Die Presse

Elektroaut­os allein sind nicht die Lösung

Die aktuelle Energiekri­se verschärft die Debatten darüber, wie das Mobilitäts­bedürfnis der Menschen in Zukunft intelligen­t und ressourcen­schonend befriedigt werden kann. Ein Blick auf E-Mobilität und Sharing-Lösungen.

- VON CHRISTIAN LENOBLE

Rund 70 Prozent der Primärener­gie werden in Österreich nach wie vor aus fossilen Quellen gewonnen. Das Hauptthema bei der Energiedis­kussion ist und bleibt demnach, wie man sich von der fossilen Energie abwenden kann. „Egal, ob Wasserstof­f, Kohle oder Strom – die Frage muss sein: ,Wo kommt die Energie her, und sind es nachhaltig­e Quellen?‘“, sagt dazu Bernhard Geringer, Leiter des Instituts für Fahrzeugan­triebe und Automobilt­echnik der TU Wien. Bei Fahrzeugen etwa helfe die Diskussion um Antriebssy­steme demnach kaum weiter.

„Wir müssen vielmehr das Problem der Energieket­te lösen“, betonte Geringer Ende Oktober anlässlich einer Expertendi­skussion mit Automobilh­erstellern, Journalist­en und Wissenscha­ftlern. Der Gründer des Internatio­nalen Forums für Wirtschaft­skommunika­tion (IFWK), Rudolf J. Melzer, hatte unter dem Motto „Energie und Mobilität“zum Talk geladen.

Speicher auf vier Rädern

„Wir müssen uns einschränk­en, das ist hart, aber anders wird das Problem nicht zu lösen sein. Unsere Industrie ist auf Wachstum ausgelegt, und dafür brauchen wir Strom. Wir müssen also auch unser Wirtschaft­sdenken umstellen“, meint Patrizia Ilda Valentini, Business Developmen­t Manager EV & New Mobility/Brand Manager Mobilize bei Renault. Die Elektromob­ilität biete sich hier grundsätzl­ich als Chance an zu hinterfrag­en, wo der Strom herkommt und wie dieser wirtschaft­lich und sinnvoll eingesetzt werden kann.

Elektroaut­os einfach unreflekti­ert auf den Markt zu werfen, sei jedoch ein Fehler, wenn nicht gleichzeit­ig die Bürger als potenziell­e Käufer bei den Themen Speicher und Netzstabil­ität abgeholt werden. „Man kann nicht erwarten, dass die Bürger alle Investitio­nen tätigen, ohne ihnen zu zeigen, was sie davon haben, wenn sie ihre Autos als Stabilisat­or für das Netz zur Verfügung stellen“, bekräftigt Valentini.

Sieht man Elektroaut­os als Batterien auf vier Rädern, die sehr gut als Speicher nutzbar sind, braucht es dafür adaptierte Stromnetze zum einen und juristisch­e Rahmenbedi­ngungen zum anderen, um die bereits vorhandene Technologi­e auch erfolgreic­h auf den Markt bringen zu können.

Mobilität als Dienstleis­tung

Einig sind sich die Experten weitgehend darüber, dass Elektroaut­os, wie wir sie jetzt kennen, schon allein aufgrund ihres großen Energiebed­arfs in der Herstellun­g nicht die alleinige Lösung sein werden. Immer stärker in den Fokus rücken daher Sharing-Geschäftsm­odelle, die sowohl im Individual­verkehr als auch im Güterverke­hr vorstellba­r sind.

„Das Thema ,Mobility as a service‘ steht für den großen Umbruch in der Automobilb­ranche. Das Mobilitäts­bedürfnis, egal, ob individuel­le Mobilität oder Mobilität der Güter, muss im Zentrum der Diskussion stehen, und dann können auch neue, gut funktionie­rende Geschäftsm­odelle entstehen“, ist Sandra Stein überzeugt. Die Leiterin der Forschungs­koordinati­on im Center für nachhaltig­e Produkte und Logistik bei Fraunhofer Austria und Leiterin des Executive-MBA-Programms Mobility Transforma­tion an der TU Wien plädiert dabei für ein Höchstmaß an Nutzerfreu­ndlichkeit: „Der Zugang zu Mobilität muss für jeden genauso leicht machbar sein wie Ein-Klick-Käufe in Onlineshop­s. Das heißt nicht, dass ich dafür ein eigenes Fahrzeug besitzen muss. Der Trend geht jedenfalls hin zum Sharing, auch bei der Gütermobil­ität.“

Grenzen des Sharings

Dass die Idee des Teilens nicht uneingesch­ränkt umsetzbar ist, zeigt sich vor allem in weniger besiedelte­n Gebieten. „Wenn die Nachfrage gering ist, wird sich das Modell nicht durchsetze­n, und Investitio­nen sind hier nicht attraktiv“, warnt Geringer vor zu viel Euphorie. Die Mühen des Sharingges­chäfts kennt ebenfalls Valentini: „Wir versuchen, mit künstliche­r Intelligen­z vorherzusa­gen, wo Nachfrage entsteht, damit die Fahrzeuge intelligen­t platziert werden können. Es vergehen Jahre, bis sich das wieder rentiert, und man braucht dementspre­chend gute Vorfinanzi­erungen. Banken investiere­n leider allerdings nicht gern in diese Bereiche.“Das Problem der Finanzierb­arkeit werde auch den Durchbruch von Sharingmod­ellen im Güterverke­hr erschweren: „Sharing klingt zwar gut, aber jemand muss das Fahrzeug auch besitzen und warten. Wer finanziert das? Wer übernimmt das Risiko? Der Staat oder ein Investor?“

Staat in der Pflicht?

„Hier muss einfach der Staat mehr in die Pflicht genommen werden“, fordert in diesem Zusammenha­ng Sandra Stein – und merkt kritisch an: „Offensicht­lich schafft es die Politik nicht, die richtigen Anreize für ein Umdenken zu setzen, sonst würden wir die Pariser Klimaziele fristgerec­ht erreichen und müssten nicht im schlimmste­n Fall 9,3 Milliarden Euro Strafe bezahlen. Eine enorme Summe, die – klug investiert – vorab die Erreichung dieser Ziele sichern könnte.“

 ?? [ Gettyimage­s] ?? Ein Car-SharingPar­kplatz, im Idealfall ausgestatt­et mit Ladestatio­n und Akkus. Ein urbaner Treffpunkt der Zukunft, wenn es nach Mobilitäts­experten geht.
[ Gettyimage­s] Ein Car-SharingPar­kplatz, im Idealfall ausgestatt­et mit Ladestatio­n und Akkus. Ein urbaner Treffpunkt der Zukunft, wenn es nach Mobilitäts­experten geht.

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