Die offenen Grenzen und ihre Feinde
Schengen. Die Kommission empfiehlt die Erweiterung um Kroatien, Bulgarien und Rumänien. Aber einigen Regierungen geht das zu weit. Andere drohen mit neuen Grenzkontrollen.
Brüssel/Wien. Freie Durchreise ab 1. Jänner 2023 von Island bis Griechenland: Das soll die Erweiterung des Schengenraums um Kroatien, Rumänien und Bulgarien bringen. Keine Staus mehr von Wien bis Pula, könnten sich auch die österreichischen Urlauber freuen. Die EU-Kommission hat am Mittwoch grünes Licht für die drei Länder gegeben. Sie erfüllen laut Innenkommissarin Ylva Johansson alle Voraussetzungen für die „volle Teilnahme“an jenem Abkommen, das eigentlich offene interne Grenzen garantieren sollte. Bisherige Teilnehmer sind alle EU-Staaten mit Ausnahme dieser drei Länder plus Irland und Zypern sowie die NichtEU-Länder Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Der Vertrag sieht Grenzkontrollen nur noch in Notfällen zum Schutz der inneren Sicherheit vor. Im Gegenzug beteiligen sich die Schengenländer an einer engen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden und garantieren den Schutz der gemeinsamen Außengrenzen.
Angesichts der nicht enden wollenden Migrationswellen, insbesondere über die Balkanroute, erscheint aber einigen Mitgliedstaaten diese Erweiterung aktuell unverantwortlich. Einzelne drohen bereits mit der Wiedereinführung von internen Grenzkontrollen, wie sie Österreich derzeit gegenüber der Slowakei, Slowenien und Ungarn
vollzieht. Am 8. Dezember soll im Rat der EU (Regierungsvertreter) über die drei Länder abgestimmt werden. Im Flugverkehr würde die Schengen-Erweiterung erst am 26. März Realität werden.
Kroatien darf hoffen
Für Kroatien, das ab 1. Jänner auch die Gemeinschaftswährung, den Euro, übernimmt, würde der Schengen-Beitritt eine deutliche Erleichterung für den Tourismus bedeuten. Das Land erfüllt bereits seit 2019 alle Bedingungen
für die Aufnahme. Gebremst wurde von Slowenien, das lang mit einem ungelösten Grenzstreit argumentierte. Zuletzt signalisierte Laibach Zustimmung. Anfang der Woche drohte Außenministerin Tanja Fajon allerdings mit neuen Grenzkontrollen, sollte die Teilnahme des Nachbarlandes zu einem Anstieg irregulärer Migration führen.
Bulgarien und Rumänien müssen zittern
Das Thema irreguläre Migration lastet auch auf dem bulgarischen Schengen-Beitritt – und das nicht erst seit gestern. Nach Ansicht der Brüsseler Behörde erfüllt Bulgarien bereits seit elf Jahren alle formalen Kriterien für die Teilnahme an der grenzfreien Zone. Auch am Mittwoch attestierte die Kommission Sofia wiederholt ein „starkes Grenzmanagement, effektive Grenzüberwachung und systematische Grenzkontrollen“sowie eine gut funktionierende Zusammenarbeit mit Europol und die Implementierung des Schengen-IT-Systems SIS.
Aus der Perspektive der Skeptiker gibt es allerdings zwei Schwachstellen: erstens eine (gut bewachte, nichtsdestotrotz vorhandene) Landgrenze mit der Türkei und zweitens Zweifel an der Unbestechlichkeit der bulgarischen Behörden. Ähnliches gilt für
Rumänien – wobei die EU-Außengrenze in diesem Fall nicht zur Türkei, sondern zu Moldawien, Serbien und der Ukraine verläuft. Auch im Fall Rumäniens hat die Kommission einen organisatorisch-prozeduralen Persilschein ausgestellt – und gestern darauf hingewiesen, dass eine im Oktober durchgeführte Enquete unabhängiger Experten, die auf Einladung der rumänischen und bulgarischen Regierung vor Ort sondierte, die vorbildhafte Umsetzung aller Schengen-Regeln lobte.
Enden wollende Begeisterung
Die Hürde, die die Aspiranten bewältigen müssen, ist allerdings hoch, denn der Rat, der über die Empfehlung der Kommission zu befinden hat, muss einig sein. In Österreich ist die offizielle Begeisterung jedenfalls enden wollend. Aus dem Innenministerium hieß es Mittwochnachmittag gegenüber der „Presse“lediglich, dass das Thema beim Treffen der EU-Innenminister am 8. Dezember „intensiv zu diskutieren“sei. Klarer in ihrer Ablehnung sind indes die niederländische Regierung und das Parlament in Den Haag – wegen einer befürchteten neuen Einreisewelle nach einem Aus der Grenzkontrollen.