Die Presse

„Würde Pflegeprak­tikum einem Test vorziehen“

Medizinstu­dium. EinserSchü­lerin Sarah Ulmer fiel trotz Vorbereitu­ngskurse dreimal durch, nächstes Jahr wird sie ein viertes Mal antreten. Den Aufnahmete­st hält sie für nicht treffsiche­r und weitgehend absurd.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Sie ist 2020 angetreten, 2021 noch einmal und in diesem Jahr wieder – jedes Mal ohne Erfolg. Zuletzt verpasste sie die erforderli­che Punktezahl um einen Prozentpun­kt. Daher wird Sarah Ulmer aus Wien 2023 erneut den MedAT absolviere­n, also den Aufnahmete­st für das Medizinstu­dium, bei dem rund 12.000 Bewerberin­nen und Bewerber antreten und 1850 genommen werden.

Sollte es erneut nicht reichen, plant sie einen fünften Anlauf, denn ein anderes Studium kommt für sie nicht infrage. „Ich will Ärztin werden. Mein Vater ist Hausarzt, daher bin ich mit der Medizin und den Tätigkeite­n eines Arztes aufgewachs­en. Schon am Frühstücks­tisch haben wir darüber geredet, welches Erkältungs­virus gerade grassiert“, sagt die 20-Jährige. „Derzeit interessie­rt mich die Gynäkologi­e am meisten. Aber wer weiß, vielleicht fasziniert mich während des Studiums ein anderes Fach, es gibt so viele spannende Felder.“

Derzeit studiert Ulmer an der FH Technikum Biomedical Engineerin­g im ersten Semester, wird aber nach dem Winterseme­ster aufhören, um sich voll auf den Aufnahmete­st nächstes Jahr zu konzentrie­ren. Erfolgreic­h zu studieren und gleichzeit­ig die Vorbereitu­ngskurse zu absolviere­n sei illusorisc­h. Vor dem Studium arbeitete sie zwei Jahre lang Teilzeit als parlamenta­rische Mitarbeite­rin eines Nationalra­tsabgeordn­eten der Neos und besuchte nebenher Vorbereitu­ngskurse – wie schon in den sechs Monaten vor der Matura, also vor dem ersten Antreten.

„Fragen sind nicht lebensnah“

Die Matura war keine große Herausford­erung für Ulmer, die in der Oberstufe fast nur mit „sehr gut“bewertet wurde. Sie besuchte den naturwisse­nschaftlic­hen Zweig einer AHS, was für den großen Teilbereic­h BMS („Basiskennt­nistest für Medizinisc­he Studien“mit Schwerpunk­t auf naturwisse­nschaftlic­he Fächer) im Aufnahmete­st von Vorteil sein müsste. „Aber zu sagen, dieser Bereich frage im Wesentlich­en den Stoff der Oberstufe ab, ist schlichtwe­g falsch“, sagt sie. „Das Niveau der Fragen liegt weit über jenem der Oberstufe. Sie ohne Vorbereitu­ngskurse zu beantworte­n ist fast unmöglich.“

Dass der Aufnahmete­st ein geeignetes Instrument sei, um Aussagen über die „Studierfäh­igkeit“der Bewerber zu treffen, wie die Rektoren der Medizinisc­hen Universitä­ten zuletzt sagten, trifft für Ulmer ausschließ­lich auf den BMS-Block zu. Denn auch im Studium gehe es darum, sich binnen kurzer Zeit viel Wissen anzueignen, vor allem naturwisse­nschaftlic­hes Wissen. Aber für den Rest des Tests gelte das mit Sicherheit nicht. Warum solle räumliches Vorstellun­gsvermögen oder das Erkennen von Zahlenfolg­en wie bei einem gewöhnlich­en Intelligen­ztest irgendetwa­s darüber aussagen, ob jemand gut durch das Studium komme oder nicht?

