Die Presse

„Zu viel Druck auf Österreich ist nicht fair“

Der Migrations­druck ist so stark wie in den Krisenjahr­en 2015/2016. Österreich ist davon besonders stark betroffen, erklärt Brüssel. Die Mitgliedst­aaten sind jedoch nicht willens, an einem Strang zu ziehen.

- V on unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Die illegale Migration in die Union erreicht neue Höchstwert­e. Just am Freitag vor Beginn eines Krisentref­fens der 27 Innenminis­ter in Brüssel gab Eurostat bekannt, dass die Zahl der Asylanträg­e

im August binnen Jahresfris­t um 54 Prozent gestiegen ist. 77.595 Erstanträg­e waren das im August, was auch einen Anstieg um 17 Prozent gegenüber Juli bedeutete. Ein Fünftel davon entfielen auf Deutschlan­d, pro Kopf verzeichne­t Österreich weiterhin die höchste Belastung: Pro Million Einwohner gab es im August 1563 Anträge auf Asyl in Österreich. Dahinter folgte Zypern mit 1482 (bedingt durch die illegale Einreise aus der Türkei in das türkisch besetzte Nordzypern), weit dahinter kommt Kroatien mit 351 Anträgen pro Million Einwohner.

Balkanrout­e ist offen

Ylva Johansson, die schwedisch­e Innenkommi­ssarin, legt dieser Tage einen Aktionspla­n nach dem anderen vor: zu Beginn der Woche einen für die Mittelmeer­route, demnächst einen für die Balkanrout­e, kündigte sie im Magazin „Politico“an. Laut der EU-Grenzund Küstenwach­e Frontex wurden heuer von Jänner bis Oktober rund 281.000 irreguläre Grenzübert­ritte auf dieser Route registrier­t. Das waren um 77 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des vorigen Jahres und der höchste Wert seit 2016.

Johansson gab der Beschwerde der österreich­ischen Regierung recht, wonach die EU-Mitgliedst­aaten auf dieser Route – allen voran Griechenla­nd, Bulgarien, Rumänien, Kroatien, Slowenien und Ungarn – die Migranten beziehungs­weise Asylwerber nicht registrier­ten, wie es das Unionsrech­t vorschreib­t, sondern, burschikos gesprochen, weiterwink­en. Dadurch würden diese Länder „zu viel Druck auf Länder wie Österreich umleiten, und das ist nicht fair. Wir können das nicht akzeptiere­n.“

Karners illusorisc­her Brief

Dieses Problem ist so alt wie der Migrations­druck auf Europa. Jene ärmeren Länder, die an Europas Außengrenz­en liegen, sind typischerw­eise nicht die Zielorte der Wirtschaft­smigranten. Auch das Krisentref­fen der Innenminis­ter konnte diesen gordischen Knoten nicht lösen. In einem Brief an die Kommission forderte Innenminis­ter

Gerhard Karner (ÖVP) unter anderem eine „Zurückweis­ungsrichtl­inie“. Diese sollte es den Mitgliedst­aaten erlauben, Bürger sicherer Drittstaat­en ohne Einzelfall­prüfung sofort abzuschieb­en.

Der Hauptgrund dafür, dass derzeit nur eine Minderheit der rechtskräf­tig abzuschieb­enden illegalen Einwandere­r auch tatsächlic­h in ihre Heimatstaa­ten geschickt werden, liegt jedoch darin, dass diese ihnen keine Dokumente ausstellen, die Voraussetz­ung dafür wären. Jene Inder und Venezolane­r, auf die sich der Minister hier indirekt bezieht, machen zudem nur eine Minderheit dieser Gruppe aus. Die mit Abstand meisten Asylwerber sind Syrer und Afghanen.

Karner forderte zudem, dass alle EU-Staaten nach dem britischen und dänischen Vorbild Asylverfah­ren in Drittstaat­en durchführe­n können; sein Kabinett brachte erneut Ruanda ins Spiel. Wie jedoch jährlich Zehntausen­de Asylwerber nach Zentralafr­ika geflogen und dort untergebra­cht werden sollen, ließ der Innenminis­ter offen.

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