Semperit ist wieder Ein Sorgenkind
Gummihersteller. Seit Jahren will sich Semperit von seiner Medizinsparte trennen. Doch das Sorgenkind mauserte sich in der Pandemie zur Cashcow. Nun sind die Sorgen zurück.
Wien. Wenn dieser Tage von Übergewinnen die Rede ist, dann geht es in der Regel um Energiekonzerne, die unverhofft von der aktuellen Energiekrise profitieren. Als der niederösterreichische Gummiund Kautschuk-Konzern Semperit am Höhepunkt der Coronapandemie Rekordgewinne verbuchte, war von Übergewinn oder gar Gewinnabschöpfung noch keine Rede. Damals sorgte ausgerechnet die Medizinsparte für Jubel bei Semperit.
Wobei Medizinsparte etwas hochtrabend klingt. Es handelt sich ja dabei schlicht um die Produktion von Gummihandschuhen, die in Covidzeiten plötzlich nicht nur in Krankenhäusern, sondern allerorts gefragt waren.
Schnell war vergessen, dass die Herstellung von OP-Handschuhen im niederösterreichischen Wimpassing ein Anachronismus ist. Selbst die vergleichsweise günstige Produktion in der Fabrik im malaysischen Kamunting war vor der Pandemie kaum rentabel gewesen.
Doch die Kritik am Management verstummte schnell. Von wegen Semperit habe zu lang unprofitable Werke mitgeschleppt, habe Entscheidungen hinausgezögert. Von „trostlosem Bild“, wie es Analysten formuliert hatten, konnte keine Rede sein. Das fast 200 Jahre alte Traditionsunternehmen durchbrach plötzlich die Eine-Milliarde-Euro-Umsatzmarke. Der unverhoffte Geldregen ließ das
Management umdenken. Der geplante Verkauf der Medizinsparte wurde kurzerhand abgeblasen.
Am Mittwoch präsentierte Semperit seine Zahlen für die ersten drei Quartale dieses Jahres. Und die sind schlecht. Das Unternehmen rutschte tief in die Verlustzone. Und schuld ist natürlich die Medizinsparte. Das Sorgenkind, das in der Pandemie zum Liebkind avancierte, macht wieder Probleme. Unter dem Strich steht ein Verlust in Höhe von 34,6 Mio. Euro. In der Vorjahresperiode waren noch 224,1 Mio. Euro Gewinn geschrieben worden.
Für die Aktionäre ist das lediglich ein weiterer Rückschlag. Seit April des Vorjahres hat sich der Wert der Aktie halbiert. Allein gestern, Mittwoch, verlor die Aktie knapp 15 Prozent an Wert. Der Kurs lag am Nachmittag unter 19 Euro. Pro Aktie bedeuten die jüngsten Zahlen einen Verlust (EPS) von 1,68 Euro, nach einem Gewinn je Aktie von 10,85 Euro im Vergleichszeitraum 2021.
Die Verkaufserlöse sanken um 10,4 Prozent, von 926,1 auf
829,6 Mio. Euro. Die Umsätze im Sektor Medizin halbierten sich fast von 516,7 auf 271,2 Mio. Euro (minus 47,5 Prozent). Dieser Einbruch konnte durch Zuwächse in anderen Unternehmensbereichen nicht vollkommen wettgemacht werden.
„Im Sektor Industrie ist es uns jedoch auch in dieser Berichtsperiode gelungen, dem schwierigen Marktumfeld und der zunehmend abkühlenden Wirtschaftskonjunktur mit einer starken Performance zu trotzen“, sagte CEO Karl Haider, bemüht das Positive hervorzuheben. Er betonte, dass dieses schmerzliche Ergebnis zeige, dass sich Semperit zu einem Industriegummi-Spezialisten entwickeln müsse. Gemeint sind damit riesige Förderbänder, die etwa im Bergbau eingesetzt werden, Hydraulikschläuche oder etwa Handläufe für Rolltreppen.
Schritte in Richtung Trennung
Und vom Sektor Medizin will sich Semperit nun endgültig trennen. „Wir setzen sukzessive nächste Schritte in Richtung einer zeitnahen Trennung und haben erste
Gespräche mit potenziellen Kaufinteressenten aufgenommen“, erklärte der Konzernchef.
Hätte man die Medizinsparte doch früher verkaufen sollen? „Angesichts der Coronapandemie, in deren Rahmen Semperit einen wesentlichen Beitrag für die Liefersicherheit von medizinischen Schutzhandschuhen in Österreich geleistet hat, wurde eine Neupriorisierung vorgenommen und die Umsetzung dieser Entscheidung bewusst hinausgezögert“, sagt CEO Haider auf „Presse“-Anfrage. Und er räumt ein: „Die aus der pandemiegetriebenen Sonderkonjunktur für das Handschuhgeschäft resultierenden Effekte wie sehr positive Ergebnisbeiträge und hohe Margen waren stets nur als bedingt nachhaltig zu bewerten, weshalb die strategische Grundsatzentscheidung über eine Trennung vom Medizingeschäft aufrecht blieb.“
Nicht auszudenken, Semperit hätte in den vergangenen Jahren auch noch Übergewinnsteuer gezahlt. Aber das ist eine andere Geschichte.