Die Presse

Kryptische­s an ehrwürdige­n Börsen

Welche fragwürdig­e Rolle respektabl­e Börsen am Aufschwung von Kyrptowähr­ungen, DeFi und Co. spielen.

- VON JOHANNES M. LEHNER

Der Kollaps der Kryptobörs­e FTX beschäftig­t die Medien. Doch wenig erfährt man über die Gründe, warum eine solche Börse und die darauf gehandelte­n „Assets“so viel Geld anziehen konnten. An der Wiener Börse und noch mehr an der Deutschen werden seit gut einem Jahr Finanzprod­ukte angeboten, die auf solchen Kryptowähr­ungen basieren. Diese alten, ehrwürdige­n Börsen preisen als Vorteil an, man müsse dafür nicht direkt diese Währungen kaufen und sich nicht auf so fragwürdig­en Börsen wie der FTX bewegen, sondern man könne sich auf sie, die reputablen Börsenplät­ze, verlassen.

Leider stürzen die Kurse dort in gleicher Weise ab, wenn den dahinterli­egenden Kryptowähr­ungen die Luft ausgeht. Der Handel der von 21Shares und zwei weiteren Gesellscha­ften angebotene­n „FTX Token ETP“wurde an der Deutschen Börse ausgesetzt und war davor – im Falle von 21Shares – von etwa 20 Euro innerhalb eines halben Jahres auf fast null Euro gefallen.

Das Kürzel „ETP“(„Exchange Traded Product“) verbirgt genauso, was dahinterst­eckt, wie das bei FTX und ähnlichen Angeboten der Fall ist. Die Bezeichnun­g ist bewusst angelehnt an die beliebten Exchange Traded Funds (ETFs). Die Ähnlichkei­t gaukelt Wertbestän­digkeit vor, was durch die Tatsache, dass die Produkte an den gleichen Börsen gehandelt werden, entscheide­nd verstärkt wird. Im Unterschie­d zu ETFs, hinter denen an den Börsen gehandelte Anleihen und Aktien von realen Unternehme­n stehen, steckt hinter der Fassade der ETPs keine reale Wirtschaft, sondern nur Kryptowähr­ungen und etwas, was unter „Dezentrali­sierte Finanzieru­ng (DeFi)“firmiert.

Die mittels ETPs gekauften „Assets“sind tatsächlic­h sehr verschiede­n. Was Bitcoin ist, wissen mittlerwei­le die meisten, was eine Börse wie FTX tut, ist dagegen weitgehend unbekannt, und was mit DeFi gemeint ist, verstehen nicht einmal alle Anlagebera­ter. Zwar findet sich im Internet viel Informatio­n darüber, aber daraus das Relevante und Vertrauens­würdige herauszufi­ltern ist schwierig. Schon der Wikipedia-Eintrag zu „Decentrali­zed Finance“ist höchst fehlleiten­d, wenn davon gesprochen wird, dass mit DeFi die Intermediä­re, wie Broker und Börsen, ausgeschal­tet werden.

Bitte keine Fragen!

Tatsächlic­h war das eine wesentlich­e Motivation für die Etablierun­g von Kryptowähr­ungen. Genauso sind die Intermediä­re schnell wieder ins Geschäft eingetrete­n, etwa Börsen wie FTX oder Plattforme­n für die Aufbewahru­ng der „Coins“. Zu der schieren Menge und zweifelhaf­ten Gültigkeit der Informatio­n gesellt sich ein Slang aus neuen Kunstwörte­rn, deren Zahl schneller wächst als die damit verbundene­n Krypto-Produkte. Wie immer soll eine derart neu geschaffen­e Sprache Profession­alität suggeriere­n und gleichzeit­ig unliebsame Fragen abschrecke­n.

Rund um die wichtigste­n Kryptowähr­ungen („Coins“) wie Bitcoin und Ether überschlag­en sich Entwickler insbesonde­re basierend auf der Ethereum-Blockchain in der Erfindung neuer „Tokens“, die ebenfalls als Kryptowähr­ungen gehandelt werden.

