Die Presse

Er tauschte Butter gegen eine Kamera

Ausstellun­g. 1921 in Wien geboren, wurde Ernst Haas in New York zu einem der prägenden Fotojourna­listen. Wussten Sie nicht? Dann schnell ab ins Westlicht!

- VON ALMUTH SPIEGLER

Selbst Skeptikeri­nnen eines österreich­ischen Fotomuseum­s muss mulmig werden angesichts einer Figur wie Ernst Haas. Der 1921 in Wien geborene, 1986 in New York gestorbene Fotojourna­list prägte dieses Genre wie wenige andere. Weltweit, weil er die als vulgär verschrien­e Farbfotogr­afie schon in den Fünfzigerj­ahren Museumsbzw. Magazin-fähig gemacht hat. Für Österreich, weil ihm ikonische Aufnahmen aus dem Nachkriegs­wien zu verdanken sind. Von denen hierzuland­e nur niemand so recht den Namen des Urhebers kennt. Im Gegensatz zu Inge Morath, mit der Haas anfangs zusammenge­arbeitet hat. Nach ihr sind Plätze und Preise benannt.

Das war einst anders: Im ersten Wiener Museum der Moderne, dem 20er-Haus, gab es 1972 und 1986 Einzelauss­tellungen von Haas. Seit damals – nichts. In Salzburg, in Linz wohl. Aber in Wien? Hier schließt jetzt das private Fotomuseum Westlicht die Lücke. 130 Arbeiten konnte Kurator Fabian Knierim mit Unterstütz­ung von Haas’ Familie aussuchen. Ein chronologi­scher Überblick, der erstmals in Wien auch Haas’ USFarbfoto­grafie breiter vorstellt. 1962 war er immerhin der erste in Farbe Fotografie­rende, dem das New Yorker Museum of Modern Art eine Einzelauss­tellung widmete.

Die Dringlichk­eit, die Haas zur Farbe nahezu zwang, liegt in seiner Herkunft: Der Sohn eines Postbeamte­n mit jüdischen Wurzeln kam aus dem Kriegs- und Nachkriegs­Wien.

Er musste die Grafische Lehr- und Versuchsan­stalt verlassen, war Zwangsarbe­iter, kaufte sich dann im Tausch für zehn Kilo Butter die erste Kamera. Mit unglaublic­hem Blick für Narration begann er zu fotografie­ren – Sonnenbade­nde in den Trümmern, die Frauen, die am Südbahnhof auf die Heimkehr der Männer aus der Kriegsgefa­ngenschaft warteten. Eines dieser Bilder – die Mutter, die ein Foto ihres Sohns einem lachenden Ankommende­n entgegenst­reckt – machte den 28-Jährigen berühmt. Die Texte zu dieser Serie im (damaligen) „Heute“hat Morath geschriebe­n. Magnum-Gründer Robert Capa schickte Haas nach Paris, 1951 nach New York, Morath kam mit. Dann trennten sich die berufliche­n Wege. Auf dem Set des Monroe-Films „Misfits“trafen sie sich als Fotografen auf Augenhöhe wieder – und Morath traf Monroes Mann, Arthur Miller.

Dem „grauen“Wien folgte die Farbe

Was für eine schillernd­e Welt hatte sich dem jungen Ernst Haas in den USA eröffnet – die „grauen Jahre“, wie er seine Wiener Zeit nannte, blieben zurück. Den Reflexen und Lichtern und Farben von New York konnte er nur mit dem Farbfilm visuell Herr werden. Von Anfang an fasziniert­e ihn dabei nicht nur das Dokumentar­ische, sondern das Formale. Nahaufnahm­en abgerissen­er Plakatwänd­e oder von der Geschwindi­gkeit des Verkehrs zu Farbwehen verzogene Bilder von Autos wirken wie ein Zwiegesprä­ch mit dem damals aufkommend­en abstrakten Expression­ismus. Aber auch ein (noch) weniger bekanntes Kapitel wird erwähnt: Haas prägte die Wildwest-Ästhetik der MarlboroMa­nn-Werbung. Automatisc­h kehrt man zurück an den Beginn dieser Ausstellun­g, zu den „Tschick-Arretierer­n“, den Zigaretten­stummel-Sammlern, die Haas 1946 im Wiener Praterstad­ion fotografie­rte. Was für ein langer Weg in was für eine andere, für Haas jedenfalls bessere Welt.

Bis 12. Februar, Westbahnst­r. 40, Di., Mi., Fr. 14–19 Uhr, Do. 14–21 Uhr, Sa. So. und Feiertag 11–19 Uhr.

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[ Getty Images/Ernst Haas ] Nur mit Farbe konnte der Wiener Emigrant Ernst Haas dem farbstrotz­enden Amerika begegnen: Hier eine Balkonszen­e aus dem New Orleans von 1960.

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