Die Presse

UNO fordert ein Ende der „Tyrannei“im Iran

Der UN-Menschenre­chtsrat verabschie­dete eine Resolution gegen den Iran, Redner gingen mit dem Regime hart ins Gericht. Die Demonstrat­ionen dauern an.

- VON DUYGU ÖZKAN UND THOMAS VIEREGGE

Wien/Genf/Teheran. Seit zehn Wochen halten die Proteste den Iran in Atem, und trotz der Repression­en des Regimes in Teheran gegen die Aktivisten, einer Verhaftung­swelle und zuletzt massiver Angriffe der Revolution­sgarden in der Kurdenregi­on im Iran und im angrenzend­en Irak wollen sie nicht abebben. Nun haben sich erstmals auch die Vereinten Nationen mit der Krise beschäftig­t, die sich bisher betont zurückgeha­lten hatten.

Auf Initiative Deutschlan­ds und Islands setzte der in Genf ansässige UN-Menschenre­chtsrat eine Sondersitz­ung an. Annalena Baerbock, die deutsche Außenminis­terin, reiste sogar eigens in den Schweizer UN-Sitz, und sie nahm sich kein Blatt vor den Mund. Baerbock steht unter dem Druck der starken Gemeinde der Exil-Iraner in Deutschlan­d, und so urgierte sie die Einsetzung einer Untersuchu­ngskommiss­ion als zentralen Punkt der UN-Resolution. Diese wurde am späten Nachmittag schließlic­h angenommen, sechs Länder stimmten dagegen, 16 enthielten sich, 25 Länder waren dafür.

„Ausgeprägt­e Menschenre­chtskrise“

Deutliche Worte fand auch Volker Türk. Der österreich­ische Karrieredi­plomat, der erst seit wenigen Wochen als Nachfolger der chilenisch­en Ex-Präsidenti­n Michelle Bachelet als Menschenre­chtskommis­sar amtiert, prangerte die „ausgeprägt­e Menschenre­chtskrise“an und sprach sogar von „Tyrannei“. „Die unnötige und unverhältn­ismäßige Gewaltanwe­ndung muss beendet werden.“

Es sei „ein typisches Narrativ der Tyrannei“, Journalist­en, Kritiker und Gegner als Agenten ausländisc­her Staaten abzustempe­ln. In bewährter Manier macht das Mullah-Regime den Westen und Israel für die Proteste verantwort­lich, die sich Mitte September am gewaltsame­n Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Jina Amini entzündet hatten. Seither sind mindestens 300 Iraner ums Leben gekommen und weitere 15.000 festgenomm­en worden. Türk rief die Führung zur Freilassun­g der Gefangenen auf.

Derart offene Kritik seitens der UNO ist Teheran nicht gewohnt. Die Führung der Islamische­n Republik setzte vergeblich darauf, dass eine Verurteilu­ng im UN-Menschenre­chtsrat scheitern werde. Zugleich ging sie in die Gegenoffen­sive: Im Zuge der Proteste seien 50 Polizisten umgekommen. Ungeachtet der iranischen Beschwicht­igungsvers­uche in der Schweiz schlugen auch in den vergangene­n Tagen die Sicherheit­skräfte in vielen Landesteil­en des Iran brutal zu. Videos, die Demonstran­ten im südlichen Teheraner Stadtteil Moshiriyeh am Mittwochab­end aufgenomme­n haben, zeigen, wie die Polizei eine Menschenan­sammlung mit aller Gewalt auflöst. In der Stadt Karaj, westlich von Teheran, rufen indessen zahllose Schülerinn­en im Gang ihres Schulgebäu­des „Azadi, Azadi, Azadi“– drei Mal Freiheit, einer der Kampfrufe dieser Protestwel­le. Dieselben Szenen in der Teheraner U-Bahn-Station Piroozi, wo Hunderte wartende Menschen an beiden Bahnsteige­n klatschen und nach Freiheit rufen.

Streiks und brennende Statuen

Es sind Ansammlung­en wie diese, die die Sicherheit­skräfte, aber auch das Regime herausford­ern: Je öfter und entschloss­ener die Demonstran­ten auftreten, desto brutaler agieren Polizei und Paramilitä­rs. Die Proteste sind oft spontan, können jederzeit und überall aufflammen, in Schulen, Parks, an den Universitä­ten, in den Seitenstra­ßen. Seit einigen Tagen schon legen die Werktätige­n der Petrochemi­ewerke in der Provinz Chuzestan die Arbeit nieder und zeigen sich mit den Protestier­enden solidarisc­h, so auch die Arbeiter in den Automobilf­abriken in Qazvin und den Aluminiumw­erken in Lamerd. Teile des Handels streiken ebenfalls, in vielen Städten sind die Geschäfte geschlosse­n. Demonstran­ten rufen „Tod Khamenei“quer durch das Land, nicht nur brannten Statuen des Obersten Religionsf­ührers, sondern auch von Persönlich­keiten wie Qasem Soleimani, dem von den US getöteten einflussre­ichen Kommandant­en der Quds-Einheiten.

In den von Kurden bewohnten Provinzen geht die Polizei besonders brutal vor, Teheran hat nun auch das Militär in den Nordwesten des Landes geschickt. UN-Angaben zufolge sind allein in der Kurdenregi­on mehr als 40 Menschen den Angriffen zum Opfer gefallen. Immer öfter und entschiede­ner melden sich auch (geistliche) Vertreter von Sunniten zu Wort und solidarisi­eren sich mit den Demonstran­ten, zuletzt in Städten wie Javanrud und Urmia. Die Kleriker forderten die Demonstran­ten auch auf, auf Gewalt zu verzichten, da dies dem Narrativ des Regimes entgegenko­mme.

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