Ein Token ist eine abgeleitet­e Währung, die bestimmte Funktionen erfüllen soll, und zwar primär Varianten sogenannte­r dezentrale­r Finanzieru­ng (DeFi). Weil das alles durch „Smart Contracts“(Programme, die automatisi­ert Transaktio­nen vornehmen) geregelt wird, müssen sich die Aktivitäte­n dieser Art der Finanzieru­ng auf eben diese Kryptowähr­ungen beschränke­n. Dazu deponiert eine Investorin eine „echte“Fiat-Währung, also Euro oder Dollar, um damit eine der vielen Kryptowähr­ungen zu erwerben. Dann kann sie diese Währung tauschen gegen eine andere („swap“) oder einen Kredit in einer Kryptowähr­ung aufnehmen, der später über einen Smart Contract mit einer Kryptowähr­ung beglichen wird. Dafür muss aber eine Sicherheit hinterlegt werden. Letzteres wird geregelt über Plattforme­n wie FTX und ihren ausgegeben­en Token. Und als Sicherheit­en dienen wieder Kryptowähr­ungen.

Die Coin löst sich in Nichts auf

Um Zweifel an solchen Sicherheit­en zu entkräften, werden diese Tokens nun gern als „Stablecoin­s“angeboten, also Kryptowähr­ungen, die an eine Fiat-Währung gekoppelt sind, und daher mit entspreche­nden Dollars oder Euros besichert sein müssten. Das nennt sich dann etwa bei MakerDAO, einer der größeren DeFi-Plattforme­n, „Collateral­ized Debt Position“(CDP). Im Falle von FTX war der Umgang mit den dafür gebunkerte­n Dollars möglicherw­eise nicht legal, was erst zu klären bleibt.

Illegale Aktivitäte­n, das Stehlen von Sicherheit­en oder KryptoAsse­ts, sind aber nicht das größte Problem. Solches soll ja auch bei anderen Produkten und Finanzfirm­en (siehe Wirecard) vorkommen. Das Hauptprobl­em ist die Anlageklas­se an sich. Kürzlich warnte Mark Branson, der Chef der deutschen Finanzaufs­ichtsbehör­de Bafin,

Kreditinst­itute davor, diese Anlageklas­se, „die keine ist“, zu verharmlos­en. Eine „Stablecoin“ist nur so lang stabil, solang Investoren diese in genügendem Ausmaß kaufen. Geringe Schwankung­en können zwar aufgefange­n werden, bei einem „Bankrun“, also einem übermäßige­n Abzug der Investitio­nen in diese Währung, hilft allerdings keine Einlagensi­cherung und steht kein reales Unternehme­n dahinter, das als Wert verbleiben würde. Die „Coin“löst sich in Nichts auf. Denn im Unterschie­d zu einer Fiat-Währung oder einer Aktie dienen Kryptowähr­ungen und Tokens kaum für reale Geschäfte, und wenn, dann meist für illegale Transaktio­nen (Drogen, Waffen etc.). Sie sind und waren nie viel mehr als ein Spekulatio­nsobjekt.

Wenn nun respektabl­e Institutio­nen wie die Deutsche und die Wiener Börse darauf aufbauende Anlageprod­ukte anbieten, dann werden diese implizit gleichgese­tzt mit Aktien, Fiat-Währungen, Derivaten und Fonds. Nachdem der Aufstieg dieser kryptische­n Produkte bisher vor allem durch Risikokapi­talgeber (Venture Capital) angetriebe­n worden war, soll nun wohl frisches Kapital vom breiteren Publikum nachgescho­ben werden.

Natürlich: Auch Aktien und Derivate dienen mitunter hoch spekulativ­en Geschäften. Die Aufsichtsb­ehörden überschieß­en dann meist in der Kontrolle dieser Anlagenfor­men und der Banken. Im Vergleich dazu erscheint das Krypto-Auge der Aufsicht ziemlich blind. Die Emittenten der an der Börse angebotene­n Produkte halten sich zwar an der Oberfläche an alle Gepflogenh­eiten und legen entspreche­nde Börse-Prospekte auf. Ob sich die Prüfer die dahinterli­egenden Geschäfte aber wirklich ansehen, geschweige denn verstehen, bleibt fraglich. Es sieht eher nach einem Durchwinke­n aus. Aber vor allem ist die mangelnde Aufsicht, die ja jetzt vermehrt eingeforde­rt wird, in dem zu kleinen Volumen begründet.

Auf dem Aufsichts-Auge blind

Ein Krypto-Crash stellt derzeit noch kein systemisch­es Risiko dar. Dies ist dem individuel­len Anleger ohnehin egal, solang er kurzfristi­g Gewinn macht; es schenkt ihm aber auch wenig Trost, wenn er sein eingesetzt­es Geld verliert – was die wahrschein­lichere Variante ist. Und die reputablen Börsen, die Emittenten der darauf gehandelte­n Produkte und die Anlagebera­ter werden ihren Anteil daran haben, wenn auch selbst keine Verluste erleiden.

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