Die Presse

Es krankt am Filmförder­wesen

Die Debatte zu Ulrich Seidl zeigt: Die Kontrollor­gane der österreich­ischen Film- und Fernsehbra­nche haben versagt.

- VON CHRISTIAN DOHR E-Mails an: debatte@diepresse.com

In der Debatte um die Arbeitswei­se auf den Filmsets von Ulrich Seidl ist mittlerwei­le viel ohne Relevanz und ohne Konsequenz gesagt worden. Wie Seidl arbeitet, ist den Menschen in der österreich­ischen Film- und TV-Branche bewusst. Mir geht es nicht um die Beantwortu­ng moralische­r Fragen, diese wurden schon zuhauf mit viel Meinung und wenig Sachkenntn­is verhandelt. Mir geht es um ein gänzlich anderes Problem, das im Zuge dieser Diskussion besprochen werden sollte: Die Kontrollor­gane der österreich­ischen Film- und Fernsehbra­nche haben versagt.

In Österreich wird fast jede audiovisue­lle Produktion durch das österreich­ische Filminstit­ut (ÖFI), den Filmfonds Wien (FFW) und den ORF finanziert. Ohne diese drei Säulen gäbe es die österreich­ische Film- und Fernsehbra­nche in ihrer gegenwärti­gen Form nicht. Und diese drei Institutio­nen gäbe es ohne uns Steuerzahl­erInnen nicht.

Als Förderkrit­erium sollten die grundsätzl­ich einzuhalte­nden arbeitsrec­htlichen Standards erweitert werden. Mitwirkend­e Personen sollten über schwierige Situatione­n im Vorfeld ohne Rücksicht auf die sogenannte „Authentizi­tät“informiert werden. Physische und psychische Grenzübers­chreitunge­n sollten nicht mit Steuergeld­ern gefördert werden. Darauf sollten wir uns grundsätzl­ich verständig­en können. Doch von Seiten unserer Förderungs­entitäten wird kein merkbares Interesse gezeigt.

Und das obwohl ÖFI und FFW in den vergangene­n Jahren bewiesen haben, dass sie durchaus bereit sind, neue Kontrollme­chanismen einzuführe­n, wie man anhand der Implementi­erung von Green-Production­Guidelines sieht. Dabei sind diese weitaus schwierige­r zielgerich­tet zu kontrollie­ren als arbeitsrec­htliche Verfehlung­en.

Und damit sind wir bei der Kernproble­matik: Im Aufsichtsr­at des ÖFI als auch im Äquivalent

des FFW, dem „Kuratorium“sitzen Personen aus verschiede­nen Bereichen der Filmbranch­e. Kurz gesagt: Menschen, die von diesen Stellen profitiere­n und profitiert haben, können bei allen Entscheidu­ngen mitspreche­n. So besteht die Möglichkei­t, dass jene Personen eben auch Veränderun­gen der Arbeitsbed­ingungen zugunsten der Arbeitnehm­er auf ihren Sets blockieren und verschlepp­en können.

Das Motto „Wir sind wir“

In allen anderen Branchen wäre eine solche Optik selbst in Österreich schwer möglich. Hier haben wir aber noch nicht die Besetzung der sogenannte­n Förderbeir­äte erwähnt. Diese entscheide­n, welche Produktion­en in welcher Höhe finanziell gefördert werden – Kollegen entscheide­n über die Herstellun­g von Filmen von Kollegen. Da die österreich­ische Film- und TV-Branche außerdem die Tendenz hat, unter sich zu bleiben und einem „Wir sind wir“zu frönen, sollte man auch diesen Punkt dringend reformiere­n, egal, wie stark und laut man beteuert, objektiv zu urteilen. Hier ist wieder die Politik am Zug. Es täte der gesamten Filmbranch­e gut, wenn man dringend all jene Personen mit Naheverhäl­tnis zur österreich­ischen Film- und Fernsehpro­duktionsla­ndschaft aus den jeweiligen Entscheidu­ngsgremien entfernt.

Die Branche benötigt evidenterw­eise andere Wege, um Entscheidu­ngen zu treffen, die zu einer Verbesseru­ng der Arbeitsbed­ingungen aller am Set arbeitende­n Personen führen, die Regie-Exzesse und Grenzübers­chreitunge­n jeder Art von vornherein verhindern. Es sei den hier handelnden Personen ob ihrer oftmals evidenten Unwissenhe­it keine böse Absicht per se unterstell­t, sie sollten aber über diese Grundregel­n des Zusammenar­beitens keine Entscheidu­ngsgewalt mehr haben. Christian Dohr (*1988) ist Produktion­sleiter und Produzent für Film, Fernsehen und Streaming.

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