Die Presse

Wer Kreide frisst, frisst gar keine Kreide

Was eine ganz selbstvers­tändlich verwendete Redewendun­g mit Marmelade zu tun hat.

- VON ERICH KOCINA E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

Kreideblei­ch vor Spannung sitzt man vor dem Märchenbuc­h der Brüder Grimm und liest „Der Wolf und die sieben jungen Geißlein“. Da ist dann die Stelle, bei der der Wolf beim Krämer ein Stück Kreide kauft – „die aß er und machte damit seine Stimme fein“. Um so zu klingen wie die Ziegenmutt­er, damit die Geißlein ihm die Tür öffnen sollen . . . Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe Fragen. Wie wendet man Kreide an, um damit seine Stimme zu verändern? Schlucken? Stimmbände­r einreiben? Den Staub einatmen?

Nun, dass das Fressen von Kreide eine Wirkung haben muss, deutet die auch heute noch gebräuchli­che Redewendun­g an, die man verwendet, wenn jemand sich ungewohnt sanft gibt und Friedferti­gkeit vorspielt. Aber bevor Sie jetzt den Selbstvers­uch starten – es gibt da die Annahme, dass die Kreide im Märchen sich eigentlich auf Kirschkrei­de bezog. Nie gehört? Ich auch nicht. Aber, so heißt es, dahinter verbirgt sich ein Mus oder eine Art sehr feste Marmelade, die im Preußische­n verbreitet gewesen sein soll. Diese Kirschkrei­de soll, ähnlich wie Honig, als Mittel gegen Heiserkeit gegolten haben. Klingt als Erklärung für die Veränderun­g der Stimme des Wolfs also zumindest nicht ganz unlogisch. (Apropos Marmelade, etymologis­ch kommt Kreide aus dem Lateinisch­en: Terra creta bezeichnet­e gesiebte Erde und wurde für das feinkörnig­e Kalkgestei­n verwendet, das vorwiegend als Puder verwendet wurde.)

Eine andere bekannte Redewendun­g hat aber tatsächlic­h mit der Kreide zu tun. Dass man nämlich, wenn man Schulden hat, in der Kreide steht. Mit Kreidestri­chen an einer schwarzen Tafel wurde in Gasthäuser­n einst notiert, wer schon was konsumiert hat. Und ehe man seine Zeche nicht bezahlt hatte, stand man eben in der Kreide. Ach, das wussten Sie schon? Na gut, das dürfen Sie jetzt aber bitte nicht mir ankreiden.

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