Paxlovid: Wirksam – aber nicht bekannt genug
Entwickelt, um insbesondere bei Risikopersonen Spitalsaufenthalte zu verhindern, hilft das antivirale Medikament auch dabei, dass Infektionen sehr mild mit vernachlässigbaren Symptomen verlaufen.
Nach fast drei Jahren Pandemie eine eigentlich unglaubliche Zahl: Einer Befragung des Instituts Mind Take zufolge wissen nur 47 Prozent der Bevölkerung, dass es wirksame Medikamente zur Verhinderung schwerer Covid-19-Verläufe gibt. Befragt wurden im Sommer knapp 1000 Personen.
Als Folge dieses Ergebnisses startete der Selbsthilfeverein Lungenunion eine Kampagne mit der zentralen Botschaft, nach einem positiven Test sofort eine Ärztin bzw. einen Arzt zu kontaktieren. Titel: „Covid-19 positiv: Nicht warten, Anruf schnell starten!“
Eines dieser zu wenig bekannten und zu selten verschriebenen Medikamente ist die seit Anfang 2022 in der EU zugelassene Tablette Paxlovid des US-Konzerns Pfizer. Entwickelt, um bei älteren und vorerkrankten Personen schwere Verläufe im Sinne von Spitalsaufenthalten zu verhindern, zeigt sich zunehmend, dass ihre Einnahme auch bei jüngeren, nicht vorerkrankten Menschen sinnvoll sein kann. Mit dem Ziel, Infektionen kurz und mild zu halten, wie bei einem harmlosen grippalen Infekt – ohne tagelange Kopf-, Glieder- und Halsschmerzen, Husten, Schnupfen, Schüttelfrost, Fieber, Durchfall sowie extreme Abgeschlagenheit.
Bekanntlich gilt ein Krankheitsverlauf per medizinischer Definition auch dann als „mild“, wenn die betroffene Person ein bis zwei Wochen lang mit den genannten Beschwerden im Bett liegt, aber keine Behandlung im Spital braucht. Da auch Mediziner und Politiker in der öffentlichen Debatte diese Bedeutung von „mild“übernommen haben, kam es in der Bevölkerung zu Missverständnissen und Irritationen – denn mit dem Begriff „schwerer Verlauf“verbinden die meisten auch eine schwere Erkrankung ohne Spitalsaufenthalt.
Repräsentative Studien zur Wirksamkeit von Paxlovid bei Personen ohne Vorerkrankungen im Hinblick auf Linderung der Symptome gibt es noch keine, weil bisherige Studien das Ziel hatten, den Effekt der Tablette hinsichtlich Verhinderung schwerer Verläufe zu untersuchen.
Erfahrungsberichte aus der ganzen Welt und auch von Ärzten sowie Patienten aus Österreich zeigen aber, dass das Medikament wirksam ist. Ein Rundruf der „Presse“bei einem Dutzend niedergelassener Ärzte, die die Tablette schon Hunderte Male verschrieben haben, ergab, dass sie in praktisch
allen Fällen zu einer raschen Verbesserung des Zustands der Patienten (mit und ohne Vorerkrankungen) führte. Die Symptome waren also milder und dauerten kürzer an.
Ärzte dürfen Paxlovid im Übrigen nach eigenem Ermessen verschreiben, sie entscheiden also im Einzelfall, ob jemand das Medikament einnehmen sollte oder nicht.
Verfügbarkeit und Kosten
Österreich hat sich seit der Verfügbarkeit des Medikaments rund 200.000 Einheiten, also Packungen gesichert, 49.000 davon kamen bereits zum Einsatz, mit steigender Tendenz in den vergangenen Monaten. Die meisten Packungen werden in Wien abgegeben.
Die Vorräte reichen je nach Haltbarkeit der Chargen bis Oktober 2023. Der Verbrauch wird monatlich kontrolliert, um einen neuerlichen Bedarf früh abzuschätzen. Verhandlungen für eine weitere Beschaffung finden derzeit nicht statt, das Gesundheitsministerium ist aber eigenen Angaben zufolge in ständigem Kontakt mit dem Hersteller Pfizer.
Was Paxlovid im Einkauf kostet, will das Ministerium nicht verraten, die Preise würden Verschwiegenheitsklauseln unterliegen. „Presse“-Informationen zufolge kostet eine Behandlung rund 500 Euro. Für die Patienten kostet die Tablette – wie bei den Impfungen – nichts, nicht einmal die Rezeptgebühr.
