In der Integration – und der Debatte darüber – läuft vieles schief
Man sollte bei aller Empörung die Relation nicht aus den Augen verlieren: 2021 gab es in Österreich 40.000 Asylanträge, in Linz haben 200 Radaubrüder gewütet.
Das, was in der Halloween-Nacht in Linz passiert ist, war kein Krieg, so wie es die Mitglieder der Jugendbande „La Casa Bariks 4030“und deren Radaubrüder herbeigesehnt hatten, als sie randalierend durch Linz zogen, Böller und Glasflaschen auf Passanten und Polizisten warfen. 4030 ist die Postleitzahl des Linzer Stadtteils Ebelsberg, wo besonders viele Migranten wohnen. Meist stammen sie aus Syrien, Afghanistan, Tschetschenien oder Bosnien, aus Ländern also, in denen Krieg, Unterdrückung, bitterste Armut herrschen, weshalb die jungen Männer (mit oder ohne Familien) in Österreich um Asyl gebeten haben. Menschen, die vor Krieg flüchten, erklären einer offenbar ratlosen Gesellschaft, die ihnen Schutz gewährt und sie mit Sozialleistungen versorgt, den Krieg. Gleichzeitig werden gut integrierte Schülerinnen und Schüler, Lehrlinge, Gastgewerbepersonal, Studierende mit ausgezeichneten Deutschkenntnissen abgeschoben. Logik? Null. Österreich habe ein Asyl-Problem, klagen schwarze und erst recht blaue Politakteure sowie Burgenlands roter Landeshauptmann. Österreich habe keins, entgegnet hingegen die Chefin der Bundes-SPÖ, während ihr Klubobmann, Jörg Leichtfried, gemeinsam mit dem steirischen FPÖ-Chef, Mario Kunasek, in Kindberg gegen ein geplantes Flüchtlingsquartier demonstriert, weil 500 Asylsuchende einer 8000-Seelen-Stadt nicht zumutbar seien. An der Behebung dieser innerparteilichen dissoziativen Störung sollte die SPÖ eiligst arbeiten.
In der Integration (und der Debatte darüber) läuft ziemlich vieles schief. Aus Sorge, als rechtsdumpfer Ausländerfeind abgestempelt zu werden, wird vielerorts Klartext vermieden. Unschöne Tatsache ist, dass einer nicht unerheblichen Anzahl zugewanderter Menschen unsere Gesetze und Umgangsformen gleichgültig sind. Viele würden, so eine aktuelle Studie, „primäre Alphabetisierung“benötigen. Fast täglich gibt es Berichte über Gewalttaten, sexuelle Übergriffe, Missbrauchshandlungen, Drogendelikten aus diesen Milieus. Das ist eine Zumutung – vor allem auch für die überwiegende Mehrheit der Migrantinnen und Migranten, die hier in Frieden leben wollen. Bei aller berechtigter Empörung sollte man die Relationen nicht aus den Augen verlieren: 2,24 Millionen Personen, also rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung, haben Migrationshintergrund, im Vorjahr wurden knapp vierzigtausend Asylanträge gestellt. In eben diesem Jahr waren 39 Prozent der Tatverdächtigen, 41,3 Prozent der Verurteilten und 55,7 Prozent der neu Inhaftierten laut Statista Ausländer; das heißt, der Ausländeranteil war deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung mit rund 17 Prozent.
In Onlineforen wird nicht mit guten Tipps gegeizt: Man müsse Menschen während des Asylaufnahmeverfahrens nur Arbeit, Schaufel und Krampen geben, Künetten graben könne schließlich auch der ungebildetste Analphabet. Eh. Tatsache ist: Asylberechtigte und subsidiär schutzberechtigte Menschen benötigen keine Beschäftigungsbewilligung; und Asylsuchende dürfen während des Aufnahmeverfahrens zumindest Hilfsarbeiten leisten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Unterbringung stehen; auch gemeinnützige Hilfsarbeiten für Bund, Länder und Gemeinden sind erlaubt.
Unschöne Tatsache ist, dass vielen zugewanderten Menschen unsere Gesetze und Umgangsformen gleichgültig sind.
Immer wieder liefern sich in Frankreich Jugendliche aus den Banlieues bürgerkriegsähnliche Kämpfe mit der Polizei, werfen Molotowcocktails auf Einsatzfahrzeuge oder greifen, wie im Oktober 2020, ein Polizeikommissariat mit Feuerwerkskörpern und Eisenstangen an. Banlieues, schrieb die „FAZ“, seien rechtlose Zonen und Brutstätten (islamistischen) Terrors; die Mehrzahl ihrer Bewohner würde von Sozialleistungen oder kriminellen Geschäften leben. Nein, so grimmig ist es in Österreich – noch – nicht. Dass es auch nie so wird, sollte über alle Parteigrenzen hinweg das gemeinsame Ziel österreichischer Politiker sein: ohne ängstliche Schönrederei. Aber auch ohne Alarmismus.