Der Kampf um das Bürgergeld
Deutschland. Die Sozialdemokraten wollen ihr Hartz-IV-Trauma überwinden. Doch die Konservativen blockieren den Vorschlag erstmal.
Berlin. Peter Hartz. Dieser Name steht im linken Flügel der Sozialdemokratie für ein Trauma. Nämlich für jene tiefgreifende Reform, die vom heute 81-jährigen Ex-VWManager Hartz ausgearbeitet und vom damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder im Jahr 2005 umgesetzt wurde. Vor allem ihr vierter Punkt – Hartz IV, das formell Arbeitslosengeld II heißt – gilt SPDLinken als Symbol der Spaltung und des Niederganges. Damit erhöhte die Partei der Arbeiter den Druck auf Arbeitslose. Nur, es funktionierte auch: Von 2005 bis zuletzt sank die deutsche Arbeitslosenquote von 13 auf 5,5 Prozent.
Nun soll der Name Hartz verschwinden. Weitgehend in medialer Stille hat SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil über Monate den neuen Ansatz ausgearbeitet: Hartz IV wird durch das Bürgergeld ersetzt. „Die größte Sozialstaatsreform seit zwanzig Jahren“, nennt Heil seinen Entwurf, der bereits den Bundestag passiert hat. Nun muss er ihn aber nachverhandeln. Am Montag blockierten die Ministerpräsidenten der Union aus CDU und CSU das Bürgergeld im Bundesrat. Es sei der „Weg in ein bedingungsloses Grundeinkommen aus Steuermitteln“so Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU).
1 Wie funktioniert die deutsche Versorgung für Arbeitslose?
Wer seinen Job verliert, kann je nach Lebenslauf bis zu einem Jahr das Arbeitslosengeld I beziehen – das sind in der Regel etwa 60 Prozent des letzten Nettoverdiensts. Dazu müssen aber Versicherungszeiten vorgewiesen werden. Dauert eine Jobsuche länger oder haben Arbeitslose zu wenig oder gar nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt, bekommen sie Arbeitslosengeld II. Derzeit sind das 449 Euro. Auch eine „angemessene“Miete und Heizkosten werden vom Staat übernommen.
Wer gar nicht arbeiten kann, muss Sozialgeld beantragen. Zuletzt betraf das insgesamt 5,4 Millionen Menschen, von ihnen bezogen 3,7 Millionen Hartz IV. Sie müssen laut Gesetz „hilfsbedürftig“sein, ihr Privatvermögen unter einer bestimmten Grenze liegen. Dazu kommen Strafen, sollten Jobangebote verweigert werden. Bereits in der Pandemie wurden einige Kriterien aber ausgesetzt.
2 Welche drei Punkte am neuen Bürgergeld sind umstritten?
Drei Punkte sorgen beim Bürgergeld für die meiste Kritik: Das Arbeitslosengeld II soll auf 502 Euro erhöht werden. Weil der Staat Miete und Heizkosten übernimmt, stellt sich laut Wirtschaftsverbänden damit die Frage, ob sich Arbeiten für Menschen im Niedriglohnsektor noch genügend lohne. Der Fachbegriff dazu lautet „Lohnabstandsgebot“: Wer täglich arbeiten geht, soll spürbar mehr rausbekommen als Arbeitslose.
Vergleiche sind aber schwierig, da auch Menschen mit geringem Einkommen bestimmte Sozialleistungen wie Wohngeld beziehen können. Zudem wurde der Mindestlohn von der Regierung auf zwölf Euro pro Stunde erhöht. Beides vergrößert den Abstand zu Beziehern von Arbeitslosengeld II.
Zweiter Kritikpunkt: Mit dem Bürgergeld werden mögliche Strafmaßnahmen wie Kürzungen des Arbeitslosengeldes im ersten halben Jahr – der „Vertrauenszeit“– nahezu ganz ausgesetzt. Danach kann das Jobcenter maximal 30 Prozent des Bürgergelds streichen, wenn Jobs verweigert werden.
Drittens wird die Hilfsbedürftigkeit neu definiert: In den ersten zwei Jahren – der „Karenzzeit“– spielt das Vermögen nur eine Rolle, wenn es laut Selbstauskunft „erheblich“ist. Die Grenze liegt für eine Person beispielsweise bei 60.000 Euro an „erblichem Vermögen“, dazu ein „angemessenes“Auto, eine theoretisch unbegrenzt hohe private Altersvorsorge und eine selbst bewohnte Immobilie. Der Staat prüft nicht mehr, ob die vom ihm erstattete Miete „angemessen“ist. Nur die Heizkosten dürfen nicht allzu hoch sein.
3 Warum blockiert die Union den Vorschlag der Ampel?
Die Union stößt sich vor allem an den Konzepten „Vertrauenszeit“und „Karenzzeit“. Die Chance einen Job zu finden, sei laut Statistik in den ersten Monaten nach der Kündigung am größten. Vermögenden die Miete einer großen Wohnung mit Steuergeldern zu bezahlen, sei wiederum ungerecht.
Im Hintergrund geht es beim Streit um das Bürgergeld aber auch um einen alten Kulturkampf. Während SPD und Grüne die Hilfsgelder nicht vorrangig von einer möglichen Arbeitsverweigerung her denken, haben manche aus der CDU den Missbrauch vor Augen. So sieht etwa Falcko Liecke, CDUStadtrat im Berliner Problembezirk Neukölln, das Bürgergeld im Gespräch mit der „Presse“überaus kritisch. Schon bisher sei er in Neukölln mit Mitgliedern von arabischstämmigen Banden konfrontiert, die teure Autos fahren, Immobilien und hohe Bargeldsummen besitzen – während sie gleichzeitig Hartz IV beziehen.
4 Ist das Bürgergeld nun Geschichte oder kommt ein Kompromiss?
Die Ampel-Regierung würde das Bürgergeld gerne mit 1. Jänner einführen. Dafür müsste es aber wohl noch im November rechtskräftig beschlossen werden. Um das Patt zwischen dem deutschen Parlament und den Bundesländern aufzuheben, soll ein „Vermittlungsverfahren“starten. Erste Kompromisslinien deuteten sich bereits in der Talkshow „Anne Will“an, wo CDU- auf SPD-Vertreter trafen. Ein neues Trauma dürfte mit dem Bürgergeld für keine Partei drohen.