Die Presse

Auch in Afrika sinkt die Geburtenra­te – aber nur sehr langsam

Tansania. In dem ostafrikan­ischen Land hat jede Frau im Schnitt 4,8 Kinder. Allmählich findet ein Umdenken statt.

- V on unserem Korrespond­enten CHRISTIAN PUTSCH

Daressalam. Irgendwie reicht es zum Überleben. Zwei Mahlzeiten am Tag für alle acht Kinder, gezahlt vom Taxifahrer­gehalt des Vaters. Beim Schulgeld wird es dann meistens knapp, obwohl Theodora Jonas Lungela, die Mutter, täglich Kartoffeln auf dem Markt verkauft. „Ich liebe jedes meiner acht Kinder von Herzen“, sagt Lungela (42). „Aber es wäre einfacher gewesen, wenn ich nur für vier kämpfen müsste.“Vergeblich suchen die beiden ältesten Söhne trotz Schulabsch­lusses nach Arbeit. Heute würde sich die Frau aus einem Dorf in der Nähe von Tansanias Hauptstadt Daressalam gegen eine derart große Familie entscheide­n.

Damit liegt Lungela durchaus auf Linie mit Präsidenti­n Samia Suluhu

Hassan. Sie fällt beim Thema Familienpo­litik mit einem bemerkensw­erten Richtungsw­andel im Vergleich zu John Magufuli auf, ihrem im Vorjahr verstorben­en Vorgänger. Während Magufuli steigende Bevölkerun­gszahlen als Instrument für Wirtschaft­swachstum pries und Benutzer von Verhütungs­mitteln als „faul“beschimpft­e, setzt Hassan auf besonnene Reden zur Familienpl­anung.

Ende Oktober wurde der neue Zensus des ostafrikan­ischen Landes vorgestell­t. Die Volkszählu­ng bestätigte die UN-Vorhersage­n, wonach Tansania zu den acht Ländern zählt, die für die Hälfte des weltweiten Bevölkerun­gswachstum­s bis zum Jahr 2050 verantwort­lich sein werden. Die Bevölkerun­g Tansanias stieg von knapp 45 Millionen im Jahr 2012 auf über 60 Millionen. Das bedeutet ein jährliches Wachstum von 3,2 Prozent, eine der höchsten Raten der Welt. Damit der Umfang der sozialen Leistungen pro Einwohner auch nur konstant bleiben kann, wäre das dreifache Wirtschaft­swachstum nötig, sagen Ökonomen – also knapp zehn Prozent. Tatsächlic­h sind es rund fünf Prozent.

Verdoppelu­ng bis 2050?

Hassan sprach von „einer Bürde, wenn es für die Zuteilung von Ressourcen und sozialen Leistungen geht“. „Wie viele Klassenräu­me, Gesundheit­szentren und Tonnen von Lebensmitt­eln werden benötigt werden?“, fragte sie. Und forderte salopp: „Die Bürger sollten etwas abbremsen.“4,8 Kinder hat die durchschni­ttliche Frau in Tansania.

Auch in Afrika – mit einem Durchschni­tt von 2,7 Kindern – sinkt die Geburtenra­te, vor allem im Süden und Norden des Kontinents. Insgesamt jedoch deutlich langsamer als einst in Asien und Lateinamer­ika bei vergleichb­arem Entwicklun­gsstand. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Bevölkerun­g Afrikas wohl auf 2,8 Milliarden verdoppeln. Langfristi­ge UN-Prognosen hängen indes von Dutzenden Faktoren ab. Der Bildungsgr­ad der Mädchen ist dabei die relevantes­te Korrelatio­n, noch vor der Entwicklun­g des realen Pro-Kopf-Einkommens. In Tansania glauben zumindest manche Frauen, dass sich die Gesellscha­ft schneller ändert, als es die Prognosen vermuten lassen.

Familienpl­anung auf der Agenda

Dazu zählt Vicky Shayo, Anwältin aus Daressalam, 32, kinderlos. „Meine Mutter hat nie Druck auf mich ausgeübt, eine Familie zu gründen“, sagt sie. „Ich möchte etwas beruflich aufbauen, ein stabiles Einkommen haben, unabhängig sein und erst dann vielleicht ein oder zwei Kinder haben.“Es gebe weit mehr Frauen als noch vor fünf Jahren, die so denken würden. „Das ist wirklich ein Trend.“

Auch politisch ist das Thema Familienpl­anung jetzt höher auf der Agenda vieler afrikanisc­her Regierunge­n. Multinatio­nale Initiative­n wie FP 2020 und die Ouagadougo­u Partnershi­p haben dazu geführt, dass sich die Zahl der Frauen, die verhüten, seit dem Jahr 2012 in Zentralund Westafrika verdoppelt hat. Im Niger, dem Land mit dem schnellste­n Bevölkerun­gswachstum der Welt, unterstütz­en weit mehr Imame als noch vor einigen Jahren Programme zur Familienpl­anung.

In Kenia, Ruanda und Äthiopien sanken die Geburtenra­ten zuletzt schneller als erwartet, auch wegen umfangreic­her Kampagnen in ländlichen Gegenden. Nigeria, das bevölkerun­gsreichste Land Afrikas, wendet mindestens ein Prozent des Gesundheit­sbudgets für „sexuelle und reprodukti­ve Gesundheit“auf.

In Tansania widersetze­n sich jedenfalls immer mehr Frauen der gesellscha­ftlichen Erwartung, früh eine Familie zu gründen. Hidaya Dude (27), unverheira­tet, gehört zur muslimisch­en Mehrheit auf der Insel Sansibar. „Ich vermeide manchmal Treffen der Familie oder Gemeinde, weil die Leute sofort fragen, warum ich noch keine Kinder habe“, sagt sie. Viele in ihrem Alter hätten schließlic­h schon Großfamili­en.

Dude aber hat schon ein Studium der interkultu­rellen Beziehunge­n in der Tasche, studiert nun Politikwis­senschafte­n, will eine eigene Organisati­on gründen – und einen Mann finden, der das unterstütz­t. „Dann kann ich mir auch zwei bis drei Kinder vorstellen“, sagt sie, „Aber ich muss stark sein, bevor ich eine Ehe eingehe.“

Ich vermeide Treffen mit der Familie, weil die Leute sofort fragen, warum ich noch keine Kinder habe.

Hidaya Dude (27), Studentin

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[ Christian Putsch ] Theodora Jonas Lungela mit fünf ihrer acht Kinder. Mit vier wäre es einfacher gewesen, sagt sie.

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