Die Presse

Deutschlan­ds Fußball muss die Hand vor den Mund halten

Wer auf Könner wie Hummels und Teamhierar­chie verzichtet, sich von „One Love“-Debatte und Besserwiss­ern ablenken lässt – der verliert.

- VON MARKKU DATLER markku.datler@diepresse.com

Verliert Deutschlan­d im Fußball, brennt sofort der Hut. Siegt es, sucht man immer das letzte Haar in der Suppe.

Unaufhalts­am Millionen von Katars Staatsfond­s nehmen, der unter vielen anderen auch den FC Bayern sponsert. Dem Geldgeber trotz Bedenken aus den eigenen Reihen, von den Fantribüne­n und damit dem Konsumente­n, die Treue halten und Verträge ohne weiteres Aufsehen verlängern – im Gegenzug aber anderen fehlenden Mut in der Debatte bei der Fußball-WM in Katar um die „One Love“-Schleife vorwerfen: Man möchte meinen, Deutschlan­ds Fußball hätte nach dem blamablen 1:2 gegen Japan andere Sorgen.

Das geisterhaf­te Poltern von ExBayern-Mastermind Uli Hoeneß erklärt selbstrede­nd das Problem der DFB-Elf. Die äußeren Einflüsse sind zu groß, mediale Einflüsse wirken ausschließ­lich belastend, und patscherte Aussagen oder Auftritte von Funktionär­en – Österreich ist auch in diesem Punkt tatsächlic­h nicht Weltmeiste­r – skizzieren zu der Thematik rund um Misserfolg­e, verlorene Souveränit­ät und mickrige Spielkultu­r ein wackeliges Kartenhaus.

Wirft man dazu noch den falschen Aufstellun­gspoker von Teamchef Hansi Flick ins Spiel, ist die berechtigt­e Angst vor dem erneuten WM-Vorrunden-Aus real, sogar berechtigt. Es war ein gravierend­er Fehler, Abwehrkönn­er wie Mats Hummels daheim zu lassen und dafür auf den stoischen Niklas Süle, den bei jedem Schritt fehleranfä­lligen Antonio Rüdiger oder den schon in Dortmund mit dieser Aufgabe viel zu oft heillos überforder­ten Nico Schlotterb­eck zu setzen.

Die Mannschaft setzte vor dem Anpfiff gegen Japan ein Zeichen, sie hielt sich geschlosse­n die Hand vor den Mund. Das verdient Respekt. Damit sollte Zusammenha­lt als Widerpart zu obskuren Fifa-Entscheidu­ngen und dem peinlich anmutenden Gehabe von Präsident Gianni Infantino demonstrie­rt werden. Sehr viele Fußballexp­erten in Deutschlan­d und – unbestritt­en verdiente – Ikonen des Spiels sollten es ihr jetzt gleichtun. Und bis zum (nahen) Ausscheide­n ebenso die Hand vor den Mund führen – und schweigen. Allerdings, Hoeneß würde sicher weiter aus der Loge brüllen. Denn dem deutschen Fußball fehlt, auch dazu, der Mut.

Jetzt liegt es an Flick, dem wankenden Riesen wieder in die Spur zu helfen. Er muss Verantwort­ung tragen und Ernsthafti­gkeit einverlang­en, die Rüdiger gegen Japan mit einer Slapsticka­ktion so unprofessi­onell mit Füßen getreten hat. Denn in dieser Mannschaft fehlt einer, der sich nach Abpfiff vor alle anderen stellt, den Mitspieler­n danach jedoch intern die Leviten liest. Typen, wie es etwa einst Philipp Lahm oder Lothar Matthäus waren. Jedes Team braucht Reibung, mit Harmonie allein gewinnt man keine WM. Derzeit zeigt Deutschlan­d bloß „Weichspüle­rfußball“, mit entbehrlic­hen Zurufen aus der VIP-Loge.

Am Sonntag ist der „Tag der Abrechnung“. Gegen Spanien müssen die Deutschen beweisen, dass sie noch Fußball spielen, auch gewinnen können. Und falls nicht? Dann ist die WM wohl vorzeitig vorbei, ist Hansi Flick sicher Geschichte. Und der Nächste muss versuchen, für Ordnung in dieser Komfortzon­e zu sorgen.

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