Die EU will Russland global isolieren
Geopolitik. Die Außenminister der Mitgliedstaaten ziehen aus dem russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine den Schluss, dass eine radikale Kehrtwende ihrer Strategie erforderlich ist.
Brüssel. Nur eine Seite lang ist das vertrauliche Dokument, welches der „Presse“vorliegt, doch es bedeutet eine grundlegende Neuausrichtung der EU gegenüber Russland. „Im Kontext des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine besteht die Position der EU darin, Russland international zu isolieren, restriktive Maßnahmen gegen Russland einzuführen und umzusetzen, und ihre Umgehung zu unterbinden, um Russland daran zu hindern, Krieg zu führen“, heißt es zu Beginn dieses Entwurfes für die gemeinsame Linie der 27 Außenminister, den sie am Montag in Brüssel diskutierten.
Das ist eine scharfe Abkehr von der am 14. März 2016 beschlossenen EU-Strategie gegenüber Moskau. Damals stand, nach zwei Jahren offener und hybrider russischer Kriegsführung gegen die Ukraine, noch „die volle Umsetzung der Minsker Abkommen“an erster Stelle, „bevor wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden können“.
Kriegsverbrecher verfolgen
Doch die damalige Hoffnung der Europäer, sie könnten den russischen Präsidenten, Wladimir Putin, durch ökonomischen Druck zurück an den Verhandlungstisch bringen, ist knapp neun Monate nach der Eröffnung des unverhohlenen Krieges gegen die Ukraine verflogen. Vom Ziel der Minsker Abkommen, unter Vermittlung von Deutschland und Frankreich eine gütliche Einigung zwischen Moskau und Kiew über den Status der besetzten Krim und das Ende der Kämpfe in den ostukrainischen Regionen um die Städte Luhansk und Donezk zu finden, ist heute im Licht des Krieges, aber auch der offenen Drohungen Putins gegen den Westen keine Rede mehr.
Stattdessen schlägt Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, den 27 Außenministern über die Isolation Russlands hinaus fünf weitere Grundsätze vor. Erstens sicherzustellen, dass „Russland sowie seine Täter und Gehilfen, die für den Bruch des Völkerrechts und Kriegsverbrechen in der Ukraine verantwortlich sind, zur Verantwortung gezogen werden“. Zweitens „die Nachbarn der EU und Partner weltweit zu unterstützen, um die globalen Folgen des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine anzugehen“. Hier nennt der Text, den die Minister noch marginal ändern könnten, Russlands Einsatz von Lebensmitteln und Energie als Waffe: „Russland ist allein verantwortlich für die globale Krise der Lebensmittelsicherheit, die es provoziert hat.“Drittens solle die EU eng mit der Nato und Partnern weltweit zusammenarbeiten, um die regelbasierte Weltordnung zu verteidigen und zu stärken. „Die Idee von ,Einflusssphären‘ hat keinen Platz im 21. Jahrhundert und kann nicht Teil einer künftigen europäischen Sicherheitsordnung sein.“
Russen als Sicherheitsrisiko
Viertens solle „die Widerstandsfähigkeit der EU gestärkt werden, insbesondere bei der Energiesicherheit und kritischer Infrastruktur, um Russlands Cyber- und hybriden Bedrohungen, Informationsmanipulation sowie Einmischung entgegenzutreten“. Der Krieg mache es „noch dringlicher, die EU stärker und fähiger in Sachen Sicherheit und Verteidigung zu machen“. Und schließlich solle die EU „die Zivilgesellschaft, Menschenrechtsverteidiger und unabhängige Medien inner- und außerhalb Russlands unterstützen, während sie auch die wachsenden Bedrohungen für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung in der EU angeht“. Auch dieser letzte Punkt der neuen Russland-Doktrin der EU klingt deutlich nüchterner als jener der alten aus dem Jahr 2016, als man sich noch um „verstärkte zwischenmenschliche Kontakte“mit Russen bemühen wollte, weil die Sanktionen „das Regime und nicht die Menschen anvisieren“.
Borrells neue Doktrin dürfte die Unterstützung der Mitgliedstaaten erfahren, auch wenn noch offen ist, wie sich Ungarn, der derzeit einzige verbliebene Befürworter einer Annäherung an den Kreml, positionieren wird. Schwedens neuer Außenminister, Tobias Billström, machte beispielhaft für
viele seiner Amtskollegen vor Beginn des Ratstreffens am Montag die Grundhaltung klar: „Der Kampf der Ukraine gegen den russischen Angriff ist etwas, das wir vor allen anderen Fragen prioritär behandeln müssen.“