Kryptisches an ehrwürdigen Börsen
Welche fragwürdige Rolle respektable Börsen am Aufschwung von Kyrptowährungen, DeFi und Co. spielen.
Der Kollaps der Kryptobörse FTX beschäftigt die Medien. Doch wenig erfährt man über die Gründe, warum eine solche Börse und die darauf gehandelten „Assets“so viel Geld anziehen konnten. An der Wiener Börse und noch mehr an der Deutschen werden seit gut einem Jahr Finanzprodukte angeboten, die auf solchen Kryptowährungen basieren. Diese alten, ehrwürdigen Börsen preisen als Vorteil an, man müsse dafür nicht direkt diese Währungen kaufen und sich nicht auf so fragwürdigen Börsen wie der FTX bewegen, sondern man könne sich auf sie, die reputablen Börsenplätze, verlassen.
Leider stürzen die Kurse dort in gleicher Weise ab, wenn den dahinterliegenden Kryptowährungen die Luft ausgeht. Der Handel der von 21Shares und zwei weiteren Gesellschaften angebotenen „FTX Token ETP“wurde an der Deutschen Börse ausgesetzt und war davor – im Falle von 21Shares – von etwa 20 Euro innerhalb eines halben Jahres auf fast null Euro gefallen.
Das Kürzel „ETP“(„Exchange Traded Product“) verbirgt genauso, was dahintersteckt, wie das bei FTX und ähnlichen Angeboten der Fall ist. Die Bezeichnung ist bewusst angelehnt an die beliebten Exchange Traded Funds (ETFs). Die Ähnlichkeit gaukelt Wertbeständigkeit vor, was durch die Tatsache, dass die Produkte an den gleichen Börsen gehandelt werden, entscheidend verstärkt wird. Im Unterschied zu ETFs, hinter denen an den Börsen gehandelte Anleihen und Aktien von realen Unternehmen stehen, steckt hinter der Fassade der ETPs keine reale Wirtschaft, sondern nur Kryptowährungen und etwas, was unter „Dezentralisierte Finanzierung (DeFi)“firmiert.
Die mittels ETPs gekauften „Assets“sind tatsächlich sehr verschieden. Was Bitcoin ist, wissen mittlerweile die meisten, was eine Börse wie FTX tut, ist dagegen weitgehend unbekannt, und was mit DeFi gemeint ist, verstehen nicht einmal alle Anlageberater. Zwar findet sich im Internet viel Information darüber, aber daraus das Relevante und Vertrauenswürdige herauszufiltern ist schwierig. Schon der Wikipedia-Eintrag zu „Decentralized Finance“ist höchst fehlleitend, wenn davon gesprochen wird, dass mit DeFi die Intermediäre, wie Broker und Börsen, ausgeschaltet werden.
Bitte keine Fragen!
Tatsächlich war das eine wesentliche Motivation für die Etablierung von Kryptowährungen. Genauso sind die Intermediäre schnell wieder ins Geschäft eingetreten, etwa Börsen wie FTX oder Plattformen für die Aufbewahrung der „Coins“. Zu der schieren Menge und zweifelhaften Gültigkeit der Information gesellt sich ein Slang aus neuen Kunstwörtern, deren Zahl schneller wächst als die damit verbundenen Krypto-Produkte. Wie immer soll eine derart neu geschaffene Sprache Professionalität suggerieren und gleichzeitig unliebsame Fragen abschrecken.
Rund um die wichtigsten Kryptowährungen („Coins“) wie Bitcoin und Ether überschlagen sich Entwickler insbesondere basierend auf der Ethereum-Blockchain in der Erfindung neuer „Tokens“, die ebenfalls als Kryptowährungen gehandelt werden.
Ein Token ist eine abgeleitete Währung, die bestimmte Funktionen erfüllen soll, und zwar primär Varianten sogenannter dezentraler Finanzierung (DeFi). Weil das alles durch „Smart Contracts“(Programme, die automatisiert Transaktionen vornehmen) geregelt wird, müssen sich die Aktivitäten dieser Art der Finanzierung auf eben diese Kryptowährungen beschränken. Dazu deponiert eine Investorin eine „echte“Fiat-Währung, also Euro oder Dollar, um damit eine der vielen Kryptowährungen zu erwerben. Dann kann sie diese Währung tauschen gegen eine andere („swap“) oder einen Kredit in einer Kryptowährung aufnehmen, der später über einen Smart Contract mit einer Kryptowährung beglichen wird. Dafür muss aber eine Sicherheit hinterlegt werden. Letzteres wird geregelt über Plattformen wie FTX und ihren ausgegebenen Token. Und als Sicherheiten dienen wieder Kryptowährungen.
