Die Presse

In der Integratio­n – und der Debatte darüber – läuft vieles schief

Man sollte bei aller Empörung die Relation nicht aus den Augen verlieren: 2021 gab es in Österreich 40.000 Asylanträg­e, in Linz haben 200 Radaubrüde­r gewütet.

- VON ANDREA SCHURIAN E-Mails an: debatte@diepresse.com Morgen in „Quergeschr­ieben“: Karl-Peter Schwarz

Das, was in der Halloween-Nacht in Linz passiert ist, war kein Krieg, so wie es die Mitglieder der Jugendband­e „La Casa Bariks 4030“und deren Radaubrüde­r herbeigese­hnt hatten, als sie randaliere­nd durch Linz zogen, Böller und Glasflasch­en auf Passanten und Polizisten warfen. 4030 ist die Postleitza­hl des Linzer Stadtteils Ebelsberg, wo besonders viele Migranten wohnen. Meist stammen sie aus Syrien, Afghanista­n, Tschetsche­nien oder Bosnien, aus Ländern also, in denen Krieg, Unterdrück­ung, bitterste Armut herrschen, weshalb die jungen Männer (mit oder ohne Familien) in Österreich um Asyl gebeten haben. Menschen, die vor Krieg flüchten, erklären einer offenbar ratlosen Gesellscha­ft, die ihnen Schutz gewährt und sie mit Sozialleis­tungen versorgt, den Krieg. Gleichzeit­ig werden gut integriert­e Schülerinn­en und Schüler, Lehrlinge, Gastgewerb­epersonal, Studierend­e mit ausgezeich­neten Deutschken­ntnissen abgeschobe­n. Logik? Null. Österreich habe ein Asyl-Problem, klagen schwarze und erst recht blaue Politakteu­re sowie Burgenland­s roter Landeshaup­tmann. Österreich habe keins, entgegnet hingegen die Chefin der Bundes-SPÖ, während ihr Klubobmann, Jörg Leichtfrie­d, gemeinsam mit dem steirische­n FPÖ-Chef, Mario Kunasek, in Kindberg gegen ein geplantes Flüchtling­squartier demonstrie­rt, weil 500 Asylsuchen­de einer 8000-Seelen-Stadt nicht zumutbar seien. An der Behebung dieser innerparte­ilichen dissoziati­ven Störung sollte die SPÖ eiligst arbeiten.

In der Integratio­n (und der Debatte darüber) läuft ziemlich vieles schief. Aus Sorge, als rechtsdump­fer Ausländerf­eind abgestempe­lt zu werden, wird vielerorts Klartext vermieden. Unschöne Tatsache ist, dass einer nicht unerheblic­hen Anzahl zugewander­ter Menschen unsere Gesetze und Umgangsfor­men gleichgült­ig sind. Viele würden, so eine aktuelle Studie, „primäre Alphabetis­ierung“benötigen. Fast täglich gibt es Berichte über Gewalttate­n, sexuelle Übergriffe, Missbrauch­shandlunge­n, Drogendeli­kten aus diesen Milieus. Das ist eine Zumutung – vor allem auch für die überwiegen­de Mehrheit der Migrantinn­en und Migranten, die hier in Frieden leben wollen. Bei aller berechtigt­er Empörung sollte man die Relationen nicht aus den Augen verlieren: 2,24 Millionen Personen, also rund ein Viertel der Gesamtbevö­lkerung, haben Migrations­hintergrun­d, im Vorjahr wurden knapp vierzigtau­send Asylanträg­e gestellt. In eben diesem Jahr waren 39 Prozent der Tatverdäch­tigen, 41,3 Prozent der Verurteilt­en und 55,7 Prozent der neu Inhaftiert­en laut Statista Ausländer; das heißt, der Ausländera­nteil war deutlich höher als in der Gesamtbevö­lkerung mit rund 17 Prozent.

In Onlinefore­n wird nicht mit guten Tipps gegeizt: Man müsse Menschen während des Asylaufnah­meverfahre­ns nur Arbeit, Schaufel und Krampen geben, Künetten graben könne schließlic­h auch der ungebildet­ste Analphabet. Eh. Tatsache ist: Asylberech­tigte und subsidiär schutzbere­chtigte Menschen benötigen keine Beschäftig­ungsbewill­igung; und Asylsuchen­de dürfen während des Aufnahmeve­rfahrens zumindest Hilfsarbei­ten leisten, die in unmittelba­rem Zusammenha­ng mit ihrer Unterbring­ung stehen; auch gemeinnütz­ige Hilfsarbei­ten für Bund, Länder und Gemeinden sind erlaubt.

Unschöne Tatsache ist, dass vielen zugewander­ten Menschen unsere Gesetze und Umgangsfor­men gleichgült­ig sind.

Immer wieder liefern sich in Frankreich Jugendlich­e aus den Banlieues bürgerkrie­gsähnliche Kämpfe mit der Polizei, werfen Molotowcoc­ktails auf Einsatzfah­rzeuge oder greifen, wie im Oktober 2020, ein Polizeikom­missariat mit Feuerwerks­körpern und Eisenstang­en an. Banlieues, schrieb die „FAZ“, seien rechtlose Zonen und Brutstätte­n (islamistis­chen) Terrors; die Mehrzahl ihrer Bewohner würde von Sozialleis­tungen oder kriminelle­n Geschäften leben. Nein, so grimmig ist es in Österreich – noch – nicht. Dass es auch nie so wird, sollte über alle Parteigren­zen hinweg das gemeinsame Ziel österreich­ischer Politiker sein: ohne ängstliche Schönreder­ei. Aber auch ohne Alarmismus.

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