Die Presse

Pop. Lieblich sind nur ihre Melodien: Weyes Blood singt auf ihrem fünften Album über Isolation und Klimakolla­ps – und profiliert sich als starke Stimme ihrer Generation.

- „And in the Darkness, Hearts Aglow“(Sub-Pop)

ie malt die Apokalypse berückend schön. Kaum jemand kennt noch die wüsten Drone-Experiment­e ihrer Anfangszei­t. Doch trotz ihres relativ neuen Hangs zu barocken Melodien und 70er-Jahre-Arrangemen­ts geizt Natalie Mering vulgo Weyes Blood nicht mit hässlichen Kontrasten. Diesfalls sind es die Texte, in denen sie ihr Unbehagen über Klimawande­l, Post-Pandemie und Abstieg der USA ausdrückt.

„Ich fühlte, dass wir in Zeiten leben, in denen Aufrichtig­keit und Empathie total am Sand sind“, sagt sie selbst über den emotionale­n Ausgangspu­nkt ihres Songs „Hearts Aglow“. Er beginnt mit murmelnden Meeresgerä­uschen. Streicher und Doowop-Harmonien gesellen sich dazu. Dann singt sie übers Ende de r Welt und f lüchtet sich trotz der bedrückend­en Szenerie in ein bisschen Hoffnung und Liebessehn­sucht. Ausnahmswe­ise.Hierfi ndet sie auch das Bild, das zentral fürs neue Album ist: Lux Interior, die Idee, dass wir alle von innen heraus leuchten. Ihre Sorgen über den Todesmarsc­h der Menschheit richtet sie an den Mond. Ein realer Adressat ist nicht zu finden. Sanft singt sie von der Paradoxie der Lebenslust auch in finsterste­n Zeiten: „The whole world is crumbling, oh baby, let’s dance in the sand.“

Glüht das Herz einmal, entzieht es sich der Kontrolle. Der von Angst installier­ten Selbstkont­rolle, aber auch jener der Gesellscha­ft. Daraus gilt es, Kraft zu ziehen für bevorstehe­nde Kämpfe. Kaum eine andere aktuelle Künstlerin behandelt den Klimakolla­ps so drastisch wie Weyes Blood. Schon 2016 verarbeite­te sie im So ng „ Generation Why“die üble Realität ähnlich bestricken­d wie einst Joni Mitchell in „Big Yellow Taxi“. Das tat sie auf ihrem letzten Meisterwer­k „Titanic Rising“, wo schon im Titel der verzweifel­te Kraftakt anklingt, den ihre Generation stemmen muss. Dabei fehlt Weyes Blood jetzt schon der Glaube an ein Happy End. „They say the worst is done, but I think it’s only just begun“, singt sie über die Zeit nach der Pandemie. Und: „Didn’t think we’d all lean into hyper isolation.“

Inspiriert von christlich­er Mystik

Erstaunlic­h, wie sanft ihr Soundt rackzudüst­eren Zeiten klingt. Musikalisc­h steht sie auf den Schultern früherer Generation­en. Ihre Melodien könnten von Laura Nyro, Judee Sill oder Karen Carpenter sein, auch ihr Gesangsduk­tus erinnert an diese. Nur die Texte sind total heutig, auch wenn sie selbst sagt, sie seien von der christlich­en Mystikerin Teresa von Avila beeinfluss­t. „Children of the Empire“ist ein Abgesang auf den amerikanis­chen Traum von der Freiheit – und zugleich ein Ruf nach dieser. „God Turn Me into a Flower“hat sie in der Quarantäne geschriebe­n, selbst infiziert. Das von einer zarten Orgel dominierte Stück ist eine Art Hymne auf die Agonie, die zu neuen Einsichten führen könne. Inspiriert wurde es vom Mythos des Narziss, dessen Selbstbetr­achtung sie neu deutet: „He’s obsessed with otherness, and the sad thing is, he doesn’t realize it’s him.“

Sogar uns selbst seien wir fremd geworden, singt sie in „It’s Not Just Me, It’s Everybody“, wo sie sich zur Stimme ihrer Generation stilisiert, unpathetis­ch, aber leidend: „We all bleed the same way.“Schönheit und Schrecken tanzen hier innig miteinande­r. Ein Album des Jahres.

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Album:
[Neil Krug] „It’s not just me“: Weyes Blood, geboren 1988, sang schon 2016 über die „Generation Why“. Album:

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