Wenn Russland die USA für besonnen erklärt
Reaktionen. Moskau pflegt nach dem tödlichen Einschlag an der ukrainisch-polnischen Grenze weiter das Narrativ vom russischen Unschuldslamm und lobt gar US-Präsident Biden.
Moskau. „Ein schwarzer Tag für Selenskij“, titelt die große staatsnahe russische Boulevardzeitung „Komsomolskaja Prawda“am Tag nach dem Raketeneinschlag an der ukrainisch-polnischen Grenze. Für die Redaktion in Moskau ist schnell klar: „Die Ukraine hat eine Rakete über Polen abgeworfen und es nicht geschafft, den Vorfall auf Russland zu schieben.“Im Text ist von westlicher Hysterie die Rede, von Selenskij, dem „Komiker-Präsidenten“, mit dem es „nicht langweilig“werde.
Jegliche Verantwortung für die erklärte Vernichtung des Nachbarlandes weist Russland seit Monaten von sich. Für Moskau ist es der Westen, der ihm den Krieg aufzwingt. Die „Argumentation“folgt dadurch stets derselben Linie: Der Westen sei an keiner Untersuchung interessiert, der Westen eskaliere, der Westen kaufe der Ukraine allerlei Lügen ab. Die Erklärung aus Polen, bei dem tödlichen Einschlag handle es sich „höchstwahrscheinlich“um ukrainische Luftabwehr, wie Polens Präsident, Andrzej Duda, am Mittwoch mitteilte, überziehen russische Propagandisten mit Häme. „Warum mussten sie denn überhaupt etwas vom Himmel holen?“, fragt, gewohnt zynisch, Wladimir Solowjow in seiner Abendsendung im Staatssender Rossija 1. „Und, wird uns die Nato nun einen Krieg erklären. Soll sie doch! Wir haben 6000 Sprengköpfe, die endlich eingesetzt würden“, sagt er später in seiner Radiosendung.
Moskau spricht von Provokation
Die „Komsomolskaja Prawda“geht derweil der Frage nach: „War der Einschlag in Polen ein Fehler oder eine Provokation der ukrainischen Führung?“Für das russische Verteidigungsministerium ist die Antwort darauf bereits am Abend des Raketeneinschlags in Przewodó w klar. „Die Äußerungen aus Polen über den angeblichen Abwurf ,russischer Raketen‘ sind eine bewusste Provokation, um die Situation zu eskalieren. Russland hat keine Ziele nahe der ukrainisch-polnischen Grenze mit russischen Vernichtungsmitteln angegriffen. Die publizierten Überreste vom Tatort haben nichts mit russischen Waffen zu tun“, heißt es in der offiziellen Erklärung aus Moskau. Diese ist die Grundlage dafür, wie in den russischen Medien über die angespannte Lage in Polen berichtet wird.
In den Nachrichtensendungen lamentieren die Sprecher, wie Russland „wieder einmal“zum „Sündenbock für alles“gemacht werde. „Der Vorfall“, so heißt es, sei „ganz klar“auf die Ukraine zurückzuführen. Auffällig bei allen Äußerungen ist der Lobgesang auf US-Präsident Joe Biden. Dem 79-Jährigen, der in den staatlichen Medien stets als „dementer Trottel“vorgeführt wird, bescheinigen die russischen Kommentatoren – so plötzlich wie durchsichtig – Besonnenheit. Biden zufolge ist ein Abschuss aus Russland unwahrscheinlich, wie er am Rande des G20-Gipfels sagte. Schon zeigen die russischen Propagandisten auf den Amerikaner: „Hört auf den stets gut informierten Mann.“