Es krankt am Filmförderwesen
Die Debatte zu Ulrich Seidl zeigt: Die Kontrollorgane der österreichischen Film- und Fernsehbranche haben versagt.
In der Debatte um die Arbeitsweise auf den Filmsets von Ulrich Seidl ist mittlerweile viel ohne Relevanz und ohne Konsequenz gesagt worden. Wie Seidl arbeitet, ist den Menschen in der österreichischen Film- und TV-Branche bewusst. Mir geht es nicht um die Beantwortung moralischer Fragen, diese wurden schon zuhauf mit viel Meinung und wenig Sachkenntnis verhandelt. Mir geht es um ein gänzlich anderes Problem, das im Zuge dieser Diskussion besprochen werden sollte: Die Kontrollorgane der österreichischen Film- und Fernsehbranche haben versagt.
In Österreich wird fast jede audiovisuelle Produktion durch das österreichische Filminstitut (ÖFI), den Filmfonds Wien (FFW) und den ORF finanziert. Ohne diese drei Säulen gäbe es die österreichische Film- und Fernsehbranche in ihrer gegenwärtigen Form nicht. Und diese drei Institutionen gäbe es ohne uns SteuerzahlerInnen nicht.
Als Förderkriterium sollten die grundsätzlich einzuhaltenden arbeitsrechtlichen Standards erweitert werden. Mitwirkende Personen sollten über schwierige Situationen im Vorfeld ohne Rücksicht auf die sogenannte „Authentizität“informiert werden. Physische und psychische Grenzüberschreitungen sollten nicht mit Steuergeldern gefördert werden. Darauf sollten wir uns grundsätzlich verständigen können. Doch von Seiten unserer Förderungsentitäten wird kein merkbares Interesse gezeigt.
Und das obwohl ÖFI und FFW in den vergangenen Jahren bewiesen haben, dass sie durchaus bereit sind, neue Kontrollmechanismen einzuführen, wie man anhand der Implementierung von Green-ProductionGuidelines sieht. Dabei sind diese weitaus schwieriger zielgerichtet zu kontrollieren als arbeitsrechtliche Verfehlungen.
Und damit sind wir bei der Kernproblematik: Im Aufsichtsrat des ÖFI als auch im Äquivalent
des FFW, dem „Kuratorium“sitzen Personen aus verschiedenen Bereichen der Filmbranche. Kurz gesagt: Menschen, die von diesen Stellen profitieren und profitiert haben, können bei allen Entscheidungen mitsprechen. So besteht die Möglichkeit, dass jene Personen eben auch Veränderungen der Arbeitsbedingungen zugunsten der Arbeitnehmer auf ihren Sets blockieren und verschleppen können.
Das Motto „Wir sind wir“
In allen anderen Branchen wäre eine solche Optik selbst in Österreich schwer möglich. Hier haben wir aber noch nicht die Besetzung der sogenannten Förderbeiräte erwähnt. Diese entscheiden, welche Produktionen in welcher Höhe finanziell gefördert werden – Kollegen entscheiden über die Herstellung von Filmen von Kollegen. Da die österreichische Film- und TV-Branche außerdem die Tendenz hat, unter sich zu bleiben und einem „Wir sind wir“zu frönen, sollte man auch diesen Punkt dringend reformieren, egal, wie stark und laut man beteuert, objektiv zu urteilen. Hier ist wieder die Politik am Zug. Es täte der gesamten Filmbranche gut, wenn man dringend all jene Personen mit Naheverhältnis zur österreichischen Film- und Fernsehproduktionslandschaft aus den jeweiligen Entscheidungsgremien entfernt.
Die Branche benötigt evidenterweise andere Wege, um Entscheidungen zu treffen, die zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen aller am Set arbeitenden Personen führen, die Regie-Exzesse und Grenzüberschreitungen jeder Art von vornherein verhindern. Es sei den hier handelnden Personen ob ihrer oftmals evidenten Unwissenheit keine böse Absicht per se unterstellt, sie sollten aber über diese Grundregeln des Zusammenarbeitens keine Entscheidungsgewalt mehr haben. Christian Dohr (*1988) ist Produktionsleiter und Produzent für Film, Fernsehen und Streaming.