Inklusion auf dem Arbeitsmarkt – wann, wenn nicht jetzt!
Zero Project Unternehmensdialoge. Über die Plattform zeigen Expertinnen, Experten und Beispiele von Firmen aus der Praxis, wie Betriebe Menschen mit Behinderungen als Mitarbeitende, sowie als Kundinnen und Kunden gewinnen. Über das Jahr verteilt fanden ös
Wo und wie spreche ich Menschen mit Behinderungen als potenzielle Arbeitskräfte richtig an? Welche Unterstützungen und Förderungen gibt es für deren Beschäftigung? Haben Angestellte mit Behinderungen besondere Rechtsansprüche?
Fragen, die sich zunehmend mehr Unternehmen stellen, die angesichts des Mangels an Fachkräften erkennen, dass sie ein enormes Potenzial bisher übersehen haben. Denn nicht weniger als 15 Prozent der Bevölkerung in Österreich und weltweit lebt mit einer Behinderung, so die Schätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO.
In Österreich sind das mehr als 1,3 Millionen Menschen, die von Unternehmen nicht nur als Kundinnen und Kunden, sondern auch als potenzielle Arbeitskräfte bislang mehrheitlich vernachlässigt werden.
Hürden überwinden
2017 wurden daher die Zero Project Unternehmensdialoge ins Leben gerufen, um interessierte Unternehmen dabei zu unterstützen, objektive und auch subjektive Hürden bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen zu überwinden. Denn diese können nicht nur die geforderte Leistung erbringen, Menschen mit Behinderungen verfügen oft auch über besondere Fähigkeiten, die Menschen ohne Behinderung nicht mitbringen. So können Blinde auf einer Braille-Zeile am Keyboard wesentlich schneller arbeiten als die meisten Sehenden.
In jedem Fall sind sie eine Bereicherung für die Diversität von Unternehmen, weiß Martin Essl, Gründer der Essl Foundation und Initiator der Zero Project Unternehmensdialoge zu berichten: „Aus meiner jahrelangen Erfahrung als Unternehmer weiß ich, dass ernstgemeinte Vielfalt in der Belegschaft handfeste Vorteile für alle Beteiligten bedeutet – Eigentümer, Führungskräfte, Kolleginnen und Kollegen und nicht zuletzt Kundinnen und Kunden, von denen auch 15 Prozent mit einer Behinderung leben.“
Welche Vorteile das sind illustrieren die Unternehmen, die bereits Erfahrung mit der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen haben und die im Rahmen der Zero Project Unternehmensdialoge vorgestellt werden. Dazu bieten die Veranstaltungen, die österreichweit stattfinden, die Möglichkeit zum Austausch und Diskussionen mit Experten und Vertretern von Landesregierungen, NGOs sowie Unternehmensverbänden.
Neun Mal in ganz Österreich
Neben einer Reihe kleinerer Events und zwei „Pop-up-Unternehmensdialogen“in Wiener Neustadt und Mödling fanden die österreichweiten Zero Project Unternehmensdialoge 2022 insgesamt neun Mal statt.
Den Auftakt machte St. Pölten am 22. März. In Zusammenarbeit mit dem Land Niederösterreich standen „Fachkräfte mit besonderen Stärken: Neue Wege im Recruiting & Personalentwicklung“im Mittelpunkt. Denn, so Michael Pichler von Zero Project Österreich, erfahrener Personalmanager: „ln Zeiten des Arbeitskräftemangels geht es für Unternehmen darum, kreative Qualifizierungsund Suchkonzepte für Mitarbeitende
zu entwickeln. Innerhalb und außerhalb der Unternehmen gibt es Potenzialgruppen, die dabei häufig übersehen werden.“
Die Keynote lieferte Landesrat Martin Eichtinger, der ebenfalls überzeugt ist, „dass Menschen mit Behinderungen über viele Kompetenzen, Talente und Potenziale verfügen, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind und für viele Betriebe eine Bereicherung darstellen. Unser Ziel ist es daher, behinderte oder gesundheitlich beeinträchtigte Menschen entsprechend ihren individuellen Möglichkeiten beim Zugang zu Arbeit und Beschäftigung passgenau zu unterstützen.“
Das tut das Land Niederösterreich unter anderem mit „0>handicap“, einem Projekt der gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung, über das Arbeitssuchende mit Behinderungen einfach und unbürokratisch an Unternehmen vermittelt werden. Vertreterinnen und Vertreter von MAG Menschen und Arbeit, NEBA Betriebsservice und bab Unternehmensberatung lieferten wertvolle Beiträge zu Fördermöglichkeiten und weiteren Angeboten, die beim Einstieg in die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen helfen. Eine mitreißende Keynote hielt zudem der Spitzensportler und ORFModerator Andreas Onea, der auch die Zero Project Unternehmensdialoge regelmäßig moderiert. Und welche Chancen dadurch in der Praxis entstehen berichteten anschließend Vertreterinnen und Vertreter der Unternehmen Bipa, Sonnentor und Markas.
„Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels werden die Chancen und der Nutzen der Inklusion besonders greifbar.“
Florian Tursky, Staatssekretär für Digitalisierung
Arbeitskräftemangel
Der zweite Zero Project Unternehmensdialog fand am 9. Juni bei der Wirtschaftsprüfung BDO Austria in Wien statt. Das Thema „Demografischer Wandel als Motor für Inklusion“nahm Bezug auf die vielbeachtete Keynote von Johannes Kopf aus dem Vorjahr. In dieser hatte der AMS-Vorstand eindrücklich darauf hingewiesen, dass der Großteil der Unternehmen sich lediglich auf Arbeitskräfte bis zu einem bestimmten Alter und ohne Einschränkungen konzentriert.
Ein Risiko, denn diese Gruppe wird immer kleiner. Neue Arbeitsgewohnheiten, veränderte Wünsche und Bedürfnisse jüngerer Generationen und vor allem die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur werden den schon jetzt vorhandenen Mangel an Arbeitskräften in den nächsten Jahren noch mehr verstärken.
Dazu die Beraterin Karin Praniess-Kastner von Zero Project: „Eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien zeigt, dass Unternehmen, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen, einen besonders hohen Sympathiewert genießen – bei Kundinnen und Kunden, aber auch bei Mitarbeitenden. Die Unternehmenstreue steigt und das führt zu einem positiven Wir-Gefühl.“
Welche Möglichkeiten Unternehmen offenstehen, sich dieses Arbeitskräftepotenzial zu erschließen und kreative Qualifizierungs-, Ausbildung- und Recruiting-Konzepte zu entwickeln, diskutierte Martin Essl mit Wolfgang Kowatsch, Managing Director und Mitgründer von myAbility, sowie Eva Landrichter, Kabinettchefin und Generalsekretärin im Bundesministerium für
Arbeit, die auch die Keynote hielt. Ebenfalls mit auf dem Podium war Sandra Donhauser, Managerin BDO, die das Thema Inklusion & Diversität aus psychologischer Sicht beleuchtete und wertvolle Tipps in Hinblick auf mögliche Lern- und Entwicklungsmaßnahmen gab.
Über ihre Erfahrungen mit der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen berichteten zudem
Agrana Fruit Services, ÖBB-Personenverkehr und Takeda.
Firmen zeigen wie's geht
Am 21. Juni trafen sich Interessierte bei Ikea Haid in Oberösterreich zum Unternehmensdialog. Hier waren es die Unternehmen dm, denn's Biomarkt, Meritas, Standing Ovations und Ikea als Gastgeber die aufzeigten, wie „Neue Wege der Arbeit“in
der Praxis funktionieren. Bei Ikea arbeiten Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen und in allen Bereichen, in den Restaurants genauso wie in der Logistik, an der Kassa oder in der Fundgrube. Nicole Steger, Diversity Inclusion Equality Leader Ikea Austria: „Jeder
Mensch hat andere Bedürfnisse und eine andere Lebensgeschichte. Wichtig ist,
›sich auf das Thema einzulassen und zu schauen, was für beide Seiten möglich ist, zum Beispiel in Bezug auf die Arbeitszeit und den Ablauf. Dies gerne auch vorab, zum Beispiel anhand einer Schnupperzeit, damit beide Seiten wissen, worauf sie sich einlassen.“Dieser Unternehmensdialog fand gemeinsam mit der Caritas Oberösterreich, Business Upper Austria und dem NEBA Betriebsservice statt. Letzteres unterstützt Unternehmen bei der Einstellung von Mitarbeitenden mit Behinderungen – von der Beratung über rechtliche Grundlagen und Fördermöglichkeiten bis zur Suche selbst. Die gehörlose Barbara Rittberger hielt einen viel beachteten Impulsvortrag.
Unter dem Titel „Fachkräfte mit besonderen Stärken: Neue Wege in
Technologie und Logistik“stand der Zero Project Unternehmensdialog am 30. Juni 2022. Das Hybridevent fand vor Ort mitten im Versandzentrum der niceshops GmbH in Paldau in der Steiermark statt.
niceshops ist ein international tätiges, österreichisches Onlinehandelund ECommerce-Unternehmen und betreibt mehr als 400 Onlineshops in 16 Sprachen. Pro Tag werden bis zu 20.000 Pakete versandt. Der mehrfach ausgezeichnete Arbeitgeber beschäftigt rund 550 Mitarbeitende, davon 18 mit einer Behinderung. Barbara Unterkofler, Geschäftsführerin von niceshops: „Es ist natürlich eine Herausforderung, aber wir fühlen uns dadurch sehr bereichert und haben bis jetzt die Erfahrung gemacht, dass es für uns dadurch keinen Nachteil, sondern nur Vorteile gibt.“15 der
Mitarbeitenden mit Behinderungen arbeiten in der Logistik. Über deren beruflichen Alltag berichteten anschließend Conny Lukas, Leiterin der Logistik bei niceshops GmbH, und Mario Sprung, einer der Mitarbeitenden.
