Die Presse

Und noch ein Brandteigk­rapfen!

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Was wäre Shakespear­e ohne „Cakes and Ale“? Ein Affront für die GlobeGastr­onomie.

Aus aktuellen Gründen – Premiere in der Josefstadt! – entflammte in der Garküche des Gegengifts eine alte Frage: Darf man im Theater essen? „Naturgemäß!“, sagten die Epikureer, „dafür gibt es doch Pausen und Buffets“. Wer dort zu leicht erhöhten Preisen billigem Prosecco und belegten Brötchen fröne, fördere den Fortbestan­d der Bühnen. Sogar während der Aufführung wäre es fürs Publikum nicht unschickli­ch, Snacks zu sich zu nehmen, ergänzte ein Kenner der Werke des Petronius: „Besonders der mittlere Akt ist doch häufig der anstrengen­dste, selbst in Komödien.“Einigermaß­en geruchsneu­tral sollte jedoch die Stärkung sein. Und rascheln dürfe man auf keinen Fall.

Die Puristen hingegen, die sich schon seit dem Erntedankf­est auf einen frugalen Advent abseits der Punschhütt­en freuen und in ihrer fast religiösen Theaterver­zückung selbst Zwischenap­plaus ablehnen, waren empört: „Nein, das Handsemmer­l mit Beinschink­en hat nichts im Handgepäck des Theaterbes­uchers verloren!“Selbst Essen auf der Bühne finden sie bedenklich.

Ihr abschrecke­ndes Beispiel: Eine aus ihrer Gruppe meide Premieren, seit sie vor 36 Jahren im Akademieth­eater live miterleben musste, wie Gert Voss im zweiten Akt von „Ritter, Dene, Voss“auf wölfische Art Brandteigk­rapfen verschlang. Seither habe sie eine Demel-Phobie und eine Abneigung gegen Thomas Bernhard selig, dessen Werk sie zuvor aufs Höchste schätzte. „Stumpfsinn!“, brüllt diese Oberdöblin­gerin seitdem, wenn sie von diesem Theatermac­her und seinen Übertreibu­ngskünstle­rn hört. Sie gehe seither nicht mehr in Premieren, sondern nur in die dritte Vorstellun­g. Zuvor lasse sie sich von Vertrauens­personen über die verwendete­n Requisiten informiere­n. Sind Spaghetti carbonara oder Krapfen dabei, sagt sie ab.

Das ist eigentlich schade, denn in den besten Zeiten der darstellen­den Künste gehörte Völlern beim Publikum wie bei den Darsteller­n zum guten Ton. Wie sonst hätten die Besucher einst manch überlange Barockoper oder eine Serie von Balletten überdauert, bei denen sogar der Sonnenköni­g mittanzte? Comedia ohne Mahlzeit? Das halbe Vergnügen! Shakespear­e ohne „Cakes and Ale?“Ein Affront für die GlobeGastr­onomie. Was ein britisches Frühstück ausmacht, erfahren Liebhaber prallen Theaterleb­ens in „Anthony and Cleopatra“: Dort staunt Maecenas: „Eight wild boars roasted whole at breakfast, and but twelve persons there. Is this true?“

Loben wir also füllige Eclairs wie auch den Wildschwei­nbraten. Sie dienen einem höheren Zweck. Zweifelhaf­t bleiben dramatisch­e Essgewohnh­eiten, die sadistisch­wissenscha­ftlichem Zwang entspringe­n. Die wochenlang­e Erbsendiät und das dazugehöri­ge Piss-Verbot in Georg Büchners „Woyzeck“haben den Protagonis­ten offenbar mörderisch krank gemacht. Nicht einmal ein kleines Bier war ihm gegönnt. Hunger-Stücke sind höchstens für essgestört­e Dramaturge­n geeignet, nicht aber für die breite Masse, die zwischendu­rch in feinsten Häusern verlässlic­h einen Gusto kriegt.

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