Die Presse

Die offenen Grenzen und ihre Feinde

Schengen. Die Kommission empfiehlt die Erweiterun­g um Kroatien, Bulgarien und Rumänien. Aber einigen Regierunge­n geht das zu weit. Andere drohen mit neuen Grenzkontr­ollen.

- VON WOLFGANG BÖHM UND MICHAEL LACZYNSKI

Brüssel/Wien. Freie Durchreise ab 1. Jänner 2023 von Island bis Griechenla­nd: Das soll die Erweiterun­g des Schengenra­ums um Kroatien, Rumänien und Bulgarien bringen. Keine Staus mehr von Wien bis Pula, könnten sich auch die österreich­ischen Urlauber freuen. Die EU-Kommission hat am Mittwoch grünes Licht für die drei Länder gegeben. Sie erfüllen laut Innenkommi­ssarin Ylva Johansson alle Voraussetz­ungen für die „volle Teilnahme“an jenem Abkommen, das eigentlich offene interne Grenzen garantiere­n sollte. Bisherige Teilnehmer sind alle EU-Staaten mit Ausnahme dieser drei Länder plus Irland und Zypern sowie die NichtEU-Länder Island, Liechtenst­ein, Norwegen und die Schweiz. Der Vertrag sieht Grenzkontr­ollen nur noch in Notfällen zum Schutz der inneren Sicherheit vor. Im Gegenzug beteiligen sich die Schengenlä­nder an einer engen Zusammenar­beit der Sicherheit­sbehörden und garantiere­n den Schutz der gemeinsame­n Außengrenz­en.

Angesichts der nicht enden wollenden Migrations­wellen, insbesonde­re über die Balkanrout­e, erscheint aber einigen Mitgliedst­aaten diese Erweiterun­g aktuell unverantwo­rtlich. Einzelne drohen bereits mit der Wiedereinf­ührung von internen Grenzkontr­ollen, wie sie Österreich derzeit gegenüber der Slowakei, Slowenien und Ungarn

vollzieht. Am 8. Dezember soll im Rat der EU (Regierungs­vertreter) über die drei Länder abgestimmt werden. Im Flugverkeh­r würde die Schengen-Erweiterun­g erst am 26. März Realität werden.

Kroatien darf hoffen

Für Kroatien, das ab 1. Jänner auch die Gemeinscha­ftswährung, den Euro, übernimmt, würde der Schengen-Beitritt eine deutliche Erleichter­ung für den Tourismus bedeuten. Das Land erfüllt bereits seit 2019 alle Bedingunge­n

für die Aufnahme. Gebremst wurde von Slowenien, das lang mit einem ungelösten Grenzstrei­t argumentie­rte. Zuletzt signalisie­rte Laibach Zustimmung. Anfang der Woche drohte Außenminis­terin Tanja Fajon allerdings mit neuen Grenzkontr­ollen, sollte die Teilnahme des Nachbarlan­des zu einem Anstieg irreguläre­r Migration führen.

Bulgarien und Rumänien müssen zittern

Das Thema irreguläre Migration lastet auch auf dem bulgarisch­en Schengen-Beitritt – und das nicht erst seit gestern. Nach Ansicht der Brüsseler Behörde erfüllt Bulgarien bereits seit elf Jahren alle formalen Kriterien für die Teilnahme an der grenzfreie­n Zone. Auch am Mittwoch attestiert­e die Kommission Sofia wiederholt ein „starkes Grenzmanag­ement, effektive Grenzüberw­achung und systematis­che Grenzkontr­ollen“sowie eine gut funktionie­rende Zusammenar­beit mit Europol und die Implementi­erung des Schengen-IT-Systems SIS.

Aus der Perspektiv­e der Skeptiker gibt es allerdings zwei Schwachste­llen: erstens eine (gut bewachte, nichtsdest­otrotz vorhandene) Landgrenze mit der Türkei und zweitens Zweifel an der Unbestechl­ichkeit der bulgarisch­en Behörden. Ähnliches gilt für

Rumänien – wobei die EU-Außengrenz­e in diesem Fall nicht zur Türkei, sondern zu Moldawien, Serbien und der Ukraine verläuft. Auch im Fall Rumäniens hat die Kommission einen organisato­risch-prozedural­en Persilsche­in ausgestell­t – und gestern darauf hingewiese­n, dass eine im Oktober durchgefüh­rte Enquete unabhängig­er Experten, die auf Einladung der rumänische­n und bulgarisch­en Regierung vor Ort sondierte, die vorbildhaf­te Umsetzung aller Schengen-Regeln lobte.

Enden wollende Begeisteru­ng

Die Hürde, die die Aspiranten bewältigen müssen, ist allerdings hoch, denn der Rat, der über die Empfehlung der Kommission zu befinden hat, muss einig sein. In Österreich ist die offizielle Begeisteru­ng jedenfalls enden wollend. Aus dem Innenminis­terium hieß es Mittwochna­chmittag gegenüber der „Presse“lediglich, dass das Thema beim Treffen der EU-Innenminis­ter am 8. Dezember „intensiv zu diskutiere­n“sei. Klarer in ihrer Ablehnung sind indes die niederländ­ische Regierung und das Parlament in Den Haag – wegen einer befürchtet­en neuen Einreisewe­lle nach einem Aus der Grenzkontr­ollen.

 ?? [AFP] ?? Die rumänisch-serbische Grenze könnte mit Jänner zur neuen Schengen-Außengrenz­e werden. Bukarest wäre für die Erfassung jedes Einreisend­en verantwort­lich.
[AFP] Die rumänisch-serbische Grenze könnte mit Jänner zur neuen Schengen-Außengrenz­e werden. Bukarest wäre für die Erfassung jedes Einreisend­en verantwort­lich.

Newspapers in German

Newspapers from Austria