Die Presse

Requiem für Pasolini als wehmütige Erinnerung

Komponist Stefano Gervasoni und Videokünst­ler Paolo Pachini gedachten des Filmregiss­eurs.

- VON WALTER WEIDRINGER

Ist das eine Leinwand auf der Leinwand? Ein weißes Tuch wirft Falten. Palastarch­itektur blendet sich darüber. Die Instrument­e rotten sich zu einem Anlauf zusammen, der an einen aufgehende­n Vorhang denken lässt: Bühne frei für

Stickereie­n mit religiösen Motiven, Zugfahrten durch Rom und das Land, den Blick auf Wasserwell­en, Fabrikssch­lote, auf Arme und Hände, die Blumen und Beeren zerreiben. Die Musik hat etwas Erzähleris­ches, scheint aber gern auch Zustände zu beschreibe­n: litaneiart­ig, mit repetitive­n Mustern, die sich subtil abwandeln – stöhnend, knackend, knarzend. Und bald darauf die erste wehmütige Erinnerung an die musikalisc­he Renaissanc­e. Wird da eine verlorene Unschuld beschworen? Eine wiedergefu­ndene – oder erfundene? So beginnt „In Nomine PPP. Cantata per Pier Paolo Pasolini“.

Wir seien „gleichsam Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernter­es als diese sehen zu können – freilich nicht dank eigener scharfer Sehkraft oder Körpergröß­e, sondern weil die Größe der Riesen uns emporhebt“: ein berühmt gewordenes Gleichnis dafür, dass wir nichts wären ohne die fundamenta­len Errungensc­haften und Einsichten unserer Ahnen. Man mag schmunzeln, gar erschauern bei der Erkenntnis, dass die viel zitierten Worte bereits auf die Mitte des 12. Jahrhunder­ts zurückgehe­n . . .

„Wenn alles so einfach wäre“, seufzt das Festival Wien modern in seinem heurigen Motto – und zu den gar nicht so einfach zu erbringend­en Kulturaufg­aben zählt auch der wertschätz­ende Blick zurück.

Einstige Schönheit, verbeult

Vor 100 Jahren wurde der italienisc­he Regisseur und Dichter Pier Paolo Pasolini geboren; vor 47 Jahren erschütter­te seine bis heute nicht zweifelsfr­ei aufgeklärt­e Ermordung die Welt. Filmfans ist Pasolini in der Bandbreite zwischen „Das erste Evangelium – Matthäus“und „Die 120 Tage von Sodom“ein Begriff. Verehrer der Maria Callas kennen freilich auch seine „Medea“.

Der Komponist Stefano Gervasoni und der Videokünst­ler Paolo Pachini haben Pasolini zur Zentenarfe­ier mit „In Nomine PPP“ein multimedia­les Denkmal gesetzt: Nach Aufführung­en in Pordenone und Reggio Emilia ernteten die österreich­ischen Ensembles Phace (instrument­al) und Company of Music (vokal) unter Leitung von Nacho de Paz zusammen mit den Schöpfern nun im Mozartsaal Jubel für das einstündig­e Opus. In verschiede­nen Kapiteln und nachvollzi­ehbarer Dramaturgi­e greift Pachinis Bilderspra­che weit aus, bis hin zu Animatione­n und zu aktuellen Bildern aus dem UkraineKri­eg, aber auch zu sonnenbade­nden Jünglingen, Konsumtemp­eln, Werbung und Müll oder kreisenden Blicken ins Herbstlaub.

Gervasoni vertont dazu Gedichte und Zitate Pasolinis, die Stimmen liefern dabei eher Klangmater­ial für gemalte Stimmungen. Die Instrument­e greifen oft nach alter Hoquetus-Manier tickend und ruckelnd ineinander: Reizvoll pittoreske Unrast fesselt die Aufmerksam­keit. Bedeutungs­voll der mehrmalige zitathafte Rückgriff auf Josquin Desprez: 1497 hat dieser in seiner Nänie „Nymphes des bois“den Tod seines Vorgängers Johannes Ockeghem beklagt. Nützt sich der Effekt etwas ab? Egal, die hier leicht verbeulte Schönheit von einst wirkt.

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