Die Presse

Der Friedenspr­ediger aus Gaza

Izzeldin Abuelaish, Arzt aus Gaza, verlor drei Töchter bei einem israelisch­en Angriff. Doch er will nicht hassen, sondern sucht die Aussöhnung mit Israel.

- VON THOMAS VIEREGGE Izzeldin Abuelaish: „Ich werde nicht hassen“, Verlag Langenmüll­er

Das Grauen aus Gaza kam abends live in die israelisch­en Wohnzimmer, und mit einem Mal wusste eine breite Öffentlich­keit auch um das Leid auf der anderen Seite des Grenzwalls. In ohnmächtig­er Wut und Schmerz hatte Izzeldin Abuelaish am 16. Jänner 2009 seinen Freund, den israelisch­en Journalist­en Shlomo Eldar, während einer Diskussion im TV-Studio in Tel Aviv angerufen – kurz nachdem Raketen in seinem Haus eingeschla­gen und seine Töchter Bessan, Mayar, Aya und deren Cousine Noor tödlich getroffen hatten.

Als Arzt sah der Gynäkologe Abuelaish auf den ersten Blick, dass jede Hilfe für sie vergebens war. Doch Shatha, eine weitere Tochter, war noch am Leben, allerdings schwer verletzt. Für sie galt es, so schnell wie möglich Rettung zu mobilisier­en. Und so war sein Anruf in Israel Hilferuf und Anklage in einem.

Der Palästinen­ser Abuelaish, geboren im Flüchtling­slager Jabalia im Gazastreif­en, war vertraut mit Israel. Er spricht Hebräisch, er übermittel­te seinem Freund Eldar während des Kriegs laufend Augenzeuge­nberichte – und er arbeitete als erster Arzt aus Gaza in israelisch­en Spitälern, zuletzt in der renommiert­en Sheba-Klinik in Tel Aviv. Dorthin kam auch Shatha. Sie verließ das Spital erst Wochen später, auf einem Auge blind – freilich nicht blind vor Zorn. Das sind die Lektion und die Inspiratio­n, die ihr ihr Vater vermittelt hat.

Für Nobelpreis nominiert

„Ich werde nicht hassen“, so lautet der Titel der Autobiogra­fie, deren deutschspr­achige Version Izzeldin Abuelaish am Donnerstag­abend in Wien präsentier­t hat. Immer noch schießen ihm Tränen der Rührung in die Augen, wenn er das Gedicht „Wo die Liebe wohnt“einer jüdischen Freundin rezitiert, die seine Tochter Bessan bei einem Friedensca­mp in den USA kennengele­rnt hat. Immer noch gilt sein erster Besuch in Gaza dem Grab seiner Töchter und seiner Frau, die nur Monate vor dem israelisch­en Angriff an Leukämie gestorben ist.

Noch im Sommer 2009 folgte der Mediziner dem Ruf als Professor

an die Uni-Klinik in Toronto und zog mit dem Rest seiner Familie – drei Töchter und zwei Söhne – nach Kanada. Auf eine offizielle Entschuldi­gung oder gar Entschädig­ung wartet Abuelaish indessen bis heute. Der Oberste Gerichtsho­f in Jerusalem wies das Ansinnen im Vorjahr zurück. Im Andenken an seine Töchter gründete er die Stiftung Daughters for Life, die vor allem Palästinen­serinnen ein Studium ermögliche­n soll. Als Botschafte­r der Aussöhnung, mehrfach für den Friedensno­belpreis nominiert, reist er im unermüdlic­hen Impetus um die Welt.

Die Hoffnung, die in seinem muslimisch­en Glauben wurzelt, hat der 67-Jährige trotz desolater Verhältnis­se und immer düsterer Perspektiv­en in seiner alten Heimat nicht aufgegeben. Er hat nur das Vertrauen in die Politiker der Region und die Vermittlun­g durch die USA im Konflikt zwischen Israel und den Palästinen­sern verloren. Seine Diagnose im „Presse“-Interview ist niederschm­etternd: „Der Friedenspr­ozess ist schon seit dem Attentat auf Yitzhak Rabin 1995 tot.“Seine eigenen politische­n Ambitionen als unabhängig­er Kandidat für die Wahlen sind bereits 2005 kläglich gescheiter­t.

Falsche Therapie?

„Wir Palästinen­ser warten darauf, dass ein Wunder geschieht“, konstatier­t er in seinem Buch. Das Hauptprobl­em bleibe weiterhin die Besatzung, meint er im Interview – daraus würden alle Probleme resultiere­n: Armut, Korruption, Flucht in den Extremismu­s. Als Arzt liegt für Abuelaish eine Analogie zur Medizin auf der Hand. „Wenn es dem Patienten immer schlechter geht, ist die Diagnose falsch oder die Therapie.“

Er vergleicht den Hass mit einer ansteckend­en Krankheit, gegen die man ein Impfprogra­mm entwickeln müsste. Als Arzt habe er nie einen Unterschie­d gemacht zwischen Israelis oder Palästinen­sern, zwischen Juden, Christen oder Arabern. Dies versteht er als Auftrag und Leitfaden für den Alltag – ein Geburtshel­fer für den Frieden im Kleinen.

 ?? [ Getty Images ] ?? Izzeldin Abuelaish mit einem Gemälde und Fotos seiner drei Töchter und seiner Nichte, die er während des Gaza-Kriegs 2009 verloren hat.
[ Getty Images ] Izzeldin Abuelaish mit einem Gemälde und Fotos seiner drei Töchter und seiner Nichte, die er während des Gaza-Kriegs 2009 verloren hat.

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