Deutschlands Fußball muss die Hand vor den Mund halten
Wer auf Könner wie Hummels und Teamhierarchie verzichtet, sich von „One Love“-Debatte und Besserwissern ablenken lässt – der verliert.
Verliert Deutschland im Fußball, brennt sofort der Hut. Siegt es, sucht man immer das letzte Haar in der Suppe.
Unaufhaltsam Millionen von Katars Staatsfonds nehmen, der unter vielen anderen auch den FC Bayern sponsert. Dem Geldgeber trotz Bedenken aus den eigenen Reihen, von den Fantribünen und damit dem Konsumenten, die Treue halten und Verträge ohne weiteres Aufsehen verlängern – im Gegenzug aber anderen fehlenden Mut in der Debatte bei der Fußball-WM in Katar um die „One Love“-Schleife vorwerfen: Man möchte meinen, Deutschlands Fußball hätte nach dem blamablen 1:2 gegen Japan andere Sorgen.
Das geisterhafte Poltern von ExBayern-Mastermind Uli Hoeneß erklärt selbstredend das Problem der DFB-Elf. Die äußeren Einflüsse sind zu groß, mediale Einflüsse wirken ausschließlich belastend, und patscherte Aussagen oder Auftritte von Funktionären – Österreich ist auch in diesem Punkt tatsächlich nicht Weltmeister – skizzieren zu der Thematik rund um Misserfolge, verlorene Souveränität und mickrige Spielkultur ein wackeliges Kartenhaus.
Wirft man dazu noch den falschen Aufstellungspoker von Teamchef Hansi Flick ins Spiel, ist die berechtigte Angst vor dem erneuten WM-Vorrunden-Aus real, sogar berechtigt. Es war ein gravierender Fehler, Abwehrkönner wie Mats Hummels daheim zu lassen und dafür auf den stoischen Niklas Süle, den bei jedem Schritt fehleranfälligen Antonio Rüdiger oder den schon in Dortmund mit dieser Aufgabe viel zu oft heillos überforderten Nico Schlotterbeck zu setzen.
Die Mannschaft setzte vor dem Anpfiff gegen Japan ein Zeichen, sie hielt sich geschlossen die Hand vor den Mund. Das verdient Respekt. Damit sollte Zusammenhalt als Widerpart zu obskuren Fifa-Entscheidungen und dem peinlich anmutenden Gehabe von Präsident Gianni Infantino demonstriert werden. Sehr viele Fußballexperten in Deutschland und – unbestritten verdiente – Ikonen des Spiels sollten es ihr jetzt gleichtun. Und bis zum (nahen) Ausscheiden ebenso die Hand vor den Mund führen – und schweigen. Allerdings, Hoeneß würde sicher weiter aus der Loge brüllen. Denn dem deutschen Fußball fehlt, auch dazu, der Mut.
Jetzt liegt es an Flick, dem wankenden Riesen wieder in die Spur zu helfen. Er muss Verantwortung tragen und Ernsthaftigkeit einverlangen, die Rüdiger gegen Japan mit einer Slapstickaktion so unprofessionell mit Füßen getreten hat. Denn in dieser Mannschaft fehlt einer, der sich nach Abpfiff vor alle anderen stellt, den Mitspielern danach jedoch intern die Leviten liest. Typen, wie es etwa einst Philipp Lahm oder Lothar Matthäus waren. Jedes Team braucht Reibung, mit Harmonie allein gewinnt man keine WM. Derzeit zeigt Deutschland bloß „Weichspülerfußball“, mit entbehrlichen Zurufen aus der VIP-Loge.
Am Sonntag ist der „Tag der Abrechnung“. Gegen Spanien müssen die Deutschen beweisen, dass sie noch Fußball spielen, auch gewinnen können. Und falls nicht? Dann ist die WM wohl vorzeitig vorbei, ist Hansi Flick sicher Geschichte. Und der Nächste muss versuchen, für Ordnung in dieser Komfortzone zu sorgen.