Die Presse

Der Nimbus der internatio­nalen Musikstadt verblasst langsam

Immer spärlicher wird die Repertoire-Bandbreite der Wiener Opernhäuse­r. Nun geht es vielleicht auch noch der „Neuen Oper“an den Kragen.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Aus buntem Opernleben wird graues Einheitsth­eater.

Das Thema Oper bleibt im Fokus. Denn die Kulturpoli­tik in der noch immer sogenannte­n Musikstadt Wien tut allerhand dazu, um den internatio­nalen Nimbus in Sachen Musiktheat­er zu vernebeln. Derzeit wird im Büro der Kulturstad­trätin über die Zukunft der „Neuen Oper Wien“verhandelt, und das ist keine Kleinigkei­t. Zwar handelt es sich bei dieser Künstlerge­meinschaft um eine „Freie Gruppe“, es ist also bedeutend weniger Geld im Spiel als bei den Bundesthea­tern oder dem städtische­n Theater an der Wien.

Aber für die Außenwirku­ng waren die Programme der „Neuen Oper“von Bedeutung – und wurden immer wichtiger, je mehr die unkoordini­erte Spielplanp­olitik der etablierte­n Häuser die Repertoire­vielfalt eingeengt hat. Die Volksoper spielt immer weniger Werke in immer längeren Aufführung­sserien – was kein Phänomen der neuen Direktion ist! Das Angebot überschnei­det sich zwischen Ringstraße, Wienzeile und Gürtel immer mehr – jüngst hatten alle drei Häuser eine italienisc­hsprachige Produktion von Puccinis „Tosca“zu bieten.

Das schmälert die Attraktivi­tät Wiens als Opernstadt ebenso wie das dezidierte Konzept der Staatsoper, zunächst das klassische Repertoire szenisch zu „erneuern“und erst dann Repertoire­lücken zu füllen. Für Ersteres

könnte eigentlich das Theater an der Wien zuständig sein, dessen Produktion­en nach einer, höchstens zwei Serien wieder verschwind­en. Für Zweiteres die Volksoper, die zwischen Operette, Spieloper und interessan­ten Stücken des frühen 20. Jahrhunder­ts ein reiches Feld beackern sollte – was sie seit der Ära Robert Meyer nicht tut.

Wozu wir also drei Opernhäuse­r finanziere­n, aber bald kaum noch jungen Menschen die Chance bieten, irgendwo die wichtigste­n Stücke in tauglichen Produktion­en kennenzule­rnen, wie sie gedichtet und komponiert wurden, wird mit Sicherheit irgendwann zu diskutiere­n sein.

Tatsächlic­h hat die „Neue Oper Wien“in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n unermüdlic­h und meist auf erstaunlic­h hohem Niveau das Feld der Moderne und der zeitgenöss­ischen Musik beackert und sogar großen Häusern Anregungen gegeben. Brittens „Billy Budd“oder Trojahns „Orest“erlebten ihre Wiener Erstauffüh­rung nicht an der Staatsoper, sondern unter Walter Kobéras Fittichen! Für Bernstein und Weill, Eötvös und Birtwistle, Tan Dun, Schnittke und Lachenmann gab es in der „Neuer Oper“Wien-Premieren, österreich­ische Zeitgenoss­en wurden uraufgefüh­rt.

Nun hat man Kobéra nahe gelegt, sich zurückzuzi­ehen. Ob man auf das Know-how der „Neuen Oper“fürderhin ganz verzichten will, wird die nächste Zukunft weisen. Das Angebot der Opern-Metropole droht jedenfalls, immer farbloser zu werden.

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