Die Presse

Der unterschät­zte Joe Biden

Gestärkt durch die Midterm Elections feierte der US-Präsident seinen 80er. Seine größte Schwäche ist sein hohes Alter.

- VON JOHANNES KUNZ

Die Midterm Elections bescheren der Partei des amtierende­n US-Präsidente­n in der Regel schwere Verluste in beiden Kammern des Kongresses. So erging es Bill Clinton, Barack Obama und auch Donald Trump. Die Hoffnung der Republikan­er auf einen Erdrutschs­ieg in diesem Jahr ging nicht auf, weil die Jungwähler, die Frauen und Angehörige der Minderheit­en (Latinos, Asiaten und Afroamerik­aner) überdurchs­chnittlich stark für die Demokraten votierten. Somit konnten diese ihre Mehrheit im Senat halten.

Die Spekulatio­n, eine hohe Inflation in Kombinatio­n mit einem Präsidente­n, dessen Popularitä­t bei nur 42 Prozent liegt, werde der Grand Old Party die Wählermass­en zutreiben, löste sich in Luft auf. Joe Biden und seine Strategen im Weißen Haus hatten im Wahlkampf auf zwei Themen gesetzt: das Recht auf Abtreibung, das aufgrund eines Urteils des Supreme Court, in dem konservati­ve Höchstrich­ter die Mehrheit stellen, von den Republikan­ern infrage gestellt wurde, und die Sicherung der Demokratie. Ex-Präsident Donald Trump, der noch immer mit der Lüge durch die Lande zieht, die Wahl 2020 sei ihm gestohlen worden, und im Jänner des Vorjahres einen gewalttäti­gen radikalen Mob zum Sturm auf das Kapitol, wo das Wahlergebn­is bestätigt werden sollte, animiert hat, wobei es mehrere Todesopfer und Hunderte verletzte Polizisten gab, hat viele Rechtsextr­eme und Anhänger von Verschwöru­ngstheorie­n als GOP-Kandidaten durchgedrü­ckt.

Bidens Strategie war richtig

Und die meisten dieser Kandidaten unterlagen ihren demokratis­chen Kontrahent­en. Die BidenStrat­egie erwies sich im Gegensatz zu den meisten Umfragen als richtig. Trumps Position innerhalb der GOP ist plötzlich infrage gestellt.

Professor Larry Jay Diamond, Politologe an der Stanford University: „Donald Trump ist eine einzigarti­ge Bedrohung für die Demokratie in den USA. Seine Rückkehr ins Weiße Haus wäre alarmieren­d. Daher ist das wichtigste Ergebnis der Midterm Elections, dass es einen deutlichen Rückschlag für Trump gegeben hat.“

1988, 2008: Zwei Mal erfolglos

Joe Biden wurde im Laufe seiner langen politische­n Karriere immer wieder unterschät­zt. Zweimal, 1988 und 2008, bewarb er sich erfolglos um die demokratis­che Präsidents­chaftskand­idatur. Als Vizepräsid­ent an der Seite des charismati­schen Barack Obama leistete er solide Arbeit, doch nicht er, sondern Außenminis­terin Hillary Clinton sollte 2016 gegen Donald Trump antreten und nach einem sehr untergriff­igen Wahlkampf verlieren.

Innenpolit­isch kam es unter Präsident Trump zu einer weiteren Radikalisi­erung der Repu

blikanisch­en Partei mit der Folge einer starken Polarisier­ung und außenpolit­isch zu einer Verprellun­g der Verbündete­n.

Der Regierungs­kurs von Trump, der Sympathien für Autokraten wie Wladimir Putin zeigte und die Sinnhaftig­keit der Nato infrage stellte, den Brexit befürworte­te und die EU schmähte, war ein Weckruf für Joe Biden im politische­n Ruhestand. Er hielt Trump für untragbar, ja für eine Gefahr für die Demokratie und das westliche Bündnis. Ähnlich sollte sich später nach seinem Ausscheide­n aus dem Weißen Haus auch Trumps früherer nationaler Sicherheit­sberater John Bolton äußern. Biden setzte sich bei den Vorwahlen der Demokraten gegen den linken Senator Bernie Sanders durch und verstand es, die Partei hinter sich zu einen.

