Und noch ein Brandteigkrapfen!
Was wäre Shakespeare ohne „Cakes and Ale“? Ein Affront für die GlobeGastronomie.
Aus aktuellen Gründen – Premiere in der Josefstadt! – entflammte in der Garküche des Gegengifts eine alte Frage: Darf man im Theater essen? „Naturgemäß!“, sagten die Epikureer, „dafür gibt es doch Pausen und Buffets“. Wer dort zu leicht erhöhten Preisen billigem Prosecco und belegten Brötchen fröne, fördere den Fortbestand der Bühnen. Sogar während der Aufführung wäre es fürs Publikum nicht unschicklich, Snacks zu sich zu nehmen, ergänzte ein Kenner der Werke des Petronius: „Besonders der mittlere Akt ist doch häufig der anstrengendste, selbst in Komödien.“Einigermaßen geruchsneutral sollte jedoch die Stärkung sein. Und rascheln dürfe man auf keinen Fall.
Die Puristen hingegen, die sich schon seit dem Erntedankfest auf einen frugalen Advent abseits der Punschhütten freuen und in ihrer fast religiösen Theaterverzückung selbst Zwischenapplaus ablehnen, waren empört: „Nein, das Handsemmerl mit Beinschinken hat nichts im Handgepäck des Theaterbesuchers verloren!“Selbst Essen auf der Bühne finden sie bedenklich.
Ihr abschreckendes Beispiel: Eine aus ihrer Gruppe meide Premieren, seit sie vor 36 Jahren im Akademietheater live miterleben musste, wie Gert Voss im zweiten Akt von „Ritter, Dene, Voss“auf wölfische Art Brandteigkrapfen verschlang. Seither habe sie eine Demel-Phobie und eine Abneigung gegen Thomas Bernhard selig, dessen Werk sie zuvor aufs Höchste schätzte. „Stumpfsinn!“, brüllt diese Oberdöblingerin seitdem, wenn sie von diesem Theatermacher und seinen Übertreibungskünstlern hört. Sie gehe seither nicht mehr in Premieren, sondern nur in die dritte Vorstellung. Zuvor lasse sie sich von Vertrauenspersonen über die verwendeten Requisiten informieren. Sind Spaghetti carbonara oder Krapfen dabei, sagt sie ab.
Das ist eigentlich schade, denn in den besten Zeiten der darstellenden Künste gehörte Völlern beim Publikum wie bei den Darstellern zum guten Ton. Wie sonst hätten die Besucher einst manch überlange Barockoper oder eine Serie von Balletten überdauert, bei denen sogar der Sonnenkönig mittanzte? Comedia ohne Mahlzeit? Das halbe Vergnügen! Shakespeare ohne „Cakes and Ale?“Ein Affront für die GlobeGastronomie. Was ein britisches Frühstück ausmacht, erfahren Liebhaber prallen Theaterlebens in „Anthony and Cleopatra“: Dort staunt Maecenas: „Eight wild boars roasted whole at breakfast, and but twelve persons there. Is this true?“
Loben wir also füllige Eclairs wie auch den Wildschweinbraten. Sie dienen einem höheren Zweck. Zweifelhaft bleiben dramatische Essgewohnheiten, die sadistischwissenschaftlichem Zwang entspringen. Die wochenlange Erbsendiät und das dazugehörige Piss-Verbot in Georg Büchners „Woyzeck“haben den Protagonisten offenbar mörderisch krank gemacht. Nicht einmal ein kleines Bier war ihm gegönnt. Hunger-Stücke sind höchstens für essgestörte Dramaturgen geeignet, nicht aber für die breite Masse, die zwischendurch in feinsten Häusern verlässlich einen Gusto kriegt.