„Vergänglich im Unvergänglichen“: Was uns die Gartenarbeit lehrt
Große Gelassenheit und Vorfreude auf den Frühling: Vom Trost, sich im Winter durchs Gartenjahr zu lesen, und meinem alljährlichen Griff zum selben Buch.
Man entwickelt eigentümliche Gewohnheiten. Bei mir betreffen diese auch die Lektüre. Zwar gehöre ich nicht zu denjenigen, die bereits Gelesenes häufig wieder zur Hand nehmen. Ein paar Bücher gibt es aber, die sich als lebensbegleitend bewähren. Zum Beispiel „Hinter den Bergen“von Ursula Bedners, das ich 2015 genau dort entdeckte: hinter den Bergen Transsilvaniens, in der kleinen, fast möchte man sagen unbeugsamen Schiller-Buchhandlung im siebenbürgischen Hermannstadt (Sibiu).
Den Namen der Autorin hatte ich mir gemerkt. Tage davor war ich in der Altstadt von Schäßburg (Sighisoara) am deutschen Friedhof vor einem Grab gestanden. Hier ruhen in Frieden: Dichterin Ursula Bedners geb. Markus (14. Mai 1920 – 12. November 2005). „Irgendwo im November lasse ich mich endgültig nieder.“Darunter: Horst Bedners (2. Mai 1914 – 6. November 2009). Das „Dichterin“am Grabstein hatte mich neugierig gemacht, und ich zahlte, ohne viel nachzudenken. Hätte ich in der Buchhandlung auf den Inhalt des Büchleins geachtet – es handelt sich um Gartenbetrachtungen –, hätte der mich vermutlich verschreckt. Doch für die paar Lei wäre wohl nichts verhaut. So las ich erst Wochen später, wieder zu Hause, hinein. Sofort war ich in Gedanken zurück im alten Garten, am Fuße des Schäßburger Schulbergs, wo einstmals die Siebenbürger Sachsen das Sagen hatten.
Heute ist die deutsche Bevölkerung ausgewandert, nahezu ausgestorben, das beschauliche Städtchen durch und durch rumänisch, die Altstadt von der Unesco als Welterbe geführt – und eine DraculaErlebniswelt, weil Vlad Tepes hier möglicherweise geboren wurde. So genau weiß man das nicht. In Bednars Garten spielt der grausame Fürst keine Rolle. Doch auch ihr Thema ist die Zeitlosigkeit. Sie weiß: „Zwei, drei Gartenjahre zählen wenig.“Jedem Monat widmet sie ein kurzes Kapitel, leitet aus Beobachtungen Mustergültiges ab; nie aber Endgültiges. Sie weiß, „welch tiefer Sinn in dieser ewigen Wiederholung“. Immer gegen Jahresende – „die Gartenhand im Fäustling“– greife ich mir das schmale Büchlein. Spätestens im Februar, wenn auf der Fensterbank erste Pflänzchen keimen, bin ich das Jahr durch. Gerade die gemeinhin als trist empfundene Zeit strotzt in diesem selbstvergessenen Nature Writing vor Zuversicht. „Und keine Langeweile, im Garten dauernd Ereignisse, die unsere kurze Erfahrung über den Haufen werfen: Frische Maulwurfshügel, zum Beispiel mitten im Winter!“Gewiss ist nur: Der nächste Frühling kommt bestimmt. Vergänglich naturgemäß auch er: „Und wir leben uns ein in diese Juniwochen, Pfingstrosenwochen, als wären sie von Dauer, Glanzpunkte der Schönheit, unwiederholbar in ihrer Konstellation heiterer Schwermut, halten uns an die Erde, unbeirrt durch Rückschläge, vergänglich im Unvergänglichen.“
Anders als ihre Gedichte sind Bedners einzige Prosatexte posthum erschienen; im deutsch-rumänischen Schiller-Verlag im Jahr 2008, das wohl geprägt war von der Aufbruchsstimmung in Siebenbürgen, nachdem sich Hermannstadt 2007 als europäische Kulturhauptstadt herausgeputzt hatte. Weit herumgekommen ist die Autorin selbst nicht. Was wohl auch ihrem Wesen entsprach. Ihr genügte die Landschaft rundum, „die mich geheimnisvoll beschäftigt, gerade weil ich sie kenne“. Mittelpunkt allen Lebens blieb ihr Garten: „Darum fehlt mir die Freude an großen Reisen, sie stören den Rhythmus, in dem ich mit Pflanzen und Getier lebe, was könnte mich denn anderswo erwarten, was ich nicht auch hier finde, aufgeschlüsselte Schönheit, in greifbarer Nähe.“
Gerade die gemeinhin als trist empfundene Zeit strotzt in diesem selbstvergessenen Nature Writing vor Zuversicht.
Wer nicht ganz so genügsam ist, könnte sich demnächst ins rumänische Temeswar (Timisoara) aufmachen. Auch die Hauptstadt des Banat ist multikulturell geprägt – und 2023 europäische Kulturhauptstadt. Große Reise ist dafür keine nötig: „Das kleine Wien“, einst Teil des Habsburgerreichs, liegt noch nicht hinter den Bergen, aber gleich hinter Ungarn und näher an Wien als Vorarlberg.