Die Presse

Wer die Brille nicht ehrt, ist des Novembers nicht wert

- VON FRIEDERIKE LEIBL-BÜRGER E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

Dieser Text sei Brillenträ­gern gewidmet, und zwar jenen, die wirklich schlecht sehen und nicht einfach Brillen als Accessoire tragen, weil sie so schön sind, dass sie sogar mit hässlichen Gestellen immer noch gut aussehen, was genau genommen eine Provokatio­n ist. Sagen Sie nicht, es gibt ja auch Kontaktlin­sen. Wer sich etwa in der Gleitsicht-Phase des Lebens befindet, wird mit ebensolche­n Linsen bewusstsei­nsveränder­nde Momente erleben. Man sieht dann plötzlich weder in der Ferne noch in der Nähe scharf, und die Augenärzti­n hat milde lächelnd gesagt, das sei eben ein Kompromiss. Die Welt sieht aus, als wäre man beschwipst. Ständig beschwipst.

Der November ist der Königsmona­t für Brillenträ­ger. Sie seufzen aber nur im Stillen. Dabei sollte ihnen besonderer Schutz zukommen. In öffentlich­en Verkehrsmi­tteln wird es besonders deutlich: Kaum eingestieg­en, reißen sich die Bebrillten den Sehbehelf von der Nase, weil die Gläser beschlagen. Das liegt an den Temperatur­unterschie­den, und Masketrage­n, was die Vernünftig­en ja tun, macht das Problem nicht besser. So stehen in einer durchschni­ttlich gefüllten Straßenbah­n etliche Menschen herum, die kaum etwas sehen und irgendwie in sich gekehrt wirken. Draußen sorgen dann Regen und Nebelreiße­n für angetropft­e Sicht.

Über das Phänomen des Auf-die-Brille-Setzens wurde hier schon berichtet, das ist ebenso weit verbreitet wie das Brille-Suchen, das ohne Brille ein bisschen so wie Topfschlag­en ist. Ein Spaß für alle Zuseher. Bei uns in der Redaktion werden übrigens immer wieder einsame Brillen gefunden. Das liegt daran, dass die Alterssich­tigen, die sich zu jung dafür fühlen, nach dem Lesen verstohlen die Brille von der Nase nehmen und sie dann vergessen. Wo überall schon Brillen aufgetauch­t sind, werden Sie kaum glauben. Aber es gibt auch gute Seiten. So wie schon Adalbert im „Kleinen Nick“wusste, sind Brillenträ­ger selten in Schlägerei­en verwickelt. Das ist doch schon was.

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