Mehr Geld, mehr Berater: Wie senkt man Arbeitslosigkeit?
Reform. Die Neugestaltung des Arbeitslosengeldes soll bis Jahresende stehen. Interessen gibt es viele, ebenso Stimmen aus der Wissenschaft.
Wien. Die Wirtschaft hat sich längst eingetrübt, aber auf den Arbeitsmarkt schlägt das nur bedingt durch: 324.120 Menschen waren Mitte November arbeitslos gemeldet, um 21.000 weniger als vor einem Jahr. Die Voranmeldungen zur Kurzarbeit waren mit 3132 auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Pandemie. Die Krise auf dem Arbeitsmarkt ist also eindeutig überwunden.
Ein guter Zeitpunkt also für eine Reform des Arbeitslosengeldes, wie sie Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher voriges Jahr angekündigt hat. Doch ob diese zustande kommt, ist fraglich. Wenn es bis 21. Dezember keine Einigung gebe, dann gebe es eben keine große Reform, hatte Kocher zu Wochenbeginn in der „Presse“gesagt. Im Gespräch ist die Einschränkung des Zuverdienstes zum Arbeitslosengeld (derzeit bis zu 486 Euro monatlich) und ein „degressives“, also mit der Zeit absinkendes Arbeitslosengeld.
Ob eine Stufe beim Arbeitslosengeld ein Anreiz ist, rascher einen Job anzunehmen, ist auch Thema in der Wissenschaft. Hannah Quinz vom Institut für Soziologie der Universität Wien argumentiert, dass Arbeitslosengeld und Notstandshilfe als Fixbeträge ohnehin an Wert beziehungsweise Kaufkraft verlieren. Sie sieht ein „durch die Hintertür eingeführtes abnehmendes Arbeitslosengeld“. Das verstärke die Armut. „Je länger Menschen erwerbslos sind, umso stärker sind sie von diesem finanziellen Druck betroffen“, so Quinz in einer Redeunterlage für eine Diskussion von „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“, die am Mittwoch stattfand.
Grüne vs. Wirtschaftsbund
Quinz spricht sich für ein höheres Arbeitslosengeld aus. Sie zitiert eine Studie, die zeige, dass eine Anhebung der Nettoersatzrate von derzeit 55 auf 70 Prozent die Armut in Österreich verringern würde. Vor allem untere Einkommensgruppen würden profitieren. Armutsvermeidung ist auch das wichtigste Ansinnen der Grünen. Als Koalitionspartner verhandeln
AUF EINEN BLICK
Arbeitslose erhalten in Österreich in der Regel 55 Prozent ihres letzten Einkommens als Unterstützung. Mit Zuschlägen, etwa für Familien, sind es bis zu 80 Prozent. In der Notstandshilfe, die bei Langzeitarbeitslosigkeit ausgezahlt wird, sinken die Bezüge auf in der Regel 51 Prozent. Arbeitsminister Martin Kocher sympathisiert mit einem degressiven Modell – also mehr Geld zu Beginn der Arbeitslosigkeit, sinkende Bezüge mit anhaltender Dauer der Arbeitslosigkeit. sie mit Arbeitsminister Kocher die Reform. Für sie steht im Vordergrund, dass nach der Reform kein Arbeitsloser finanziell schlechtergestellt wird als davor. In der ÖVP drängte der Wirtschaftsflügel darauf, dass das Arbeitslosengeld bei längerer Arbeitslosigkeit deutlich abgesenkt wird – auf 40 Prozent oder darunter. Allerdings sagte Arbeitsminister Kocher schon voriges Jahr, dass es ihm bei der Reform auch um die bessere finanzielle Absicherung von Arbeitslosen gehe.
Mehr Berater, mehr Sperren
Rainer Eppel vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) sieht die intensivere Betreuung von Arbeitslosen durch mehr Beratungspersonal beim Arbeitsmarktservice (AMS) als Schlüssel, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Der bessere Betreuungsschlüssel habe in einem Pilotprojekt in Wien gezeigt, dass die Betroffenen um durchschnittlich zwei Monate kürzer arbeitslos waren als jene, die weniger intensiv betreut wurden. Die häufigeren Kontakte führten auch zu häufigeren Sperren von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe. Die höheren Personalkosten „wurden mehr als aufgewogen“, so Eppel, weil bei kürzerer Arbeitslosigkeit weniger Bezüge anfallen und die Erträge aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen steigen.