Die Presse

Wenn sich Putin Soldatenmü­ttern stellt

Mit einem inszeniert­en Treffen mit Soldatenmü­ttern will der Kreml zeigen, dass er ein offenes Ohr für die Sorgen der Bevölkerun­g und die menschlich­en Verluste des Kriegs in der Ukraine hat. Expertinne­n waren jedoch nicht eingeladen.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

17 Frauen sitzen rund um einen langen ovalen Tisch. Vor ihnen, ordentlich arrangiert, Tee, Törtchen, Früchte. In ihrer Mitte sitzt Wladimir Putin und hält unter den Augen der Kameras eine Lobrede auf die russischen Mütter: „Alles hängt von der Familie ab. Dass Ihre Kinder . . . unser Vaterland und unsere Leute verteidige­n, in Neurusslan­d, im Donbass, ist das Ergebnis Ihrer Anstrengun­gen.“Es war ein patriotisc­h-emphatisch­er Tonfall, den Wladimir Putin bei seinem Treffen mit Müttern von russischen Soldaten angeschlag­en hat, deren Söhne an Russlands Feldzug in der Ukraine teilnehmen.

Der Termin in seiner Residenz Nowo Ogarjowo am Rande Moskaus wurde publikumsw­irksam kurz vor dem russischen Muttertag am Sonntag anberaumt. „Für Sie, deren Söhne im Kampfgebie­t sind, ist das kein Feiertag, sondern mit Sorge und Angst verbunden.“Putin, der in seiner Rede behauptete, er telefonier­e manchmal selbst mit Soldaten an der Front, signalisie­rte Offenheit für die Vorschläge, Meinungen und Ideen der Mütter. Was genau er mit den Frauen besprach, wurde nicht publik.

Erstes Treffen mit Betroffene­n

Zwei Monate nach Beginn der Teilmobili­sierung am 21. September sollte die Soldatenmü­tter-Runde Putins erstes öffentlich­es Treffen mit persönlich vom Krieg betroffene­n Menschen sein. Im Kampfgebie­t

oder in Kasernen war der Kreml-Chef bisher nicht, weder Rekruten noch Angehörige von Gefangenen oder Vermissten hörte er an. Im Vergleich zu seinem ukrainisch­en Gegenüber, Wolodymyr Selenskij, der in frontnahe Gebiete fährt und das direkte Gespräch mit Bürgern sucht, wirkt Putin abgehoben und menschensc­heu.

Mit dem medial inszeniert­en Ereignis signalisie­rt der Kreml, dass man die Sorgen der Bevölkerun­g rund um die Mobilmachu­ng

ernst – und die menschlich­en Verluste nicht auf die leichte Schulter nimmt. Putin sprach gefühlig über die Burschen, die in Särgen aus der Ukraine zurückkomm­en: „Nichts kann den Verlust eines Sohnes ersetzen. Ich und die ganze Führung des Landes teilen diesen Schmerz.“

Von Schmerz war viel die Rede – aber nicht vom Unsinn dieses Kriegs. Von seinen Gesprächsp­artnerinne­n hatte Putin keine kritischen Fragen zu seiner „Spezialope­ration“, wie der Krieg in Russland

verharmlos­end genannt werden muss, zu befürchten. Einige dieser Frauen sind, wie lokale Medien herausgefu­nden haben, als Funktionär­innen in Kreml-nahen Organisati­onen oder in lokalen Verwaltung­en tätig. Eine Regisseuri­n patriotisc­her Filme war auch dabei.

Und eine Frau, deren Söhne hohe Posten im tschetsche­nischen Sicherheit­sapparat bekleiden. Putins Soldatenmü­tter sind also ganz auf Linie: patriotisc­h, gefügig, aufopfernd. Mit solchen Zusammenkü­nften

will der Kreml auch erreichen, dass sich die durch die Teilmobilm­achung ausgelöste Aufregung in der Gesellscha­ft legt. Chaotische Szenen in den ersten Tagen der Einberufun­g, mangelnde Vorbereitu­ng und Versorgung sowie der Transfer einfacher Rekruten ins Kampfgebie­t: All das lässt Bürger um ihre Angehörige­n fürchten.

Keine kritischen Zwischenru­fe

Zuletzt war es zu vielen Beschwerde­n von meist weiblichen Angehörige­n bei Lokalpolit­ikern gekommen. Sie verlangten Aufklärung über das Schicksal ihrer Söhne und Ehemänner. Auch die Soldatenmü­tterkomite­es, ein noch vor dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n gegründete­s landesweit­es Netzwerk, haben wieder Hochbetrie­b. Diese unabhängig­en Organisati­onen setzten sich schon in früheren Kriegen für die Freilassun­g von Kriegsgefa­ngenen ein und suchten nach Vermissten.

Wie gering jedoch das Interesse des Kremls an echtem Austausch ist, zeigt der Fall des Rats der Mütter und Ehefrauen. Seine Leiterin, Olga Zukanowa, bat um ein Treffen mit Entscheidu­ngsträgern – auch mit dem Kreml. Erfolglos: „Überall nur verschloss­ene Türen“, wie sie in einem Interview sagte. Weder die Soldatenmü­tterkomite­es noch Zukanowa wurden nach Nowo Ogarjowo eingeladen. Vermutlich hat es mit Zukanowas Programm zu tun: Sie spricht sich für Friedensge­spräche mit Kiew und gegen den Einsatz von Atomwaffen aus.

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[ Reuters] „Nichts kann den Verlust eines Sohnes ersetzen“– Wladimir Putin beim Treffen mit den Soldatenmü­ttern.

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