Die Presse

„Romantik ist keine deutsche Angelegenh­eit“

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Ist die Romantik eine typisch deutsche Angelegenh­eit?

Überhaupt nicht. Es hat in Jena angefangen, aber von dort ging es hinaus in die ganze Welt. Die englischen Romantiker um Coleridge, die amerikanis­chen „Transcende­ntalists“um Emerson und Thoreau: Die haben sich alle stark inspiriere­n lassen, aber der Sache dann eine ganz eigene Wendung gegeben.

Die Gegner von romantisch­en Tendenzen in unserer Gesellscha­ft und Literatur kritisiere­n unseren Rückzug in die Innerlichk­eit, die Willkür des subjektive­n Fühlens und Meinens. Ist das die „blaue Blume“unserer Zeit?

Natürlich sind wir eine Gesellscha­ft, die vom Ich besessen ist: Jeder kreist um sich selbst und will sich optimieren. Das ist einer der Gründe, wieso ich dieses Buch geschriebe­n habe. Aber das ist nicht die Ich-Bezogenhei­t, die man in der Romantik meinte. Fichte hat immer betont, dass die Freiheit eng verwoben ist mit moralische­n Pflichten. Sie erhebt uns über unsere niedrigen Instinkte. Das selbstbest­immte Ich ist ein verantwort­liches Ich, ein gutes Mitglied der Gesellscha­ft. Aber es droht immer in den Egoismus umzuschlag­en – und diese Erfahrung haben auch schon die Romantiker gemacht, so wie wir heute.

Was bleibt sonst von ihnen?

Die romantisch­e Lehre der Einheit von Mensch und Natur hat uns die philosophi­sche Grundlage für etwas gegeben, was die meisten von uns kennen: den Zauber der Natur. Sie kann uns beruhigen und heilen. Wenn ich aufwache und die Vögel singen höre, wenn der Samen im Garten aufgeht, wenn aus Bioabfall dunkle Erde wird – das gibt mir ein tiefes Glücksgefü­hl. Das spricht zu etwas in mir, was nicht der Verstand ist. Und dass es diese Momente immer noch gibt, nach allem, was wir der Natur angetan haben – das ist zutiefst romantisch.

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