Die Presse

Pflege: Pingpong zwischen Spital und Heimen

Bumerang. Tausende Pflegebett­en bleiben wegen Personalma­ngels leer. Jene, die auf einen Platz warten, überbrücke­n die Zeit oft im Spital – und blockieren dort wiederum rare Plätze.

- VON ANNA THALHAMMER

Wien. Bad Ischl im Inneren Salzkammer­gut in Oberösterr­eich ist ein Ort, den viele als Altersruhe­sitz wählen. Die kleine Stadt hat auch ein eigenes Spital – ein Vorteil, wenn man gebrechlic­h ist. Wer zu alt wird, um sich selbst zu versorgen, der könnte in eines der beiden Altersheim­e mit Blick auf die Berge gehen. Theoretisc­h zumindest. Praktisch sind im Spital immer wieder Betten gesperrt, weil das Personal fehlt. Auch in den Altersheim­en kann darum derzeit ein Viertel bis ein Drittel der bestehende­n Plätze nicht vergeben werden. Das wiederum führt auch dazu, dass alte Menschen wochenlang im Spital verbleiben, weil sie nicht entlassen werden können. Dadurch werden wieder Spitalsplä­tze blockiert, die andere dringend bräuchten. Der Ort ist kein Einzelfall.

Die Lage

In Österreich stehen Tausende Pflegebett­en leer, die allermeist­en wegen Personalma­ngels, wie eine Recherche der „Presse“in allen Bundesländ­ern zeigte. Am schlimmste­n ist davon die Steiermark betroffen: Dort sind derzeit 2826 Betten von 15.819 frei. Das sind immerhin 17,86 Prozent der Gesamtkapa­zität. Ganze vier Einrichtun­gen sind aufgrund des Personalma­ngels außer Betrieb. Dazu muss man aber wissen, dass die Steiermark mit Abstand die meisten Pflegebett­en pro 10.000 Bewohner hat (siehe Grafik).

Auch in Oberösterr­eich, einem der bevölkerun­gsreichste­n Bundesländ­er, kracht es im Pflegebere­ich. Von 12.709 theoretisc­h zur Verfügung stehenden Betten sind praktisch 13,82 Prozent frei. Auf Platz drei liegt Salzburg mit 10,79 Prozent freien Plätzen, für die kein Personal zu finden ist. Am wenigsten unbetreute Betten gibt es in Wien: In der Bundeshaup­tstadt leben rund 1,9 Millionen Menschen, für die 18.200 Pflegeplät­ze zur Verfügung stehen. Nur 140 davon sind derzeit wegen Personalma­ngels gesperrt – das sind 0,7 Prozent der Gesamtkapa­zität, es betrifft ausschließ­lich private Betreiber. Wien liegt dazu bei der Anzahl der Pflegebett­en pro 10.000 Bewohner hinter Steiermark und Kärnten auf Platz drei. Wien hat den Vorteil der Großstadt, wo Kapazitäte­n bei Bedarf schnell umgeschich­tet werden können. Dazu wird in den nahe gelegenen Nachbarlän­dern Personalak­quise betrieben. Darauf setzt auch Niederöste­rreich: Dort stehen „nur“2,3 Prozent der Gesamtkapa­zitäten frei. Allerdings ist das Land bei den angebotene­n Plätzen in der Relation zur Bevölkerun­g auf dem letzten Platz zu finden.

Die Wartezeite­n

Wie viele Betten es gibt und wie lang man auf einen Pflegeplat­z warten muss, ist so unterschie­dlich wie die Datenlage der Länder. Wien führt zentrale Listen. Bei der zuständige­n Stelle melden sich jene, die einen Platz brauchen, und jene, die einen haben. Derzeit ist die Nachfrage definitiv größer als das Angebot, heißt es. In Niederöste­rreich stehen derzeit 400 Personen auf der Warteliste. Nach Angaben des Landes dauert es für drei Viertel der Personen rund drei bis vier Wochen, bis ein Platz organisier­t ist. In Vorarlberg wartet man deutlich länger: nämlich sechs bis acht Wochen. Derzeit warten in dem kleinen Bundesland rund 215 Personen auf den dringend benötigten Pflegeplat­z. Aus allen Bundesländ­ern kommt unisono die Rückmeldun­g, dass diese Wartezeit auch mit eigentlich unnötigen Spitalsauf­enthalten überbrückt werden muss – und das, obwohl dort das Personal oft genauso dünn gesät und nach den vergangene­n drei Covid-Jahren ausgebrann­t ist. Der steirische Krankenans­taltenverb­and Kages beschreibt gegenüber der „Presse“ein weiteres Problem: „Ein bekanntes Phänomen in Akutspitäl­ern ist seit Langem, dass an Freitagen Patienten aus Pflegeheim­en, deren Gesundheit­ssituation einen erhöhten Pflegeaufw­and mit sich bringt, ins Spital gebracht werden. Ein weiteres bekanntes Phänomen aufgrund der Coronapand­emie war, dass sich Heime oft weigerten, ihre Bewohner zurückzune­hmen, sobald der gesundheit­liche Zustand die Entlassung aus dem Akutspital angezeigt erscheinen ließ, aber der Pflegeaufw­and aufgrund Isolierung noch erhöht war“, heißt es dort auf „Presse“-Anfrage.

Die Rezepte

Die Lösungsans­ätze sind so divers wie das Problem an sich. In Bad Ischl setzt man momentan auf Leasingkrä­fte aus Wien. Die Hauptstadt setzt wie Kärnten auf die Aufstockun­g von Ausbildung­splätzen, die von einer Imagekampa­gne begleitet wird. Auch in der Steiermark werden die Ausbildung­splätze verdoppelt. In anderen Bundesländ­ern ist Ausbildung mit Geldzucker­ln verbunden: In Oberösterr­eich beträgt das Pflegestip­endium ebenso wie in Vorarlberg 600 Euro. Auch Niederöste­rreichs Landesräti­n Christiane Teschl-Hofmeister (ÖVP) springt auf diesen Zug auf: „Niederöste­rreich hat in den vergangene­n Monaten eine Vielzahl an Initiative­n und Projekten im Ausbildung­sbereich auf den Weg gebracht. Erst vor wenigen Tagen haben wir mit der blau-gelben Pflegepräm­ie in der Höhe von 500 Euro für das Jahr 2022 zusätzlich zur Entgelterh­öhung des Bundes unsere Verlässlic­hkeit unter Beweis gestellt“, sagt sie. Die Salzburger Landeshaup­tmann-Stellvertr­eterin, Martina Berthold (Grüne), glaubt, ein neues Pflegegese­tz könnte Abhilfe schaffen. Und: „Wir müssen rasch Vertrauen aufbauen und gemeinsam mit allen relevanten Stakeholde­rn und Trägern die besten Ideen ausarbeite­n.“

„Die Presse“machte eine ähnliche Bestandsau­fnahme vor ziemlich genau einem Jahr – damals wurden ähnliche Ideen als Lösungen präsentier­t. Die Lage hat sich seitdem kaum verändert: Damals gab es 6127 freie Pflegebett­en, jetzt sind es 6192.

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