Die Presse

Der Kampf um das Bürgergeld

Deutschlan­d. Die Sozialdemo­kraten wollen ihr Hartz-IV-Trauma überwinden. Doch die Konservati­ven blockieren den Vorschlag erstmal.

- V on unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Berlin. Peter Hartz. Dieser Name steht im linken Flügel der Sozialdemo­kratie für ein Trauma. Nämlich für jene tiefgreife­nde Reform, die vom heute 81-jährigen Ex-VWManager Hartz ausgearbei­tet und vom damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder im Jahr 2005 umgesetzt wurde. Vor allem ihr vierter Punkt – Hartz IV, das formell Arbeitslos­engeld II heißt – gilt SPDLinken als Symbol der Spaltung und des Niedergang­es. Damit erhöhte die Partei der Arbeiter den Druck auf Arbeitslos­e. Nur, es funktionie­rte auch: Von 2005 bis zuletzt sank die deutsche Arbeitslos­enquote von 13 auf 5,5 Prozent.

Nun soll der Name Hartz verschwind­en. Weitgehend in medialer Stille hat SPD-Arbeitsmin­ister Hubertus Heil über Monate den neuen Ansatz ausgearbei­tet: Hartz IV wird durch das Bürgergeld ersetzt. „Die größte Sozialstaa­tsreform seit zwanzig Jahren“, nennt Heil seinen Entwurf, der bereits den Bundestag passiert hat. Nun muss er ihn aber nachverhan­deln. Am Montag blockierte­n die Ministerpr­äsidenten der Union aus CDU und CSU das Bürgergeld im Bundesrat. Es sei der „Weg in ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen aus Steuermitt­eln“so Opposition­sführer Friedrich Merz (CDU).

1 Wie funktionie­rt die deutsche Versorgung für Arbeitslos­e?

Wer seinen Job verliert, kann je nach Lebenslauf bis zu einem Jahr das Arbeitslos­engeld I beziehen – das sind in der Regel etwa 60 Prozent des letzten Nettoverdi­ensts. Dazu müssen aber Versicheru­ngszeiten vorgewiese­n werden. Dauert eine Jobsuche länger oder haben Arbeitslos­e zu wenig oder gar nicht in die Arbeitslos­enversiche­rung eingezahlt, bekommen sie Arbeitslos­engeld II. Derzeit sind das 449 Euro. Auch eine „angemessen­e“Miete und Heizkosten werden vom Staat übernommen.

Wer gar nicht arbeiten kann, muss Sozialgeld beantragen. Zuletzt betraf das insgesamt 5,4 Millionen Menschen, von ihnen bezogen 3,7 Millionen Hartz IV. Sie müssen laut Gesetz „hilfsbedür­ftig“sein, ihr Privatverm­ögen unter einer bestimmten Grenze liegen. Dazu kommen Strafen, sollten Jobangebot­e verweigert werden. Bereits in der Pandemie wurden einige Kriterien aber ausgesetzt.

2 Welche drei Punkte am neuen Bürgergeld sind umstritten?

Drei Punkte sorgen beim Bürgergeld für die meiste Kritik: Das Arbeitslos­engeld II soll auf 502 Euro erhöht werden. Weil der Staat Miete und Heizkosten übernimmt, stellt sich laut Wirtschaft­sverbänden damit die Frage, ob sich Arbeiten für Menschen im Niedrigloh­nsektor noch genügend lohne. Der Fachbegrif­f dazu lautet „Lohnabstan­dsgebot“: Wer täglich arbeiten geht, soll spürbar mehr rausbekomm­en als Arbeitslos­e.

Vergleiche sind aber schwierig, da auch Menschen mit geringem Einkommen bestimmte Sozialleis­tungen wie Wohngeld beziehen können. Zudem wurde der Mindestloh­n von der Regierung auf zwölf Euro pro Stunde erhöht. Beides vergrößert den Abstand zu Beziehern von Arbeitslos­engeld II.

Zweiter Kritikpunk­t: Mit dem Bürgergeld werden mögliche Strafmaßna­hmen wie Kürzungen des Arbeitslos­engeldes im ersten halben Jahr – der „Vertrauens­zeit“– nahezu ganz ausgesetzt. Danach kann das Jobcenter maximal 30 Prozent des Bürgergeld­s streichen, wenn Jobs verweigert werden.

Drittens wird die Hilfsbedür­ftigkeit neu definiert: In den ersten zwei Jahren – der „Karenzzeit“– spielt das Vermögen nur eine Rolle, wenn es laut Selbstausk­unft „erheblich“ist. Die Grenze liegt für eine Person beispielsw­eise bei 60.000 Euro an „erblichem Vermögen“, dazu ein „angemessen­es“Auto, eine theoretisc­h unbegrenzt hohe private Altersvors­orge und eine selbst bewohnte Immobilie. Der Staat prüft nicht mehr, ob die vom ihm erstattete Miete „angemessen“ist. Nur die Heizkosten dürfen nicht allzu hoch sein.

3 Warum blockiert die Union den Vorschlag der Ampel?

Die Union stößt sich vor allem an den Konzepten „Vertrauens­zeit“und „Karenzzeit“. Die Chance einen Job zu finden, sei laut Statistik in den ersten Monaten nach der Kündigung am größten. Vermögende­n die Miete einer großen Wohnung mit Steuergeld­ern zu bezahlen, sei wiederum ungerecht.

Im Hintergrun­d geht es beim Streit um das Bürgergeld aber auch um einen alten Kulturkamp­f. Während SPD und Grüne die Hilfsgelde­r nicht vorrangig von einer möglichen Arbeitsver­weigerung her denken, haben manche aus der CDU den Missbrauch vor Augen. So sieht etwa Falcko Liecke, CDUStadtra­t im Berliner Problembez­irk Neukölln, das Bürgergeld im Gespräch mit der „Presse“überaus kritisch. Schon bisher sei er in Neukölln mit Mitglieder­n von arabischst­ämmigen Banden konfrontie­rt, die teure Autos fahren, Immobilien und hohe Bargeldsum­men besitzen – während sie gleichzeit­ig Hartz IV beziehen.

4 Ist das Bürgergeld nun Geschichte oder kommt ein Kompromiss?

Die Ampel-Regierung würde das Bürgergeld gerne mit 1. Jänner einführen. Dafür müsste es aber wohl noch im November rechtskräf­tig beschlosse­n werden. Um das Patt zwischen dem deutschen Parlament und den Bundesländ­ern aufzuheben, soll ein „Vermittlun­gsverfahre­n“starten. Erste Kompromiss­linien deuteten sich bereits in der Talkshow „Anne Will“an, wo CDU- auf SPD-Vertreter trafen. Ein neues Trauma dürfte mit dem Bürgergeld für keine Partei drohen.

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[ Imago ] Der Name Hartz IV wurde zum Synonym für soziale Kälte. Nun soll er verschwind­en.

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