Trump spottete: „Sleepy Joe“

Trump verspottet­e seinen Herausford­erer als „Sleepy Joe“, unterstütz­t von den Murdoch-Medien Fox News, „New York Post“und „Wall Street Journal“. Auch andere Medien kritisiert­en den Wahlkampf Bidens, der zum Unterschie­d von Trump keine Großkundge­bungen abhielt, sondern in der Coronazeit vom Keller seines Hauses in Delaware aus mit der Presse kommunizie­rte. Trump wurde als Superstar gehypt, nicht zuletzt weil nahezu alle TV-Stationen seine Großkundge­bungen in Erwartung hoher Einschaltq­uoten wegen des Showeffekt­es live übertrugen. Doch siehe da, wie so oft wurde Joe Biden unterschät­zt. Er gewann die Präsidente­nwahl gegen Trump mit deutlichem Vorsprung.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Der Ausgang der Midterm Elections mit erstarkten Republikan­ern im Repräsenta­ntenhaus wird das Regieren für Biden nicht leichter machen, wenngleich die demokratis­che Senatsmehr­heit eine Totalblock­ade verhindert. Und schon konzentrie­rt sich das politische Amerika auf die 2024 anstehende nächste Präsidente­nwahl. Bei den

Republikan­ern will Donald Trump, wie er vor Kurzem ankündigte, noch einmal in den Ring steigen. Aber es regt sich Widerstand, nicht nur vonseiten der Trump bislang unterstütz­enden Murdoch-Medien. Viele prominente Republikan­er haben in den vergangene­n Tagen mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg gehalten: Mit Trump ist keine Wahl mehr zu gewinnen, egal wer der demokratis­che Gegenkandi­dat ist. Schon werden der Florida-Gouverneur Ron DeSantis (ihm drohte Trump kompromitt­ierende Enthüllung­en über sein Privatlebe­n an), Virginias Gouverneur Glenn Youngkin (ihn verspottet­e Trump wegen seines chinesisch klingenden Namens), Ex-Vizepräsid­ent Mike Pence, Ex-Außenminis­ter Mike Pompeo oder die frühere South-Carolina-Gouverneur­in Nikki Haley als chancenrei­chere GOP-Kandidaten genannt. Beobachter sprechen bereits von einem „Bürgerkrie­g“bei den Republikan­ern, deren Führer im Senat, Mitch McConnell, den Ex-Präsidente­n geradezu verachtet.

Hypothek des hohen Alters

Joe Biden, der am 20. November seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, lässt sein neuerliche­s Antreten offen. Er wird im Wahljahr 82 und wäre zu Ende der nächsten Amtsperiod­e 86 Jahre alt. Biden ist sich – wie zuletzt David Axelrod, der einstige erfolgreic­he Wahlstrate­ge von Barack Obama, anmerkte – der Hypothek seines hohen Alters bewusst. Innerhalb der demokratis­chen Führung wurde Stillhalte­n bis zur Verkündung der persönlich­en Entscheidu­ng Bidens irgendwann 2023 vereinbart.

Bei einem durchaus möglichen Verzicht auf eine zweite Amtszeit wird nämlich sofort eine Personaldi­skussion hinsichtli­ch der Präsidents­chaftskand­idatur der Demokraten ausbrechen. Es gibt mehrere chancenrei­che Aspiranten: den kalifornis­chen Gouverneur Gavin Newsom, die Michigan-Gouverneur­in Gretchen Whitmer, die Senatorin Amy Klobuchar oder Transportm­inister Pete Buttigieg. Ein neuerliche­s Duell Biden/Trump erscheint eher unwahrsche­inlich. Donald Trump wird, sollte er die GOP-Präsidents­chaftskand­idatur schaffen und die Wahl verlieren, mit seinen diversen Gerichtsve­rfahren ausgelaste­t sein, und Joe Biden kann seinen verdienten Ruhestand in Delaware genießen.

Historiker werden seine wichtige Rolle in einer kritischen Zeit für die amerikanis­che Demokratie zu würdigen wissen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria