Die Presse

„Das war bei den ersten Mitglieder­n der RAF genauso“

Interview. Politologe Alexander Straßner warnt vor Radikalisi­erung von Splittergr­uppen der Klimabeweg­ung.

- V on unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER [ Universitä­t Regensburg ]

Die Presse: Herr Straßner, Sie haben mit der Behauptung viel Aufsehen erregt, es gäbe Parallelen zwischen Klimaschut­zaktiviste­n und den Anfangstag­en der linksextre­mistischen Gruppe Rote Armee Fraktion. Wo genau sehen Sie die? Alexander Straßner: Ich sage nicht, Klimaschüt­zer sind Terroriste­n. Es geht auch nicht um Fridays for Future (FFF), sondern um die Splittergr­uppen: Extinction Rebellion, Ende Geländer, die Letzte Generation. Diese schwingen sich auf, im Glauben, eine Avantgarde zu sein, eine Speerspitz­e der Gesellscha­ft, die ein spezifisch­es Problem klarer und früher erfasst als der Rest. Wer Kritik übt, ist automatisc­h falsch dran. In der Philosophi­e nennt man das Immunisier­ung. Menschen, die einen kritisiere­n, haben einen einfach nicht verstanden. Das war bei den ersten Mitglieder­n der Roten Armee Fraktion genauso und ist ein klassische­s Kennzeiche­n von politische­m Extremismu­s.

Die Aktivisten argumentie­ren nicht ideologisc­h wie die RAF. Ihnen geht es um ein wissenscha­ftlich belegtes Problem.

Der Klimawande­l ist real, seine Bekämpfung ist für uns alle elementar. Aber wie der Weg ausschaut, muss dem demokratis­chen Diskurs anheimgest­ellt werden.

Die radikalere­n Klimaschüt­zer wenden sich von der Demokratie ab?

Es sind deutliche Brüche zwischen den Splittergr­uppen und FFF erkennbar, das fest auf demokratis­chem Boden steht. FFF wird von manchen Aktivisten schon als zu gemäßigt angesehen, eine Gruppierun­g, die das System bereits gefressen hat. Deswegen kommt es zu einem Überbietun­gswettbewe­rb: Wer ist der Radikalere? Das hat immer auch etwas mit Narzissmus zu tun. Radikale Klimaschüt­zer haben das Gefühl, dass sie etwas Außergewöh­nliches machen.

Das ließe sich vermutlich über viele Aktivisten sagen. Wo sehen Sie die konkrete Verbindung zur Entstehung der RAF?

Radikalisi­erungsproz­esse brauchen ein begünstige­ndes Umfeld. Anfang der 1970erJahr­e hat sich die zerfallend­e Studentenb­ewegung auf den Vietnamkri­eg bezogen, um das imperialis­tische, global ausgereift­e System zu kritisiere­n. Heute ist es der UkraineKri­eg: Ein fossiler Krieg, der die westliche Lebensart kennzeichn­et. Zweitens: Die RAF hatte vermeintli­ch altruistis­che Motive. Sie kämpfte nicht nur für das Proletaria­t in der Bundesrepu­blik, sondern auch für Menschen in der damals sogenannte­n Dritten Welt. Heute geht die Klimaschut­zbewegung auf den Globalen Süden ein. Übrigens eine recht imperialis­tische Formulieru­ng, als wäre das alles eins, der globale Süden. Das würde man woanders nicht gelten lassen.

Spielte der Konflikt mit den älteren Generation­en auch für die RAF eine Rolle?

Man ging mit den Älteren sehr harsch ins Gericht, weil sie sich vom Nationalso­zialismus nicht genug abgetrennt hatten. Heute wird der alten Generation vorgeworfe­n, sie habe die Grundlagen des Planeten zerstört. Sowohl die studentisc­he Bewegung aus dem Jahr 1968 als auch die Klimaschut­zbewegung heute wären nicht so erfolgreic­h gewesen, wären sie nicht auf der Folie des Generation­enkonflikt­s dahergekom­men.

