Der Friedensprediger aus Gaza
Izzeldin Abuelaish, Arzt aus Gaza, verlor drei Töchter bei einem israelischen Angriff. Doch er will nicht hassen, sondern sucht die Aussöhnung mit Israel.
Das Grauen aus Gaza kam abends live in die israelischen Wohnzimmer, und mit einem Mal wusste eine breite Öffentlichkeit auch um das Leid auf der anderen Seite des Grenzwalls. In ohnmächtiger Wut und Schmerz hatte Izzeldin Abuelaish am 16. Jänner 2009 seinen Freund, den israelischen Journalisten Shlomo Eldar, während einer Diskussion im TV-Studio in Tel Aviv angerufen – kurz nachdem Raketen in seinem Haus eingeschlagen und seine Töchter Bessan, Mayar, Aya und deren Cousine Noor tödlich getroffen hatten.
Als Arzt sah der Gynäkologe Abuelaish auf den ersten Blick, dass jede Hilfe für sie vergebens war. Doch Shatha, eine weitere Tochter, war noch am Leben, allerdings schwer verletzt. Für sie galt es, so schnell wie möglich Rettung zu mobilisieren. Und so war sein Anruf in Israel Hilferuf und Anklage in einem.
Der Palästinenser Abuelaish, geboren im Flüchtlingslager Jabalia im Gazastreifen, war vertraut mit Israel. Er spricht Hebräisch, er übermittelte seinem Freund Eldar während des Kriegs laufend Augenzeugenberichte – und er arbeitete als erster Arzt aus Gaza in israelischen Spitälern, zuletzt in der renommierten Sheba-Klinik in Tel Aviv. Dorthin kam auch Shatha. Sie verließ das Spital erst Wochen später, auf einem Auge blind – freilich nicht blind vor Zorn. Das sind die Lektion und die Inspiration, die ihr ihr Vater vermittelt hat.
Für Nobelpreis nominiert
„Ich werde nicht hassen“, so lautet der Titel der Autobiografie, deren deutschsprachige Version Izzeldin Abuelaish am Donnerstagabend in Wien präsentiert hat. Immer noch schießen ihm Tränen der Rührung in die Augen, wenn er das Gedicht „Wo die Liebe wohnt“einer jüdischen Freundin rezitiert, die seine Tochter Bessan bei einem Friedenscamp in den USA kennengelernt hat. Immer noch gilt sein erster Besuch in Gaza dem Grab seiner Töchter und seiner Frau, die nur Monate vor dem israelischen Angriff an Leukämie gestorben ist.
Noch im Sommer 2009 folgte der Mediziner dem Ruf als Professor
an die Uni-Klinik in Toronto und zog mit dem Rest seiner Familie – drei Töchter und zwei Söhne – nach Kanada. Auf eine offizielle Entschuldigung oder gar Entschädigung wartet Abuelaish indessen bis heute. Der Oberste Gerichtshof in Jerusalem wies das Ansinnen im Vorjahr zurück. Im Andenken an seine Töchter gründete er die Stiftung Daughters for Life, die vor allem Palästinenserinnen ein Studium ermöglichen soll. Als Botschafter der Aussöhnung, mehrfach für den Friedensnobelpreis nominiert, reist er im unermüdlichen Impetus um die Welt.
Die Hoffnung, die in seinem muslimischen Glauben wurzelt, hat der 67-Jährige trotz desolater Verhältnisse und immer düsterer Perspektiven in seiner alten Heimat nicht aufgegeben. Er hat nur das Vertrauen in die Politiker der Region und die Vermittlung durch die USA im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern verloren. Seine Diagnose im „Presse“-Interview ist niederschmetternd: „Der Friedensprozess ist schon seit dem Attentat auf Yitzhak Rabin 1995 tot.“Seine eigenen politischen Ambitionen als unabhängiger Kandidat für die Wahlen sind bereits 2005 kläglich gescheitert.
Falsche Therapie?
„Wir Palästinenser warten darauf, dass ein Wunder geschieht“, konstatiert er in seinem Buch. Das Hauptproblem bleibe weiterhin die Besatzung, meint er im Interview – daraus würden alle Probleme resultieren: Armut, Korruption, Flucht in den Extremismus. Als Arzt liegt für Abuelaish eine Analogie zur Medizin auf der Hand. „Wenn es dem Patienten immer schlechter geht, ist die Diagnose falsch oder die Therapie.“
Er vergleicht den Hass mit einer ansteckenden Krankheit, gegen die man ein Impfprogramm entwickeln müsste. Als Arzt habe er nie einen Unterschied gemacht zwischen Israelis oder Palästinensern, zwischen Juden, Christen oder Arabern. Dies versteht er als Auftrag und Leitfaden für den Alltag – ein Geburtshelfer für den Frieden im Kleinen.