„Freunde auf der Tour? Tennis ist seltsam“
Interview. Stefanos Tsitsipas, Nummer drei der Welt, spricht mit der „Presse“über das rasante Leben als Tennisprofi und erklärt, warum aus Rivalen fast nie Freunde werden. Der Grieche schwärmt von Carlos Alcaraz: „Er ist so unfassbar schnell.“
„Die Presse“: Tennisprofis führen ein Leben im Zeitraffer, sind ständig unterwegs, ihre Pausen rar. Sind Sie schon einmal in einem Hotelzimmer aufgewacht und wussten nicht, in welcher Stadt Sie sich gerade befinden? Stefanos Tsitsipas: Das ist mir erst vor einem Monat in Stockholm passiert. Ich bin aufgewacht und musste mich mehrfach daran erinnern, dass ich gerade in Schweden bin. So etwas passiert, wenn man permanent unterwegs ist. Ich reise gern, aber es kann schon richtig viel werden. Manchmal würde ich lieber zu Hause bleiben, als zum nächsten Turnier zu fliegen. Aber so ist die Tour. Das ständige Schlafen in einem anderen Bett, der Kampf mit der Klimaanlage im Zimmer – all das gehört dazu. Wenn man so viel unterwegs ist, muss man auf sich aufpassen: Die Gefahr, etwas auszubrennen, besteht.
Was tun Sie dagegen?
Mich daran erinnern, auch mal etwas Spannung abzubauen. Also etwas weniger zu trainieren oder Dinge abseits des Tennisplatzes zu unternehmen, um auf andere Gedanken zu kommen. Wenn du dich ständig in der „red zone“bewegst, ist das schlecht für deine mentale Gesundheit. Ich weiß noch nicht, wie ich später einmal auf all diese Begleitumstände meiner Karriere zurückblicken werde, aber ich bin jetzt 24, genieße all das auch. Ich werde es nie bereuen, mich für Tennis entschieden zu haben, obwohl der Weg an die Spitze brutal ist, wenn du ihn mit 100 Prozent Hingabe verfolgst. Aber die nächsten paar Jahre werden die besten meines Lebens. Da bin ich mir sicher.
Sie haben in einem früheren Interview gesagt, Tennis sei die komplizierteste Sportart der Welt. Warum?
Weil sie dir als Spieler so viel abverlangt: Physisch, mental, taktisch – du musst alles haben, um dieses Spiel gut zu spielen. Du musst so fit wie möglich sein, so schnell wie möglich, mental stabil wie ein Fels, um die schwierigen Situationen während eines Matches zu meistern. Viele Spieler beschäftigen sich auch explizit mit Ernährung. Du kannst es dir an der Spitze nicht erlauben, auch nur eine Kleinigkeit falsch zu machen.
Sie sind 24, weder Youngster noch Routinier. Wo sehen Sie sich selbst?
Die Altersgrenzen im Tennis haben sich verschoben. Um ehrlich zu sein bist du auch mit 30 noch jung. Man sieht es an den Karrieren von Novak (Djoković) oder Rafael (Nadal, Anm.), die auch mit Mitte 30 noch Weltklasse sind. Aber ich gebe Ihnen schon recht. Ich gehöre mit 24 nicht mehr der „next gen“an. Dafür habe ich bereits Erfahrungen und Momente gesammelt, die mir in Zukunft auf dem Platz helfen sollten.
Ihr Traum vom Gewinn eines Grand-Slam-Titels hat sich noch nicht erfüllt. Mit Carlos Alcaraz (19), Holger Rune (19) und Jannik Sinner (21) wird die Konkurrenz größer – und jünger. Erhöht das den Druck auf Sie?
Ich habe noch Zeit. Aber das ist Tennis. Es gibt so viele Talente da draußen, die alle dasselbe Ziel verfolgen. Wir alle beschreiten denselben Weg. Jene Spieler, die ihn
am beharrlichsten verfolgen, werden letztlich am erfolgreichsten sein. Carlos hat aus der nächsten Generation mit seinem US-OpenSieg vorgelegt. Eines Tages will ich auch ganz oben stehen.
