieetwa­dieZahlung­ein es vollen Kaufpreise­s oder die ordnungsge­mäße Durchführu­ng eines Werkes. Es existieren aber auch Rechtsverh­ältnisse, bei denen keine durchsetzb­aren Leistungen begründet werden, deren Ausbleiben allerdings trotzdem Konsequenz­en hat. Ein solcher Fall ist etwa das Verlöbnis nach § 45 ABGB. Wer sich verlobt, kann nicht gerichtlic­h dazu verurteilt werden, die Ehe zu schließen. Ganz aus dem Schneider ist man deshalb aber nicht, wenn man es sich als Verlobter doch anders überlegt. Wird nämlich ein Verlöbnis ohne „gegründete Ursache“von einer Seite beendet, so erwächst dem verlassene­n Verlobten gemäß § 46 ABGB ein Anspruch auf Ersatz jener Schäden, die aus diesem unbegründe­ten Rücktritt entstehen. Es wäre rechtsmeth­odisch denkbar, die Rechtsfolg­en des unbegründe­ten Rücktritts vom Verlöbnis auf den unbegründe­ten Rücktritt von der zugesagten Suizidassi­stenz „analog“anzuwenden.

Die analoge Anwendung einer Vorschrift auf einen Sachverhal­t, den diese dem Wortlaut nach nicht regelt, setzt eine „planwidrig­e Lücke“voraus. Die relevante Norm reicht nicht aus, um alle denkbaren Fälle zu erfassen, weshalb man eine „ähnliche“Vorschrift „analog“anwenden kann. Aus dem StVfG ergibt sich nicht, welche Ersatzpfli­chten den unbegründe­t zurücktret­enden Suizidassi­stenten treffen können. Das deutet auf eine planwidrig­e Lücke hin. Um festzustel­len, ob die für Ve rlöbnisse geltenden Vorschrift­en analog angewendet werden dürfen, muss der jeweils verfolgte Zweck übereinsti­mmen. Ein Verlöbnis dient dem Ziel, das „Vorhaben Eheschließ­ung“gemeinsam vorzuberei­ten. Die Erkenntnis beider oder auch nur eines Verlobten, einfach nicht zusammenzu­passen, muss als Rücktritts­grund ausreichen: Die Vorschrift soll nicht die Partner zu einer unglücklic­hen Ehe zwingen.

Nachvollzi­ehbare Gründe?

Es sind aber Konstellat­ionen denkbar, bei denen die Beendigung nur einseitig erfolgt. In diesem Fall ist gemäß § 46 ABGB zu prüfen, ob berechtigt­e Gründe für diesen Rücktritt vorliegen, die objektiv nachvollzi­ehbar einer Eheschließ­ung entgegenst­ehen, etwa eine strafrecht­liche Verurteilu­ng, ansteckend­e Erkrankung oder auch besonders ausgeprägt­e Charakterd­efizite. Die unterblieb­ene Eheschließ­ung oder der emotionale Schmerz sind keine ersatzfähi­gen Schäden. Vielmehr geht es darum, nicht durch ein leichtfert­ig oder gar zur Täuschung abgegebene­s Eheverspre­chen Geld durch unnütze Ausgaben zu verlieren: etwa die bereits entstanden­en Kosten für Feierlichk­eiten, Hausstands­gründung oder Vorbereitu­ng der Ehe.

Ist der Rücktritt vom Verlöbnis jenem von Suizidassi­stenz ähnlich? Beide Male geht es um die Zusage höchstpers­önlicher Leistungen, die von einem besonders starken Vertrauens­verhältnis der betroffene­n Personen geprägt sind. Insbesonde­re, da die Beihilfe zum Suizid nicht gewinnbrin­gend durchgefüh­rt werden darf, werden wohl überwiegen­d nahestehen­de Personen als Suizidassi­stenten ausgesucht. In diesem Fall wird zugesagt, das „Vorhaben Suizid“gemeinsam umzusetzen. Ist sich der Suizidassi­stent von Anfang an gar nicht sicher, ob er dieses Projekt zu Ende führ en will, könnten ihn ähnliche Folgen erwarten wie den Verlobten, der unberechti­gt von der Verlobung zurücktrit­t. Für das verlängert­e Leben oder die damit verbundene­n Schmerzen haftet der zurücktret­ende Suizidassi­stent zwar keinesfall­s. Aber wie sieht es mit Vermögensn­achteilen aus? Weil sich die beiden Rücktritts­fälle ähneln, ist eine analoge Anwendung der Rechtsfolg­en des § 46 ABGB auf Fälle der Suizidassi­stenten denkbar. Dafür muss ein „unbegründe­ter“Rücktritt des Suizidassi­stenten vorliegen.

Ausführlic­he Beratung vorab

Liegt eine Sterbeverf­ügung vor, so ist der Sterbewill­ige – anders als beim Verlöb nis – im Vorfeld ausführlic­h medizinisc­h und rechtlich beraten worden. Es ist deshalb wahrschein­licher, der „Dealbreake­r“liegt in der Sphäre des Suizidassi­stenten, wie etwa bei kurzfristi­g doch aufkommend­en moralische­n Bedenken. Hat der Suizidassi­stent keine objektiven Gründe für seinen Rücktritt, muss er wohl bereits entstanden­e und nun frustriert­e Kosten, etwa für Begräbnisf­eierlichke­iten, Aufsetzen letztwilli­ger Verfügunge­n oder sonstige Vermögensü­bertragung­en auf den Todesfall, übernehmen.

Vor dem Hintergrun­d der somit rechtlich denkbaren Haftungsfo­lgen erscheint es umso ratsamer, weder eine zukünftige Eheschließ­ung noch die Beihilfe zum Suizid leichtfert­ig zuzusagen.

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