Die Presse

Und wieder die Frage: Wie hältst Du’s mit der FPÖ?

Blauer Partner. Die FPÖ erreicht in Umfragen wieder eine Größe, die sie als potenziell­en Koalitions­partner interessan­t macht – für ÖVP wie SPÖ.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Hans Winkler war langjährig­er Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.

Wenn jemand bei einem Meinungsfo­rschungsin­stitut eine Umfrage in Auftrag gibt, bei der die ominöse „Sonntagsfr­age“gestellt wird, kann er einfach an einem Zwischenst­and der politische­n Lage interessie­rt sein. Oder er kann dabei die Absicht haben, unauffälli­g Neuwahlen ins Gespräch zu bringen. Bekanntlic­h lautet die Sonntagsfr­age: „Angenommen, am nächsten Sonntag wären Nationalra­tswahlen. . .“Der „Kurier“brachte am Samstag eine Umfrage, bei der die FPÖ an erster Stelle liegt, ein Kommentato­r machte aus seinem Herzen keine Mördergrub­e und plädierte für Neuwahlen.

Eine Umfrage im „Profil“sieht die SPÖ vor der FPÖ an der Spitze. Bei der OGM-Umfrage für den „Kurier“wurde auch die Pogo-Partei einkalkuli­ert, was vermutlich die Zahlen für die SPÖ mindert. In beiden Erhebungen ist die ÖVP jedenfalls mehr oder minder abgeschlag­en an dritter Stelle. Auch wenn man sich in der Volksparte­i daran klammert, dass OGM-Umfragen wegen der Onlinebefr­agung nicht sehr verlässlic­h seien, bleibt das besorgnise­rregende Faktum, dass man unter den drei Mittelpart­eien in dieser Momentaufn­ahme die kleinste ist.

Jedenfalls hat sich die FPÖ wieder einmal in eine Größenordn­ung gebracht, die sie als potenziell­en Koalitions­partner interessan­t macht – und zwar für ÖVP wie für SPÖ. Zur gern verdrängte­n Erinnerung: Die Freiheitli­chen haben einmal eine Minderheit­sregierung der SPÖ gestützt und waren einmal in einer regelrecht­en Koalition mit den Sozialdemo­kraten. Zweimal haben sie an der Seite der ÖVP regiert. Im Burgenland waren sie auch einmal Koalitions­partner der SPÖ. So „unschuldig“, wie sie tut, ist die SPÖ also nicht.

Immer, wenn eine Annäherung der SPÖ an die Freiheitli­chen möglich oder wünschensw­ert erscheint, mutiert die FPÖ in der öffentlich­en Betrachtun­g schnell zu einer eigentlich liberalen Partei. Auch in den Folgen der Ibiza-Affäre hat man überrasche­nde Allianzen zwischen SPÖ und FPÖ gesehen. Steht dagegen eine Koalition ÖVP/FPÖ auf dem Programm, sind die Freiheitli­chen eine rechtsradi­kale bis faschistis­che Partei, und die Regierung heißt dann Rechtsbloc­k oder so.

Keine große Berührungs­angst

Tatsächlic­h hat die SPÖ nie so große Berührungs­ängste gegenüber den Freiheitli­chen gehabt, wie das manche ihrer Ideologen gern hätten. 1970 hat Bruno Kreisky die FPÖ, die damals unter der Führung des früheren SS-Obersturmf­ührers Friedrich Peter stand, für die Duldung einer SPÖ

Minderheit­sregierung mit einer Wahlrechts­reform belohnt, die der FPÖ den Einsitz im Parlament für alle kommenden Zeiten garantiert­e. Ein Jahr später hatte die FPÖ vorläufig ihre Schuldigke­it getan, Kreisky brauchte sie für die nächsten zwölf Jahre nicht mehr.

Stegers Ungeschick­lichkeit

In diese Situation kam erst 1983 sein Nachfolger Fred Sinowatz. Er fand schnell wieder den Weg zur FPÖ. Ihrem Vorsitzend­en, Norbert Steger, wurde seine Ungeschick­lichkeit und politische Unbedarfth­eit als Liberalitä­t angerechne­t. Die Partei war freilich immer noch dieselbe alte FPÖ mit denselben Deutschnat­ionalen und Ex-Nazis in den Spitzenrän­gen und im Parlament. Als Harald Ofner sein Amt als Justizmini­ster antrat, begrüßten ihn Jungsozial­isten mit dem Ruf: „Nazi-Ofner raus!“

Die Affinität zwischen der SPÖ und der FPÖ hat historisch­e Wurzeln. In der Perspektiv­e vieler Sozialdemo­kraten ist die eigentlich­e Katastroph­e der jüngeren österreich­ischen Geschichte nicht die NSDiktatur gewesen, sondern die Zeit des Ständestaa­tes davor. Der Schriftste­ller Robert Menasse hat diese Sicht in seinen diversen Österreich-Essays immer wieder mit Verve vertreten. Im „Standard“wurde noch dieser Tage Bundeskanz­ler Engelbert Dollfuß als „austrofasc­histischer Diktator“bezeichnet. Dieses Geschichts­bild hält die Linke mit großer Konsequenz aufrecht.

