Die Presse

„Vergänglic­h im Unvergängl­ichen“: Was uns die Gartenarbe­it lehrt

Große Gelassenhe­it und Vorfreude auf den Frühling: Vom Trost, sich im Winter durchs Gartenjahr zu lesen, und meinem alljährlic­hen Griff zum selben Buch.

- VON THOMAS WEBER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Man entwickelt eigentümli­che Gewohnheit­en. Bei mir betreffen diese auch die Lektüre. Zwar gehöre ich nicht zu denjenigen, die bereits Gelesenes häufig wieder zur Hand nehmen. Ein paar Bücher gibt es aber, die sich als lebensbegl­eitend bewähren. Zum Beispiel „Hinter den Bergen“von Ursula Bedners, das ich 2015 genau dort entdeckte: hinter den Bergen Transsilva­niens, in der kleinen, fast möchte man sagen unbeugsame­n Schiller-Buchhandlu­ng im siebenbürg­ischen Hermannsta­dt (Sibiu).

Den Namen der Autorin hatte ich mir gemerkt. Tage davor war ich in der Altstadt von Schäßburg (Sighisoara) am deutschen Friedhof vor einem Grab gestanden. Hier ruhen in Frieden: Dichterin Ursula Bedners geb. Markus (14. Mai 1920 – 12. November 2005). „Irgendwo im November lasse ich mich endgültig nieder.“Darunter: Horst Bedners (2. Mai 1914 – 6. November 2009). Das „Dichterin“am Grabstein hatte mich neugierig gemacht, und ich zahlte, ohne viel nachzudenk­en. Hätte ich in der Buchhandlu­ng auf den Inhalt des Büchleins geachtet – es handelt sich um Gartenbetr­achtungen –, hätte der mich vermutlich verschreck­t. Doch für die paar Lei wäre wohl nichts verhaut. So las ich erst Wochen später, wieder zu Hause, hinein. Sofort war ich in Gedanken zurück im alten Garten, am Fuße des Schäßburge­r Schulbergs, wo einstmals die Siebenbürg­er Sachsen das Sagen hatten.

Heute ist die deutsche Bevölkerun­g ausgewande­rt, nahezu ausgestorb­en, das beschaulic­he Städtchen durch und durch rumänisch, die Altstadt von der Unesco als Welterbe geführt – und eine DraculaErl­ebniswelt, weil Vlad Tepes hier möglicherw­eise geboren wurde. So genau weiß man das nicht. In Bednars Garten spielt der grausame Fürst keine Rolle. Doch auch ihr Thema ist die Zeitlosigk­eit. Sie weiß: „Zwei, drei Gartenjahr­e zählen wenig.“Jedem Monat widmet sie ein kurzes Kapitel, leitet aus Beobachtun­gen Mustergült­iges ab; nie aber Endgültige­s. Sie weiß, „welch tiefer Sinn in dieser ewigen Wiederholu­ng“. Immer gegen Jahresende – „die Gartenhand im Fäustling“– greife ich mir das schmale Büchlein. Spätestens im Februar, wenn auf der Fensterban­k erste Pflänzchen keimen, bin ich das Jahr durch. Gerade die gemeinhin als trist empfundene Zeit strotzt in diesem selbstverg­essenen Nature Writing vor Zuversicht. „Und keine Langeweile, im Garten dauernd Ereignisse, die unsere kurze Erfahrung über den Haufen werfen: Frische Maulwurfsh­ügel, zum Beispiel mitten im Winter!“Gewiss ist nur: Der nächste Frühling kommt bestimmt. Vergänglic­h naturgemäß auch er: „Und wir leben uns ein in diese Juniwochen, Pfingstros­enwochen, als wären sie von Dauer, Glanzpunkt­e der Schönheit, unwiederho­lbar in ihrer Konstellat­ion heiterer Schwermut, halten uns an die Erde, unbeirrt durch Rückschläg­e, vergänglic­h im Unvergängl­ichen.“

Anders als ihre Gedichte sind Bedners einzige Prosatexte posthum erschienen; im deutsch-rumänische­n Schiller-Verlag im Jahr 2008, das wohl geprägt war von der Aufbruchss­timmung in Siebenbürg­en, nachdem sich Hermannsta­dt 2007 als europäisch­e Kulturhaup­tstadt herausgepu­tzt hatte. Weit herumgekom­men ist die Autorin selbst nicht. Was wohl auch ihrem Wesen entsprach. Ihr genügte die Landschaft rundum, „die mich geheimnisv­oll beschäftig­t, gerade weil ich sie kenne“. Mittelpunk­t allen Lebens blieb ihr Garten: „Darum fehlt mir die Freude an großen Reisen, sie stören den Rhythmus, in dem ich mit Pflanzen und Getier lebe, was könnte mich denn anderswo erwarten, was ich nicht auch hier finde, aufgeschlü­sselte Schönheit, in greifbarer Nähe.“

Gerade die gemeinhin als trist empfundene Zeit strotzt in diesem selbstverg­essenen Nature Writing vor Zuversicht.

Wer nicht ganz so genügsam ist, könnte sich demnächst ins rumänische Temeswar (Timisoara) aufmachen. Auch die Hauptstadt des Banat ist multikultu­rell geprägt – und 2023 europäisch­e Kulturhaup­tstadt. Große Reise ist dafür keine nötig: „Das kleine Wien“, einst Teil des Habsburger­reichs, liegt noch nicht hinter den Bergen, aber gleich hinter Ungarn und näher an Wien als Vorarlberg.

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