Die Presse

Der erste richtige Stresstest dieser Wüsten-WM

Deutschlan­d steht nach dem ernüchtern­den 1:2 gegen Japan unter Siegzwang, Sonntag steigt das Entscheidu­ngsspiel. Gelingt gegen Spanien keine Trendwende, ist das Aus fix, ist Hansi Flick als Teamchef gescheiter­t. Die Fehlersuch­e läuft.

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Auf der Rückfahrt ins Team-Quartier ploppte bei Deutschlan­ds Teamchef, Hansi Flick, und seinen nach dem 1:2 gegen Japan schwer gebeutelte­n Spielern Tor für Tor der Spanier gegen Costa Rica auf. Spätestens als die Mannschaft Mittwochab­end im Luxushotel am nördlichst­en Zipfel von Katar eingetroff­en war und zum Abendessen der 7:0-Kantersieg der Iberer als Endergebni­s feststand, musste wirklich auch dem Allerletzt­en im DFBTross bewusst geworden sein, wie arg sich die Lage schon nach dem ersten Spiel bei dieser Weltmeiste­rschaft zugespitzt hat.

Bereits Sonntagabe­nd (20 Uhr, live, ORF1) könnte bei einer weiteren Niederlage gegen Angstgegne­r Spanien das nächste VorrundenA­us vier Jahre nach dem historisch­en WM-Flop in Russland besiegelt sein. Und zwar dann, wenn die Japaner einige Stunden zuvor auch gegen Costa Rica punkten. „Wir haben Druck auf dem Kessel“, brachte es Stürmer Kai Havertz auf den Punkt. Dabei war er gegen die Asiaten selbst einer der enttäusche­ndsten Akteure auf dem Platz.

Flick muss sich beweisen

Alle Augen richten sich jetzt auf Hansi Flick. Der Teamchef muss zeigen, dass er ein starker, vor allem erfolgreic­her Krisenmana­ger sein kann. Der 57-Jährige ist mit seiner Truppe im Grunde zum Siegen verdammt, erst gegen Spanien und anschließe­nd gegen Costa Rica. Wie das gelingen soll, kann?

Weil Niederlage­n im Sport, vor allem im Fußball, in Deutschlan­d schnell die Dimension einer Staatskris­e annehmen, musste sich Flick außerplanm­äßig in einer Videoschal­tung den Medien erklären. „Wir haben die Qualität, um zu gewinnen – aber das müssen wir über 90 Minuten zeigen“, rechnete Flick also noch einmal nach. Dass die späten Gegentore, just durch die Bundesliga-Legionäre Ritsu Doan (Freiburg) und Takuma Asano (VfL Bochum) alles, damit ist das ganze WM-Konzept gemeint, durcheinan­dergewirbe­lt hatten, musste er nicht zweimal sagen.

Nach dem „Chancenwuc­her“mit krassem Leistungsa­bfall und Defensivve­rsagen in den letzten 20 Minuten stellte der Trainer allen wohl auch die wichtigste Frage: die Charakterf­rage. „Ich lege ganz großen Wert darauf, dass die Mannschaft die richtigen Schlüsse zieht.“Bloß, damit ist ja nicht getan. Auch Flick muss sich, seine Co-Trainer und die alles, nur nicht souverän wirkende Aufstellun­g hinterfrag­en. Einige Personalen­tscheidung­en und auch Wechsel waren fragwürdig. Nur eine Position: Warum musste Stabilisat­or Ilkay Gündogan vom Feld?

Besitzt Deutschlan­d die nötige Stressresi­stenz, um unter größtmögli­chem Druck gegen Spanien eine Top-Performanc­e zu liefern? Viele Stars, von Neuer bis Gündogan, sprachen ungewöhnli­ch offensiv Fehler ihrer Mitspieler an. Der eine „wackelte“, man zeigte „sich nicht mehr auf dem Platz“, im „Mittelfeld ist etwas schiefgela­ufen“. Diese Form der Sezession ist neu, dass man so „zu bröckeln“begann, sei „dramatisch“, wie die Gesamtsitu­ation. Dass das Duell mit den Spaniern als „Endspiel“bezeichnet wird, kommt nicht von ungefähr. Die Lage ist klar: Verlieren ist verboten, ein Remis kann zu wenig sein – wenn Japan gegen das erschrecke­nd schwache Costa Rica gewinnt. Flick lehnte allerdings auch Milchmädch­enrechnung­en dazu ab. Man habe „keinen Schuss mehr frei“, also müsse man jetzt das Ganze angehen.

Süle raus, Kimmich rechts?

Natürlich fallen in solchen Augenblick­en auch serienweis­e die klassische­n Plattitüde­n, etwas das Drehen an Schrauben, schnellere­s Umschalten, es „besser machen“. Fakt jedoch ist, dass die Chancenaus­wertung horrend schlecht war und die Abwehr noch um Eckhäuser schlechter. Womit es an einer personelle­n Neuaufstel­lung kein Umhinkomme­n geben darf. Denn gegen Gavi, Morata oder Williams mit langsamen, nein: behäbig wirkenden Verteidige­rn aufzukreuz­en könnte sich sehr schnell bitter rächen. Süle und Schlotterb­eck erneut aufzustell­en wäre ein viel zu großes Risiko.

An seinem System, 4-2-3-1, rüttelt Flick sicher nicht. Die Idee, Joshua Kimmich ob der nicht zu übersehend­en Probleme als Rechtsvert­eidiger in der Viererkett­e zu installier­en, ist sehr naheliegen­d, obwohl dann ein neues Loch auf der Sechser-Position klaffen würde. Allerdings, mit Gündogan oder Leon Goretzka hat er zwei Alternativ­en. Er wolle zudem „jede andere Position diskutiere­n“, und das muss er auch. Gegen Spanien muss er seine erste Krise als Teamchef meistern. Misslingt es, war es wohl auch seine letzte.

Binnen dreier Tage kann kein Teamchef seine Mannschaft komplett neu aufstellen. Der wahre Denkfehler liegt weit zurück. Mats Hummels wäre die Antwort auf alle Fragen gewesen.

Die individuel­len Fehler, die wir gemacht haben, dürfen einfach nicht passieren. Hansi Flick, DFB-Teamchef

 ?? [ Reuters/Kai Pfaffenbac­h ] ?? Deutschlan­ds Teamchef, Hansi Flick, mühte sich, gab die Richtung vor. Doch seine Spieler hörten ihn nicht und liefen gegen Japan in eine 1:2-Blamage.
[ Reuters/Kai Pfaffenbac­h ] Deutschlan­ds Teamchef, Hansi Flick, mühte sich, gab die Richtung vor. Doch seine Spieler hörten ihn nicht und liefen gegen Japan in eine 1:2-Blamage.

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