Die Coin löst sich in Nichts auf
Um Zweifel an solchen Sicherheiten zu entkräften, werden diese Tokens nun gern als „Stablecoins“angeboten, also Kryptowährungen, die an eine Fiat-Währung gekoppelt sind, und daher mit entsprechenden Dollars oder Euros besichert sein müssten. Das nennt sich dann etwa bei MakerDAO, einer der größeren DeFi-Plattformen, „Collateralized Debt Position“(CDP). Im Falle von FTX war der Umgang mit den dafür gebunkerten Dollars möglicherweise nicht legal, was erst zu klären bleibt.
Illegale Aktivitäten, das Stehlen von Sicherheiten oder KryptoAssets, sind aber nicht das größte Problem. Solches soll ja auch bei anderen Produkten und Finanzfirmen (siehe Wirecard) vorkommen. Das Hauptproblem ist die Anlageklasse an sich. Kürzlich warnte Mark Branson, der Chef der deutschen Finanzaufsichtsbehörde Bafin,
Kreditinstitute davor, diese Anlageklasse, „die keine ist“, zu verharmlosen. Eine „Stablecoin“ist nur so lang stabil, solang Investoren diese in genügendem Ausmaß kaufen. Geringe Schwankungen können zwar aufgefangen werden, bei einem „Bankrun“, also einem übermäßigen Abzug der Investitionen in diese Währung, hilft allerdings keine Einlagensicherung und steht kein reales Unternehmen dahinter, das als Wert verbleiben würde. Die „Coin“löst sich in Nichts auf. Denn im Unterschied zu einer Fiat-Währung oder einer Aktie dienen Kryptowährungen und Tokens kaum für reale Geschäfte, und wenn, dann meist für illegale Transaktionen (Drogen, Waffen etc.). Sie sind und waren nie viel mehr als ein Spekulationsobjekt.
Wenn nun respektable Institutionen wie die Deutsche und die Wiener Börse darauf aufbauende Anlageprodukte anbieten, dann werden diese implizit gleichgesetzt mit Aktien, Fiat-Währungen, Derivaten und Fonds. Nachdem der Aufstieg dieser kryptischen Produkte bisher vor allem durch Risikokapitalgeber (Venture Capital) angetrieben worden war, soll nun wohl frisches Kapital vom breiteren Publikum nachgeschoben werden.
Natürlich: Auch Aktien und Derivate dienen mitunter hoch spekulativen Geschäften. Die Aufsichtsbehörden überschießen dann meist in der Kontrolle dieser Anlagenformen und der Banken. Im Vergleich dazu erscheint das Krypto-Auge der Aufsicht ziemlich blind. Die Emittenten der an der Börse angebotenen Produkte halten sich zwar an der Oberfläche an alle Gepflogenheiten und legen entsprechende Börse-Prospekte auf. Ob sich die Prüfer die dahinterliegenden Geschäfte aber wirklich ansehen, geschweige denn verstehen, bleibt fraglich. Es sieht eher nach einem Durchwinken aus. Aber vor allem ist die mangelnde Aufsicht, die ja jetzt vermehrt eingefordert wird, in dem zu kleinen Volumen begründet.
Auf dem Aufsichts-Auge blind
Ein Krypto-Crash stellt derzeit noch kein systemisches Risiko dar. Dies ist dem individuellen Anleger ohnehin egal, solang er kurzfristig Gewinn macht; es schenkt ihm aber auch wenig Trost, wenn er sein eingesetztes Geld verliert – was die wahrscheinlichere Variante ist. Und die reputablen Börsen, die Emittenten der darauf gehandelten Produkte und die Anlageberater werden ihren Anteil daran haben, wenn auch selbst keine Verluste erleiden.