Weitere Beispiele, wie gut Inklusion in der Arbeitswelt funktionieren kann, kamen von Zotter Schokolade sowie Wallgreens aus den USA, ein Pionier inklusiver Beschäftigungsmodelle im Logistikbereich. Grußbotschaften per Video schickten zudem Wirtschaftskammerpräsident Josef Herk und Landtagspräsidentin Manuela Khom.
Vielfalt als Gewinn
Zum bereits fünften Mal fand am 22. September 2022 in Kärnten ein Zero Project Unternehmensdialog statt. In diesem Jahr als hybride Veranstaltung im Spiegelsaal im Gebäude der Kärntner Landesregierung in Klagenfurt und online. Die Veranstaltung mit dem Titel „Vielfalt in der Belegschaft als Gewinn für Ihr
Unternehmen“wurde gemeinsam mit der autArK Sozialen Dienstleistungs-GmbH als regionaler Kooperationspartnerin organisiert.
Die Keynote hielt Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria. Das Hightech-Unternehmen ist bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auch selbst ein „gutes Beispiel“– ebenso wie KELAG und BB Feinmechanik, die ebenfalls über ihre Erfahrungen berichteten. Diese Good-Practice-Beispiele illustrierten vor allem eins: Diversität wirkt. Und zwar durch ein verbessertes Gemeinschaftsgefühl und höhere Loyalität zum Unternehmen. An der Diskussion nahmen zudem Landeshauptmann-Stellvertreterin Beate Prettner und Landesrat Sebastian Schuschnig teil.
Motor für Innovation
Anfang Oktober fand schließlich der insgesamt bereits 43. Unternehmensdialog in Österreich unter dem Titel „Innovationsmotor: Beschäftigung
von Fachkräften mit besonderen Stärken“in Wien statt. Die dazu passende Keynote lieferte der Staatssekretär für Digitalisierung, Florian Tursky. Für ihn ist die Digitalisierung der „größte Wandel der Gesellschaft seit der Globalisierung“. Und, so Tursky: „Die Pandemie hat diesen Prozess beschleunigt wie nie. Die Frage ist, wie wir Österreicherinnen und Österreicher daran teilhaben wollen. Und gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels werden die Chancen und der Nutzen der Inklusion besonders greifbar.“
Einen Lösungsansatz bot die Enterprise Training Center GmbH als Gastgeberin der Veranstaltung. ETC ist mit Standorten in Wien, Graz und Attnang-Puchheim österreichweit der größte IT-Trainingsanbieter. Und, so Christoph Becker, Geschäftsführer von ETC: „Gerade in der IT gibt es viele Entwickler und Fachkräfte mit Behinderungen, die hervorragende Arbeit leisten. Das beginnen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie HR-Managerinnen und HR-Manager gerade zu entdecken. Und das wollen wir mit dem Pilotprojekt INCLUSIVE IT fördern.“
Dabei handelt es sich um eine mehrmonatige, hybride Ausbildung, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer teils bei ETC, teils direkt on the Job bei Partnerunternehmen absolvieren. „Die INCLUSIVE-IT-Ausbildung zeigt, wie eine Gruppe von IT-affinen Menschen mit Behinderungen durch eine auf sie abgestimmte Ausbildung ihre Begabungen so einsetzen kann, dass sie auf dem Arbeitsmarkt hoch bezahlte ITJobs erfolgreich meistert“, erläutert Markus Kalbhenn, Leiter des inklusiven Pilotprojektes.
Wie der Berufsalltag von und mit Menschen mit Behinderung aussieht, berichteten im Anschluss Vertreterinnen und Vertreter von Google, Microsoft, twinformatics und des NEBA Betriebsservice. Zum Thema digitale Barrierefreiheit berichteten zudem Klaus Höckner und Werner Rosenberger von der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen und Christian Zehetgruber von Videbis.
Sportliches Finale im Ländle
Der letzte Unternehmensdialog 2022 ging am 10. Oktober in Vorarlberg über die Bühne. Ein sportliches Finale, denn die Veranstaltung fand bei Intersport Fischer in Bregenz statt. Dazu passte auch die Keynote von Thomas Flax: „Vom Bürojob zu den Paralympischen Spielen und wie meine Firma daraus profitierte.“
Unter der Schirmherrschaft von Landesrätin Martina Rüscher diskutierten danach Wolfgang Matt, Bürgermeister der Stadt Feldkirch, Martin Essl, Simon Öhe, Geschäftsführer von „dafür“, Bernhard Bereuter, Geschäftsführer AMS, Michael Tagwerker, Geschäftsführer der Sparte Handel der WK Vorarlberg, sowie Landesrätin Martina Rüscher das Thema „Beschäftigungsmotor im Handel: Menschen mit Behinderungen anstellen – wann, wenn nicht jetzt?“Rüscher beantwortete die Frage so: „Wir müssen die Talente jedes Menschen hervorheben und diese sind oft vielfältiger als man denkt.“Die Praxisbeispiele aus dem Ländle lieferten neben Intersport auch Sutterlüty und Propella.
„Ernstgemeinte Vielfalt in der Belegschaft bedeutet handfeste Vorteile für alle Beteiligten.“
Martin Essl, Zero Project