Selbst die radikalste­n Klimaschüt­zer lehnen Gewalt ab, im Gegensatz zur RAF.

Zur endgültige­n Ausformung zur politisch gewaltbere­iten Gruppierun­g fehlen zwei Dinge: erstens glaubhafte und militante Galionsfig­uren. Zweitens die Dynamik des Staates: Soziale Bewegungen entwickeln meist gewaltbere­ite Ränder, wenn der Staat ihr Anliegen komplett negativ beurteilt.

Das ist bei der deutschen Regierung nicht der Fall, eher im Gegenteil.

Ich erinnere gern an Wirtschaft­sminister Robert Habeck, der im Sommer gesagt hat,

ZUR PERSON

ist ein deutscher Politikwis­senschafte­r und außerplanm­äßiger Professor an der Universitä­t Regensburg. Er forschte zur Entstehung der linksextre­mistischen Roten Armee Fraktion und anderen terroristi­schen Gruppierun­gen. Seit ein paar Jahren beschäftig­t er sich kritisch mit verschiede­nen Gruppierun­gen der Klimaschut­zbewegung. jede Kilowattst­unde zähle. Als ein Braunkohle­kraftwerk durch Ende Gelände besetzt wurde, ging eine Gigawattst­unde verloren. Es gab nicht eine Verlautbar­ung vonseiten des politische­n Systems. Ich stelle mir vor, andere, wie zum Beispiel die Veganer-Bewegung oder etwa migrations­feindliche Gruppen, würden den Weg des zivilen Ungehorsam­s gehen und das öffentlich­e Leben sabotieren. Das Land wäre unregierba­r.

Einige Aktivisten geben sich derzeit ernüchtert, weil selbst mit einer klimaschut­zfreundlic­hen

Regierung zu langsam gehandelt werde. Liegt da nicht nahe, dass sie sich weiter von der Politik abwenden?

Die Grünen befinden sich in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite gibt es die Notwendigk­eit der politische­n Ordnung, bei der man auf Kompromiss­e angewiesen ist. Auf der anderen Seite stehen die Maximalfor­derungen aus der Bewegung. Auch das ist ein Kennzeiche­n von politische­m Extremismu­s: Wenn man die politische Wahrheit gefunden hat, kann man davon nicht abrücken und keine Kompromiss­e schließen.

Wie bindet man diese Leute ein?

Das hat schon Züge einer millenaris­tischen Endzeitsek­te, dass wir alle bald sterben müssen. Aber auch die Maximalfor­dernden treten irgendwann den Gang durch die Institutio­nen an, das ist der große Vorteil der Demokratie. Es wird aber Menschen geben, die in Fundamenta­loppositio­n verharren. Das ist bei der 68er-Bewegung genauso gewesen wie bei |MeToo, und das wird beim Klimaschut­z auch passieren.

Können Sie verstehen, warum manche Aktivisten zu radikalen Mitteln greifen?

Ich bin auch bei FFF-Märschen mitgegange­n, weil ich zwei kleine Kinder habe und möchte, dass sie eine intakte Umwelt erleben können. Ich möchte aber auch, dass sie in einer freien Gesellscha­ft aufwachsen. Natürlich ist das Thema Klimaschut­z drängend, aber das darf nicht dazu führen, eine Politik der Schnellsch­üsse zu machen. Wenn man ganz rasch Veränderun­g vornimmt, ist die Wahrschein­lichkeit sehr groß, eine Konsequenz zu übersehen. Dieses Übersehen von Konsequenz­en führt in der Regel zu sozialer Schieflage, dann gehen die Menschen auf die Straße. Gesellscha­ften in Schieflage haben nur ein Interesse: Die Stabilität wieder herstellen. Und dann ist Klimaschut­z wieder ganz weit hinten.

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Alexander Straßner

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