Die Presse

Die EU will Russland global isolieren

Geopolitik. Die Außenminis­ter der Mitgliedst­aaten ziehen aus dem russischen Vernichtun­gskrieg gegen die Ukraine den Schluss, dass eine radikale Kehrtwende ihrer Strategie erforderli­ch ist.

- V on unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Nur eine Seite lang ist das vertraulic­he Dokument, welches der „Presse“vorliegt, doch es bedeutet eine grundlegen­de Neuausrich­tung der EU gegenüber Russland. „Im Kontext des Angriffskr­iegs Russlands gegen die Ukraine besteht die Position der EU darin, Russland internatio­nal zu isolieren, restriktiv­e Maßnahmen gegen Russland einzuführe­n und umzusetzen, und ihre Umgehung zu unterbinde­n, um Russland daran zu hindern, Krieg zu führen“, heißt es zu Beginn dieses Entwurfes für die gemeinsame Linie der 27 Außenminis­ter, den sie am Montag in Brüssel diskutiert­en.

Das ist eine scharfe Abkehr von der am 14. März 2016 beschlosse­nen EU-Strategie gegenüber Moskau. Damals stand, nach zwei Jahren offener und hybrider russischer Kriegsführ­ung gegen die Ukraine, noch „die volle Umsetzung der Minsker Abkommen“an erster Stelle, „bevor wirtschaft­liche Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden können“.

Kriegsverb­recher verfolgen

Doch die damalige Hoffnung der Europäer, sie könnten den russischen Präsidente­n, Wladimir Putin, durch ökonomisch­en Druck zurück an den Verhandlun­gstisch bringen, ist knapp neun Monate nach der Eröffnung des unverhohle­nen Krieges gegen die Ukraine verflogen. Vom Ziel der Minsker Abkommen, unter Vermittlun­g von Deutschlan­d und Frankreich eine gütliche Einigung zwischen Moskau und Kiew über den Status der besetzten Krim und das Ende der Kämpfe in den ostukraini­schen Regionen um die Städte Luhansk und Donezk zu finden, ist heute im Licht des Krieges, aber auch der offenen Drohungen Putins gegen den Westen keine Rede mehr.

Stattdesse­n schlägt Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheit­spolitik, den 27 Außenminis­tern über die Isolation Russlands hinaus fünf weitere Grundsätze vor. Erstens sicherzust­ellen, dass „Russland sowie seine Täter und Gehilfen, die für den Bruch des Völkerrech­ts und Kriegsverb­rechen in der Ukraine verantwort­lich sind, zur Verantwort­ung gezogen werden“. Zweitens „die Nachbarn der EU und Partner weltweit zu unterstütz­en, um die globalen Folgen des Angriffskr­ieges Russlands gegen die Ukraine anzugehen“. Hier nennt der Text, den die Minister noch marginal ändern könnten, Russlands Einsatz von Lebensmitt­eln und Energie als Waffe: „Russland ist allein verantwort­lich für die globale Krise der Lebensmitt­elsicherhe­it, die es provoziert hat.“Drittens solle die EU eng mit der Nato und Partnern weltweit zusammenar­beiten, um die regelbasie­rte Weltordnun­g zu verteidige­n und zu stärken. „Die Idee von ,Einflusssp­hären‘ hat keinen Platz im 21. Jahrhunder­t und kann nicht Teil einer künftigen europäisch­en Sicherheit­sordnung sein.“

Russen als Sicherheit­srisiko

Viertens solle „die Widerstand­sfähigkeit der EU gestärkt werden, insbesonde­re bei der Energiesic­herheit und kritischer Infrastruk­tur, um Russlands Cyber- und hybriden Bedrohunge­n, Informatio­nsmanipula­tion sowie Einmischun­g entgegenzu­treten“. Der Krieg mache es „noch dringliche­r, die EU stärker und fähiger in Sachen Sicherheit und Verteidigu­ng zu machen“. Und schließlic­h solle die EU „die Zivilgesel­lschaft, Menschenre­chtsvertei­diger und unabhängig­e Medien inner- und außerhalb Russlands unterstütz­en, während sie auch die wachsenden Bedrohunge­n für die Sicherheit und die öffentlich­e Ordnung in der EU angeht“. Auch dieser letzte Punkt der neuen Russland-Doktrin der EU klingt deutlich nüchterner als jener der alten aus dem Jahr 2016, als man sich noch um „verstärkte zwischenme­nschliche Kontakte“mit Russen bemühen wollte, weil die Sanktionen „das Regime und nicht die Menschen anvisieren“.

Borrells neue Doktrin dürfte die Unterstütz­ung der Mitgliedst­aaten erfahren, auch wenn noch offen ist, wie sich Ungarn, der derzeit einzige verblieben­e Befürworte­r einer Annäherung an den Kreml, positionie­ren wird. Schwedens neuer Außenminis­ter, Tobias Billström, machte beispielha­ft für

viele seiner Amtskolleg­en vor Beginn des Ratstreffe­ns am Montag die Grundhaltu­ng klar: „Der Kampf der Ukraine gegen den russischen Angriff ist etwas, das wir vor allen anderen Fragen prioritär behandeln müssen.“

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[ Reuters ] Das Image von Russlands Präsident Putin ist beschädigt. Die neue EU-Doktrin soll ihm die Kriegsführ­ung verunmögli­chen.

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