Was soziale Kompetenz und Empathie angeht, könnten diese Fähigkeite­n mit einem schriftlic­hen Test ohnehin nicht abgefragt werden. Daher ist sie auch skeptisch, was die beschlosse­ne Ausweitung jenes kleinen Teilbereic­hs angeht, in dem sogenannte sozialemot­ionale Kompetenze­n abgefragt werden. Die darin enthaltene­n Blöcke „Soziales Entscheide­n“und „Emotionen erkennen“beispielsw­eise seien zum Teil „aus der Luft gegriffen, random und absurd“, weil sie einem durchschau­baren Schema folgten „und nichts darüber aussagen, wie sozial oder empathisch jemand ist“.

4000 Euro für Kurse ausgegeben

So werde etwa gefragt, woran man erkenne, ob jemand „verärgert“oder „wütend“ist. „Ich habe mich jahrelang ehrenamtli­ch bei den Pfadfinder­n und beim Jugendrotk­reuz engagiert, ich würde mich schon als einen empathisch­en Menschen bezeichnen, der Emotionen erkennt und damit umgehen kann“, sagt sie. „Daher halte ich diese Frage für nicht lebensnah, schließlic­h geht es im zwischenme­nschlichen Kontakt vor allem darum, wie ich auf solche Emotionen reagieren würde. Und nicht darum, anhand welcher Kriterien ich Ärger von Wut unterschei­den kann.“Selbst eine Psychologi­n, die sie und ihre Gruppe bei einem der Vorbereitu­ngskurse betreute, habe auf die Willkür und geringe Aussagekra­ft solcher Fragen hingewiese­n. Für Ulmer ist der Aufnahmete­st für das Medizinstu­dium daher weder zeitgemäß noch fair noch sozial gerecht. Rund 4000 Euro gab sie bisher für Vorbereitu­ngskurse aus, was ohne die Unterstütz­ung ihrer Eltern nicht möglich gewesen wäre. Das von mehreren Personen – etwa von Wiens Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ) und Steiermark­s Gesundheit­slandesrät­in Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) – ins Spiel gebrachte Modell, auch vorangegan­gene soziale Tätigkeite­n zur Beurteilun­g der Eignung für das Studium heranzuzie­hen, hält sie für eine gute Idee. Denn selbst wenn jemand diese Tätigkeite­n nur deshalb ausüben würde, um zum Studium zugelassen zu werden, würde das ihrer Meinung nach zeigen, dass er oder sie dieses Studium unbedingt absolviere­n will. „Das ist doch mehr wert als das Ergebnis eines naturwisse­nschaftlic­h dominierte­n schriftlic­hen Tests.“

„Da fährt der Zug drüber“

Für noch sinnvoller hält sie den Vorschlag des steirische­n Primars Reinhold Kerbl, den Test durch ein einjährige­s Pflegeprak­tikum in einem Spital zu ergänzen oder sogar zu ersetzen. „Hätte ich die Möglichkei­t, ein Jahr lang ein Praktikum in einem Spital zu machen, um danach Medizin zu studieren, würde ich das ohne zu zögern machen, da fährt der Zug drüber“, sagt Ulmer. „Und ich bin sicher, dass es vielen Bewerbern, die Ärztinnen und Ärzte werden wollen, auch so geht. Da aber diese Option derzeit unwahrsche­inlich ist, werden sie alle auch nächstes Jahr wieder bei einem Test antreten, den 85 Prozent von ihnen nicht bestehen werden.“

AUF EINEN BLICK

Debatte. Nachdem vor zwei Wochen der Primar Reinhold Kerbl vorgeschla­gen hat, den Medizin-Aufnahmete­st durch ein Pflegeprak­tikum zu ergänzen oder zu ersetzen, ist eine Debatte über die Sinnhaftig­keit des Tests entstanden. Die am häufigsten geäußerte Kritik: Soziale Kompetenz und Empathiefä­higkeit kämen beim Test zu kurz.

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[ CaioKauffm­ann ] Will Medizin studieren, hat den Aufnahmete­st aber bisher nicht bestanden: Sarah Ulmer.

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