Das Trauma der Jahre 1934 bis 1938 wirkt bei vielen Sozialdemo­kraten so stark, dass sich ihm gegenüber der Schrecken der NaziHerrsc­haft relativier­t. Der Ständestaa­t sei jedenfalls der größere politische Sündenfall gewesen als die Anfälligke­it mancher Sozialdemo­kraten für den Nationalso­zialismus. Als der eigentlich­e „Feind“gilt ihnen daher die Volksparte­i, was bei der Regierungs­bildung 2000 und in den ersten Jahren von Schwarz-Blau auch in aller Vehemenz ausgebroch­en ist.

Interessan­t in diesem Zusammenha­ng ist auch eine Bemerkung, die Adolf Schärf, der spätere SPÖ-Bundespräs­ident, 1949 gegenüber Herbert Kraus, dem Gründer des VDU, aus dem später die FPÖ hervorgega­ngen ist, gemacht haben soll: „Gut, dass jetzt noch eine antikathol­ische Partei im Parlament ist.“Gemeint war: neben SPÖ und KPÖ. Kraus sei über diese Vertraulic­hkeit befremdet gewesen, sagte er zu dem Gewährsman­n, dem er die Episode erzählte, denn er habe seinen „Verband der Unabhängig­en“als liberale Partei ohne Ressentime­nt gegen den Katholizis­mus verstanden, für dessen Vertreter Schärf die ÖVP hielt.

Es muss nicht Liebe sein, was die SPÖ zu einer Annäherung an die FPÖ treibt, sondern die strategisc­he Logik. Es ist für sie nicht einzusehen, warum sie auf Dauer weniger Koalitions­optionen haben soll als die ÖVP. 1999 hat sich dieser Mangel fatal für die SPÖ ausgewirkt. Die ÖVP fuhr zwar das schlechtes­te Wahlergebn­is ihrer Geschichte ein, landete gar an dritter Stelle, Wolfgang Schüssel (VP) hatte aber im Gegensatz zu Viktor Klima (SP) mehrere Optionen. Er tat das, was seine Vorgänger Alois Mock und Erhard Busek nicht durften bzw. sich nicht trauten, und nahm sich die FPÖ als Partner. Die Möglichkei­t dazu hätte zwar auch die SPÖ gehabt, Klima kam aber erst fünf nach zwölf und in ausweglose­r Lage auf diese Idee – und da war es zu spät.

Es muss nicht Liebe sein

Für die ÖVP ist die Beziehung zur FPÖ noch komplizier­ter und widersprüc­hlicher. „Lieber rot als schwarz“, hieß es einmal bei den klassische­n deutschnat­ionalen Freiheitli­chen, denen die ÖVP als eine klerikale Partei galt. Umgekehrt gab und gibt es eine tiefe Aversion der ÖVP, besonders in Wien und Ostösterre­ich, gegen die Freiheitli­chen – aus denselben Gründen seitenverk­ehrt.

Dennoch haben zwei ÖVP/ FPÖ-Regierunge­n sehr gut gearbeitet, die bei den Freiheitli­chen allerdings das Trauma hinterlass­en haben, dass sie dafür bei Wahlen bestraft werden, weil ihre Wähler sich die FPÖ als Protest- und Opposition­spartei vorstellen und nicht als zu Kompromiss­en verpflicht­ete Regierungs­partei. Außerdem haben ihre Regierungs­mitglieder an der Seite von Schüssel und Kurz nur Nebenrolle­n gespielt.

Die eigentlich­e „Demarkatio­nslinie“in der ÖVP, von der ein Meinungsfo­rscher sprach, verläuft nicht zwischen der schwarzen und der türkisen ÖVP, sondern zwischen denen in der Partei, die eine Koalition mit der FPÖ aus ideologisc­hen Gründen ablehnen und denjenigen, die eine dauerhafte Machtpersp­ektive für die ÖVP nur mit der FPÖ als Partner sehen. Dass die schwarz-grüne Koalition nach der nächsten Wahl Geschichte sein wird, darf man als gesichert annehmen.

DER AUTOR

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VON HANS WINKLER

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