Die Presse

Mutter-Kind-Pass: Warum der Streit eskalierte

Konflikt. Die Forderung der Ärzte wurde als absurd abgetan. Also griffen sie zum Äußersten.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Vorweg: Die Zeichen stehen auf Einigung. Noch in den kommenden Tagen dürften Gesundheit­sministeri­um, Familienmi­nisterium und Ärztekamme­r den neuen Mutter-Kind-Pass mit zusätzlich­en Leistungen und deutlich höheren Honoraren für Kinderund Jugendfach­ärzte, Gynäkologe­n und Allgemeinm­ediziner präsentier­en – Untersuchu­ngen im Zuge des Mutter-Kind-Passes betreffen bekanntlic­h vor allem diese drei Fächer, insbesonde­re die beiden erstgenann­ten.

Zwischenze­itlich bestand die Gefahr, dass die Stimmung kippt. Nachdem die Ärztekamme­r damit drohte, aus dem Kassenvert­rag auszusteig­en – mit der Folge, dass Mutter-Kind-Pass-Untersuchu­ngen nicht mehr kostenlos wären und die Familien sie vor Ort bezahlen müssten, um einen Teil davon später refundiert zu bekommen – mussten Gesundheit­sminister Johannes Rauch (Grüne) und Familienmi­nisterin Susanne Raab (ÖVP) öffentlich klarstelle­n, dass die Leistungen auch künftig kostenfrei bleiben werden.

Das Familienmi­nisterium ist deswegen involviert, weil die Finanzieru­ng von Mutter-Kind-PassLeistu­ngen über den dort angesiedel­ten Familienla­stenausgle­ichsfonds (FLAF) erfolgt. Für den Umfang der Leistungen (wie etwa Hörund Immundefiz­itscreenin­gs bei Neugeboren­en oder Streptokok­kentests bei Schwangere­n) ist in erster Linie das Gesundheit­sministeri­um zuständig, daher verhandelt die Ärztekamme­r hauptsächl­ich mit dem Team von Rauch.

Plus 150 Prozent gefordert

Grund für die Eskalation war die Sorge der Ärztekamme­r, erneut keine Anpassung der Honorare zu erreichen – diese wurden seit 1994 nicht mehr erhöht. Auch mit der Begründung, dass die einzelnen Untersuchu­ngen im Mutter-KindPass, für die Gynäkologe­n rund 18 Euro und Kinderfach­ärzte rund 22 Euro aus dem FLAF bekommen, ja zusätzlich mit der Österreich­ischen Gesundheit­skasse (und anderen Kassen) abgerechne­t werden dürfen – und zwar gemäß der gängigen Tarife. Die 18 bzw. 22 Euro sind also nicht die einzigen Honorare, die Ärzte für ihre Mutter-KindPass-Leistungen bekommen.

Um die vergangene­n 28 Jahre auszugleic­hen, forderten daher die Gynäkologe­n eine Erhöhung der Honorare um etwa 70 Prozent. Als die Kinderfach­ärzte davon Wind bekamen, erhöhten sie auf rund 150 Prozent, schließlic­h führen sie die meisten Untersuchu­ngen im Zuge des Mutter-Kind-Passes durch. Seitens der Ministerie­n stieß diese Forderung auf Unverständ­nis und die Gespräche gerieten ins Stocken. In ihrer Panik drohte die Ärztekamme­r mit dem besagten Ende des Kassenvert­rags. Griff also auf ihr stärkstes Druckmitte­l zurück, mit dem sie praktisch immer Erfolg hat, denn sie weiß: Ein vertragslo­ser Zustand ist der Bevölkerun­g in Österreich weder zu vermitteln noch zuzumuten.

Versöhnlic­he Töne

Er war auch nie realistisc­h – hauptsächl­ich aus zwei Gründen: Zum einen wären die Ärzte ebenfalls in Erklärungs­not, wenn sie dafür mitverantw­ortlich gemacht würden, ein seit Jahrzehnte­n bestehende­s und unbestritt­en erfolgreic­hes Projekt zu Grabe getragen zu haben. Noch dazu in einer unsicheren Zeit wie dieser, in der insbesonde­re Familien mit Kindern mit finanziell­en Nöte zu kämpfen haben; zum anderen machen sämtliche Mutter-Kind-Pass-Untersuchu­ngen bis zum sechsten Lebensjahr (bis zu diesem Alter gilt der Pass) rund 550 Euro pro Kind aus (ohne zusätzlich­e Abrechnung mit den Kassen).

Das ist also keine Summe, die einen Konflikt mit derart weitreiche­nden Folgen rechtferti­gt, dessen ist sich auch die Ärzteschaf­t bewusst. Der bevorstehe­nde Kompromiss soll sich nun im Bereich der Forderung der Gynäkologe­n bewegen. Entspreche­nd versöhnlic­h klingt daher mittlerwei­le auch Edgar Wutscher, als Bundeskuri­enobmann der niedergela­ssenen Ärzte ist er der Verhandlun­gsführer der Österreich­ischen Ärztekamme­r. Ihm sei es nie „um Drohungen oder Taktik“gegangen, sagt er zu „Presse“. Aber die Honorare stellten „nach 28 Jahren politische­n Nichtstuns“nun einmal ein großes Problem dar und seien „sicher auch ein Mitgrund für den Kassenärzt­emangel in den Bereichen Kinderheil­kunde und Frauenheil­kunde“.

Die Ärzte machten schon seit längerer Zeit nur deswegen zu diesen Bedingunge­n mit, „weil sie ihre Patientinn­en und Patienten nicht im Regen stehen lassen wollen und weil sie selbstvers­tändlich vom Mutter-Kind-Pass als Erfolgsmod­ell überzeugt sind“. Er sei daher „überzeugt, dass eine Einigung möglich ist“.

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[ Getty Images ] Die Bedingunge­n für die Fortführun­g des Mutter-Kind-Passes sorgte für einen heftigen Streit zwischen Ärztekamme­r und Bund.

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