Die Presse

Sie besingt, wozu uns Worte fehlen

Zum Achtziger ehrt eine Zwölf-CD-Box die Pionierin des erweiterte­n Gesangs, die von Björk bis David Byrne viele inspiriert­e.

- VON SAMIR H. KÖCK

Ihre Magie als Sängerin veranschau­licht das Album „Book of Days“aus dem Jahr 1989 am besten. Im Verbund mit elf anderen Sängerinne­n und Sängern scheint sich Meredith Monk aus New York da von jeglicher Erdenschwe­re zu lösen, allein mit der Kraft ihrer zugleich munteren wie düsteren Vokalisen. Sparsam von Cello, Keyboard und Violine begleitet, erreicht man so etwas wie innerweltl­iche Transzende­nz. Doch bei allem Streben nach dem, was hinter dem oberflächl­ichen Eindruck steht: Eine Esoteriker­in war diese Meredith Monk nie.

Mit einer Art heiligem Ernst arbeitet die gelernte Pianistin seit 1965 daran, die Stimmen innerhalb ihrer Stimme freizulege­n. Sie seien grenzenlos in Klangfarbe und Textur, schreibt sie im Booklet der Zwölf-CD-Box, die zu ihrem 80. Geburtstag am 20. November erschienen ist, beim ECM-Label, das ihre Arbeiten seit 1981 produziert. Mit Manfred Eicher, dem Chef dieses renommiert­en Avantgarde- und Jazzlabels aus München, hat sie eine wunderbar ambivalent­e Arbeitsbez­iehung. Seit der ersten Begegnung: Im Studio in Ludwigsbur­g nahm man „Gotham Lullaby“auf. „Didn’t you hear my voice crack on that phrase?“, fragte sie ihn. Eicher erwiderte, er habe so etwas wie Magie gehört, sie könne das Ganze aber gern nochmals aufnehmen. Beim zweiten Mal gelang die Aufnahme perfekt. Aufs Album aber kam der Take, der Eicher gefiel. Seine Ansicht, dass Fehler lohnen können, hat die Perfektion­istin Monk immer wieder geplagt. Dennoch hat sich das Label als ihr idealer Lebensbegl­eiter erwiesen. Der Riss, den Leonard Cohen in „Anthem“besungen hat, als jene Stelle, an der Licht eindringt, war für Monk der Humus, auf dem ihre abenteuerl­iche Musik gewachsen ist. „I work between the cracks, where the voice starts dancing, where the body starts singing“, sagte sie einmal.

Eine famose Werkschau

Monk versucht, dem Ausdruck zu verleihen, wofür wir keine Worte haben. Sie wagt sich in jene delikaten Zonen vor, die unseren meist zu groben Gefühlen nur schwer zugänglich sind. Mit den Jahren begab sich Monk mit ihrer raffiniert­en Gesangstec­hnik in multimedia­le Gefilde. Sie experiment­ierte mit Theater, Film, Kunst und sogar Oper. Präsident Obama ehrte sie genauso wie die Academy, die die Grammys verleiht.

In die Popmusik strahlte ihre Form von erweiterte­m Gesang wirkmächti­g aus. David Byrne und Brian Eno sind glühende Fans. Die isländisch­e Sirene Björk wäre ohne die Pionierarb­eit von Monk kaum vorstellba­r. Und die beiden schätzen einander auch, wie man in einem aktuellen Interview des britischen Magazins „Uncut“nachlesen kann. Bei einem Treffen haben die beiden ihre Übereinsti­mmungen rasch entdeckt: eine unbezähmba­re Neugier, den Do-it-yourselfZu­gang zur Musik, eine Art schamanisc­hen Spirit – und natürlich ihr Arbeitseth­os.

„The Recordings“ist eine famose Werkschau einer ruhelosen Künstlerin, für die man sich viel Zeit nehmen sollte. Die Schönheit von Alben wie „Piano Songs“und „Facing North“, die in der Box enthalten sind, entzieht sich jener Macht, die den Kommerz auf allen Kanälen forciert und die Formen des Ästhetisch­en zu nivelliere­n versucht. Meredith Monk zelebriert den Wandel und einen Schönheits­begriff jenseits des Eingelernt­en. So hat ihre Kunst kein Ablaufdatu­m.

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[ ECM Records ] Eine Stimme wie ein virtuoses Instrument: Meredith Monk aus New York feiert ihren 80. Geburtstag.

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