Wirkmechanismus
Die Tablette mit den Wirkstoffen Nirmatrelvir und Ritonavir muss innerhalb von maximal fünf Tagen nach Auftreten der Symptome bzw. nach einem positiven Test eingenommen werden, um ihre Wirkung voll zu entfalten und schwere Verläufe zu verhindern.
Bei Paxlovid handelt es sich um ein antivirales Medikament, das die Vermehrung des Virus im Körper blockiert, indem es Enzyme hemmt, die jene Proteine spalten, die das Virus zur Fertigstellung seiner Struktur benötigt. Die Behandlung dauert fünf Tage, mit je drei Tabletten morgens und abends.
Dieser Mechanismus erklärt, warum das Medikament auch das Risiko für Long Covid statistisch signifikant reduzieren dürfte, wie US-Wissenschaftler vor ein paar Tagen herausgefunden haben. Die wissenschaftliche Untersuchung der Washington University im Bundesstaat Missouri ist vorerst nur als Preprint ohne Begutachtung durch Fachkollegen (Peer Review) erschienen.
Ein großer Vorteil dieser oralen Therapie besteht darin, dass sie variantenunabhängig wirksam ist. Auch Nebenwirkungen wurden kaum gemeldet. Vier Prozent der Patienten gaben an, Durchfall zu haben, fünf Prozent beschrieben vorübergehende Veränderungen beim Geschmackssinn. Das ist auf Placebo-Niveau.
Was die Verhinderung von Krankenhausaufenthalten angeht, ist die Tablette vor allem bei Risikopatienten wirksam, also bei älteren Personen und jenen mit Vorerkrankungen
wie etwa COPD, Diabetes, Adipositas, Bluthochdruck, Autoimmunerkrankungen sowie chronischen Herz-, Leber- und Nierenleiden. Bei Personen ohne solche Risikofaktoren zeigte sie keinen signifikanten Effekt. Auch deswegen, weil diese Personen ohnehin sehr selten eine Spitalsbehandlung brauchen.
Nachteile und Risken
Gerade Risikopersonen nehmen häufig eine Reihe anderer Medikamente wie etwa Lipidsenker, Schmerz-, Beruhigungs- und Schlafmittel sowie Antipsychotika ein, die mit einer antiviralen Therapie interagieren können. Bei diesen Interaktionen sind vielfältige, auch gefährliche Auswirkungen möglich, etwa eine Abschwächung oder Verstärkung der Wirkung von Begleitmedikamenten, aber auch eine Abschwächung oder Verstärkung der antiviralen Therapie.
Vor der Einnahme ist also eine gründliche Beratung erforderlich, um zu klären, welche Personen für eine Behandlung infrage kommen und welche Medikamente während einer Therapie mit Paxlovid abgesetzt oder zumindest reduziert werden müssen.
Die Abschwächung des Effekts von Paxlovid jedenfalls kann dazu führen, dass die fünftägige Behandlung nicht ausreicht und es vielleicht auch zu einer Resistenzentwicklung kommt. Noch wurde letzteres Phänomen nicht beobachtet, aber bei einem großflächigen Einsatz eines antiviralen Medikaments ist dieser Effekt wahrscheinlich, wie Erfahrungen aus der Behandlung gegen HIV und Hepatitis C zeigen.
Da Paxlovid das Coronavirus nicht (wie ein Antibiotikum) abtötet, sondern dessen Vermehrung vorübergehend blockiert und dem Körper somit lediglich Zeit verschafft, sein eigenes Immunsystem anzuwerfen und das Virus zu eliminieren, kann es – insbesondere bei Risikopersonen – auch zu einem sogenannten Rebound-Effekt kommen. Also zu einem Aufbäumen der Infektion nach dem Absetzen der Behandlung, weil sich die Viren wieder zu vermehren beginnen.
Das ist auch der Grund dafür, dass Pfizer nun dazu aufgerufen wurde, das Medikament erneut im Zuge einer klinischen Studie zu testen, um es möglicherweise länger als die bisher empfohlenen fünf Tage oder nach einer Pause erneut einzusetzen. Die Wahrscheinlichkeit eines Covid-Rebounds liegt je nach Studie bei weniger als einem Prozent bis zehn Prozent.