„Das war bei den ersten Mitgliedern der RAF genauso“
Interview. Politologe Alexander Straßner warnt vor Radikalisierung von Splittergruppen der Klimabewegung.
Die Presse: Herr Straßner, Sie haben mit der Behauptung viel Aufsehen erregt, es gäbe Parallelen zwischen Klimaschutzaktivisten und den Anfangstagen der linksextremistischen Gruppe Rote Armee Fraktion. Wo genau sehen Sie die? Alexander Straßner: Ich sage nicht, Klimaschützer sind Terroristen. Es geht auch nicht um Fridays for Future (FFF), sondern um die Splittergruppen: Extinction Rebellion, Ende Geländer, die Letzte Generation. Diese schwingen sich auf, im Glauben, eine Avantgarde zu sein, eine Speerspitze der Gesellschaft, die ein spezifisches Problem klarer und früher erfasst als der Rest. Wer Kritik übt, ist automatisch falsch dran. In der Philosophie nennt man das Immunisierung. Menschen, die einen kritisieren, haben einen einfach nicht verstanden. Das war bei den ersten Mitgliedern der Roten Armee Fraktion genauso und ist ein klassisches Kennzeichen von politischem Extremismus.
Die Aktivisten argumentieren nicht ideologisch wie die RAF. Ihnen geht es um ein wissenschaftlich belegtes Problem.
Der Klimawandel ist real, seine Bekämpfung ist für uns alle elementar. Aber wie der Weg ausschaut, muss dem demokratischen Diskurs anheimgestellt werden.
Die radikaleren Klimaschützer wenden sich von der Demokratie ab?
Es sind deutliche Brüche zwischen den Splittergruppen und FFF erkennbar, das fest auf demokratischem Boden steht. FFF wird von manchen Aktivisten schon als zu gemäßigt angesehen, eine Gruppierung, die das System bereits gefressen hat. Deswegen kommt es zu einem Überbietungswettbewerb: Wer ist der Radikalere? Das hat immer auch etwas mit Narzissmus zu tun. Radikale Klimaschützer haben das Gefühl, dass sie etwas Außergewöhnliches machen.
Das ließe sich vermutlich über viele Aktivisten sagen. Wo sehen Sie die konkrete Verbindung zur Entstehung der RAF?
Radikalisierungsprozesse brauchen ein begünstigendes Umfeld. Anfang der 1970erJahre hat sich die zerfallende Studentenbewegung auf den Vietnamkrieg bezogen, um das imperialistische, global ausgereifte System zu kritisieren. Heute ist es der UkraineKrieg: Ein fossiler Krieg, der die westliche Lebensart kennzeichnet. Zweitens: Die RAF hatte vermeintlich altruistische Motive. Sie kämpfte nicht nur für das Proletariat in der Bundesrepublik, sondern auch für Menschen in der damals sogenannten Dritten Welt. Heute geht die Klimaschutzbewegung auf den Globalen Süden ein. Übrigens eine recht imperialistische Formulierung, als wäre das alles eins, der globale Süden. Das würde man woanders nicht gelten lassen.
Spielte der Konflikt mit den älteren Generationen auch für die RAF eine Rolle?
Man ging mit den Älteren sehr harsch ins Gericht, weil sie sich vom Nationalsozialismus nicht genug abgetrennt hatten. Heute wird der alten Generation vorgeworfen, sie habe die Grundlagen des Planeten zerstört. Sowohl die studentische Bewegung aus dem Jahr 1968 als auch die Klimaschutzbewegung heute wären nicht so erfolgreich gewesen, wären sie nicht auf der Folie des Generationenkonflikts dahergekommen.
Selbst die radikalsten Klimaschützer lehnen Gewalt ab, im Gegensatz zur RAF.
Zur endgültigen Ausformung zur politisch gewaltbereiten Gruppierung fehlen zwei Dinge: erstens glaubhafte und militante Galionsfiguren. Zweitens die Dynamik des Staates: Soziale Bewegungen entwickeln meist gewaltbereite Ränder, wenn der Staat ihr Anliegen komplett negativ beurteilt.
Das ist bei der deutschen Regierung nicht der Fall, eher im Gegenteil.
Ich erinnere gern an Wirtschaftsminister Robert Habeck, der im Sommer gesagt hat,
ZUR PERSON
ist ein deutscher Politikwissenschafter und außerplanmäßiger Professor an der Universität Regensburg. Er forschte zur Entstehung der linksextremistischen Roten Armee Fraktion und anderen terroristischen Gruppierungen. Seit ein paar Jahren beschäftigt er sich kritisch mit verschiedenen Gruppierungen der Klimaschutzbewegung. jede Kilowattstunde zähle. Als ein Braunkohlekraftwerk durch Ende Gelände besetzt wurde, ging eine Gigawattstunde verloren. Es gab nicht eine Verlautbarung vonseiten des politischen Systems. Ich stelle mir vor, andere, wie zum Beispiel die Veganer-Bewegung oder etwa migrationsfeindliche Gruppen, würden den Weg des zivilen Ungehorsams gehen und das öffentliche Leben sabotieren. Das Land wäre unregierbar.
Einige Aktivisten geben sich derzeit ernüchtert, weil selbst mit einer klimaschutzfreundlichen
Regierung zu langsam gehandelt werde. Liegt da nicht nahe, dass sie sich weiter von der Politik abwenden?
Die Grünen befinden sich in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite gibt es die Notwendigkeit der politischen Ordnung, bei der man auf Kompromisse angewiesen ist. Auf der anderen Seite stehen die Maximalforderungen aus der Bewegung. Auch das ist ein Kennzeichen von politischem Extremismus: Wenn man die politische Wahrheit gefunden hat, kann man davon nicht abrücken und keine Kompromisse schließen.
Wie bindet man diese Leute ein?
Das hat schon Züge einer millenaristischen Endzeitsekte, dass wir alle bald sterben müssen. Aber auch die Maximalfordernden treten irgendwann den Gang durch die Institutionen an, das ist der große Vorteil der Demokratie. Es wird aber Menschen geben, die in Fundamentalopposition verharren. Das ist bei der 68er-Bewegung genauso gewesen wie bei |MeToo, und das wird beim Klimaschutz auch passieren.
Können Sie verstehen, warum manche Aktivisten zu radikalen Mitteln greifen?
Ich bin auch bei FFF-Märschen mitgegangen, weil ich zwei kleine Kinder habe und möchte, dass sie eine intakte Umwelt erleben können. Ich möchte aber auch, dass sie in einer freien Gesellschaft aufwachsen. Natürlich ist das Thema Klimaschutz drängend, aber das darf nicht dazu führen, eine Politik der Schnellschüsse zu machen. Wenn man ganz rasch Veränderung vornimmt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, eine Konsequenz zu übersehen. Dieses Übersehen von Konsequenzen führt in der Regel zu sozialer Schieflage, dann gehen die Menschen auf die Straße. Gesellschaften in Schieflage haben nur ein Interesse: Die Stabilität wieder herstellen. Und dann ist Klimaschutz wieder ganz weit hinten.