UNO fordert ein Ende der „Tyrannei“im Iran
Der UN-Menschenrechtsrat verabschiedete eine Resolution gegen den Iran, Redner gingen mit dem Regime hart ins Gericht. Die Demonstrationen dauern an.
Wien/Genf/Teheran. Seit zehn Wochen halten die Proteste den Iran in Atem, und trotz der Repressionen des Regimes in Teheran gegen die Aktivisten, einer Verhaftungswelle und zuletzt massiver Angriffe der Revolutionsgarden in der Kurdenregion im Iran und im angrenzenden Irak wollen sie nicht abebben. Nun haben sich erstmals auch die Vereinten Nationen mit der Krise beschäftigt, die sich bisher betont zurückgehalten hatten.
Auf Initiative Deutschlands und Islands setzte der in Genf ansässige UN-Menschenrechtsrat eine Sondersitzung an. Annalena Baerbock, die deutsche Außenministerin, reiste sogar eigens in den Schweizer UN-Sitz, und sie nahm sich kein Blatt vor den Mund. Baerbock steht unter dem Druck der starken Gemeinde der Exil-Iraner in Deutschland, und so urgierte sie die Einsetzung einer Untersuchungskommission als zentralen Punkt der UN-Resolution. Diese wurde am späten Nachmittag schließlich angenommen, sechs Länder stimmten dagegen, 16 enthielten sich, 25 Länder waren dafür.
„Ausgeprägte Menschenrechtskrise“
Deutliche Worte fand auch Volker Türk. Der österreichische Karrierediplomat, der erst seit wenigen Wochen als Nachfolger der chilenischen Ex-Präsidentin Michelle Bachelet als Menschenrechtskommissar amtiert, prangerte die „ausgeprägte Menschenrechtskrise“an und sprach sogar von „Tyrannei“. „Die unnötige und unverhältnismäßige Gewaltanwendung muss beendet werden.“
Es sei „ein typisches Narrativ der Tyrannei“, Journalisten, Kritiker und Gegner als Agenten ausländischer Staaten abzustempeln. In bewährter Manier macht das Mullah-Regime den Westen und Israel für die Proteste verantwortlich, die sich Mitte September am gewaltsamen Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Jina Amini entzündet hatten. Seither sind mindestens 300 Iraner ums Leben gekommen und weitere 15.000 festgenommen worden. Türk rief die Führung zur Freilassung der Gefangenen auf.
Derart offene Kritik seitens der UNO ist Teheran nicht gewohnt. Die Führung der Islamischen Republik setzte vergeblich darauf, dass eine Verurteilung im UN-Menschenrechtsrat scheitern werde. Zugleich ging sie in die Gegenoffensive: Im Zuge der Proteste seien 50 Polizisten umgekommen. Ungeachtet der iranischen Beschwichtigungsversuche in der Schweiz schlugen auch in den vergangenen Tagen die Sicherheitskräfte in vielen Landesteilen des Iran brutal zu. Videos, die Demonstranten im südlichen Teheraner Stadtteil Moshiriyeh am Mittwochabend aufgenommen haben, zeigen, wie die Polizei eine Menschenansammlung mit aller Gewalt auflöst. In der Stadt Karaj, westlich von Teheran, rufen indessen zahllose Schülerinnen im Gang ihres Schulgebäudes „Azadi, Azadi, Azadi“– drei Mal Freiheit, einer der Kampfrufe dieser Protestwelle. Dieselben Szenen in der Teheraner U-Bahn-Station Piroozi, wo Hunderte wartende Menschen an beiden Bahnsteigen klatschen und nach Freiheit rufen.
Streiks und brennende Statuen
Es sind Ansammlungen wie diese, die die Sicherheitskräfte, aber auch das Regime herausfordern: Je öfter und entschlossener die Demonstranten auftreten, desto brutaler agieren Polizei und Paramilitärs. Die Proteste sind oft spontan, können jederzeit und überall aufflammen, in Schulen, Parks, an den Universitäten, in den Seitenstraßen. Seit einigen Tagen schon legen die Werktätigen der Petrochemiewerke in der Provinz Chuzestan die Arbeit nieder und zeigen sich mit den Protestierenden solidarisch, so auch die Arbeiter in den Automobilfabriken in Qazvin und den Aluminiumwerken in Lamerd. Teile des Handels streiken ebenfalls, in vielen Städten sind die Geschäfte geschlossen. Demonstranten rufen „Tod Khamenei“quer durch das Land, nicht nur brannten Statuen des Obersten Religionsführers, sondern auch von Persönlichkeiten wie Qasem Soleimani, dem von den US getöteten einflussreichen Kommandanten der Quds-Einheiten.
In den von Kurden bewohnten Provinzen geht die Polizei besonders brutal vor, Teheran hat nun auch das Militär in den Nordwesten des Landes geschickt. UN-Angaben zufolge sind allein in der Kurdenregion mehr als 40 Menschen den Angriffen zum Opfer gefallen. Immer öfter und entschiedener melden sich auch (geistliche) Vertreter von Sunniten zu Wort und solidarisieren sich mit den Demonstranten, zuletzt in Städten wie Javanrud und Urmia. Die Kleriker forderten die Demonstranten auch auf, auf Gewalt zu verzichten, da dies dem Narrativ des Regimes entgegenkomme.