Aber wenn Sie Alcaraz in New York spielen gesehen haben, was haben Sie sich gedacht? Dass Sie Ihr Level nochmals anheben werden müssen, weil es für große Titel sonst nicht reichen wird?
Ja, ich habe genau darüber nachgedacht. Wenn du dir ansiehst, wie er sich auf dem Platz bewegt, dann ist das eine Evolution des Tennissports. Er läuft so unfassbar schnell. Carlos mag nicht so groß gewachsen sein wie Zverev, Medwedew oder ich, aber er schlägt den Ball extrem hart. Und er hat diese besondere Mentalität, ist furchtlos und ohne Skepsis. Das gibt auch mir neue Ideen, wie ich Tennis für mich interpretiere.
Am Ende des Tages sind Sie alle Konkurrenten. Bleibt auf der Tour denn Platz für Freundschaften?
Es ist seltsam mit Tennis und Freundschaften. Der Vibe in anderen Einzelsportarten ist glaube ich sehr viel freundlicher als auf der Tennistour. Ich habe Kollegen, mit denen ich gut auskomme.
Aber Freundschaften pflegen Sie keine?
Freunde gehen gemeinsam ins Kino oder abends aus. Diese Möglichkeit hat sich bei mir noch nicht aufgetan – und ich weiß wirklich nicht, warum das so ist. Vielleicht, weil die Spieler während eines Turniers keine Zeit damit verschwenden wollen und lieber in ihrem „inner circle“bleiben. Es gibt jedenfalls nicht diese Kultur in Tenniskreisen. Vielleicht war es vor einigen Jahren noch anders. Jetzt steht noch mehr auf dem Spiel, es geht um noch mehr Geld.
Dann ist es also umso bemerkenswerter, dass zwischen Roger Federer und Rafael trotz ihrer
Rivalität eine Freundschaft entstanden ist.
Wenn du so viele große Spiele gegeneinander gespielt und so viele Emotionen auf dem Platz geteilt hast, dann entsteht eine spezielle Verbindung. Die beiden haben in ihren Matches wohl mehr Zeit auf dem Platz verbracht als im Training mit ihren Coaches (lacht). Roger und Rafa sind zwei großartige Persönlichkeiten, sie passen auch charakterlich zusammen, haben eine Connection. Da kann ich aus nächster Nähe nur bestätigen. Ich würde mir wünschen, eines Tages auch so eine Art von Rivalität und Freundschaft zu haben.
Sie haben sich immer für Coaching während eines Matches ausgesprochen, mittlerweile ist es erlaubt. Haben Sie dank des Coachings Ihres Vaters schon ein Match gewonnen, das sie sonst vielleicht verloren hätten?
Für mich geht es beim Coaching mehr um den psychologischen Aspekt. Dass es eine Person da draußen gibt, die dir etwas sagen darf, dich an deine Stärken erinnert, dich pusht. Aber ich glaube nicht, dass Coaching so funktioniert, dass dir dein Betreuer diese eine Sache sagt, dir ein Licht aufgeht und du deshalb das ganze Match drehst.
Gibt es etwas, das Sie am Tennis ändern würden: Regeln, oder die Zählweise?
Es wäre spannend, statt auf sechs nur auf vier gewonnene Games pro Satz und dafür statt auf drei auf vier gewonnene Sätze zu spielen. Das wäre doch eine interessante Zählweise. Es gäbe durch die kürzeren Sätze mehr Tiebreaks, also auch mehr Spannung. Aber unser Sport wird seit dem ersten Tag bis sechs Games gespielt. Das ist unsere Tradition. Auch der kann ich viel abgewinnen.
ZUR PERSON
Stefanos Tsitsipas (24) ist aktuell die Nummer drei der Weltrangliste, er war noch nie besser klassiert. Trainiert von seinem Vater Apostolos, hat Tsitsipas bislang neun Turniersiege gefeiert. Sein größter Erfolg ist der Gewinn der ATP Finals 2019 (Sieg über Dominic Thiem). Auf Grand-Slam-Ebene erreichte der Grieche bei den French Open 2021 sein einziges Endspiel, welches er gegen Novak Djokovic´ verlor. Bei den ATP Finals (live Sky) trifft Tsitsipas heute Abend zum Auftakt erneut auf den Serben.