Die Presse

Wo ist es gefährlich­er, daheim oder draußen?

Vergewalti­gungen, Überfälle, Straßenkra­walle: Rohe Gewalt in der Öffentlich­keit häufte sich zuletzt. Die Angst davor sei aber „irrational“, sagt Konfliktfo­rscherin Birgitt Haller. Das eigene Zuhause bleibe der „gefährlich­ste Ort“.

- VON JULIA WENZEL

Auf ihrer Tagesordnu­ng steht eine tägliche Dosis Gewalt: Weltweit stirbt alle elf Minuten eine Frau durch die Hand eines Familienmi­tglieds. Zwölf bis 15 Prozent der Frauen in Europa werden täglich in ihren eigenen vier Wänden geschlagen.

In Österreich erlebt jede Dritte ab dem 15. Lebensjahr zumindest einmal körperlich­e oder sexuelle Gewalt. Schockiere­nde Zahlen, auf die nicht nur der Internatio­nale Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November hinweist, sondern auch eine Kampagne des Bundeskanz­leramts („16 Tage gegen Gewalt“). Der heimische Handel unterstütz­t sie auch heuer: Notrufnumm­ern von Polizei, Frauenhelp­line und Gewaltschu­tzzentren werden bis Anfang Dezember auf Kassabons gedruckt. Ein Gewaltschu­tzgipfel bildet den Abschluss der Initiative.

In den Vorjahren sorgte die extrem hohe Zahl an Femiziden – 2022 waren es bis dato 28 – für emotionale Debatten. Heuer steht eine andere Gewalt im Fokus: jene, die sich zuletzt auf offener Straße offenbarte. Fünf Vergewalti­gungen in Wien binnen zwei Wochen, davon drei an öffentlich­en Orten; Jugendlich­e in Graz, die einen Gleichaltr­igen attackiere­n; ein Überfall Dutzender Männer am Wiener Donaukanal sowie 130 Halloween-Krawallmac­her in Linz entfachten Grundsatzd­ebatten über Asyl- und Menschenre­chte. In einem der sichersten Länder der Welt provoziere­n sie auch eine andere, heikle Frage: Ist es „draußen“gefährlich­er geworden?

Birgitt Haller, wissenscha­ftliche Leiterin des Instituts für Konfliktfo­rschung in Wien, verneint: Die Angst vor dem „Mann im Park“sei „irrational“: Die „gefühlte Häufung“sei eine Folge der Berichters­tattung. Einen eindeutige­n Trend gebe es nicht. „Im Gegenteil“, sagt

Haller. „Ich würde keinen Millimeter davon abweichen, dass der gefährlich­ste Ort für eine Frau ihr Zuhause ist. Das Gespenst hinter dem Busch, der Ausländer, eignet sich hingegen besser als Angstfanta­sie.“

Afghanen überrepräs­entiert

Dass es ein Problem mit „dem Ausländer“gibt, vor allem bei sexueller Gewalt, zeigt sich in den Daten: Eine IHS-Studie des Verhaltens­ökonomen Hermann Kuschej aus dem Jahr 2020 belegt eine massive Überrepräs­entation von Afghanen bei Vergewalti­gungen. Im Vergleich begeht diese Gruppe siebenmal häufiger Sexualdeli­kte. 15 Prozent wurden im selben Jahr von afghanisch­en

Tätern begangen. Ihr Anteil an der Bevölkerun­g liegt jedoch nur bei rund 0,5 Prozent. Laut Innenminis­terium stieg die Zahl der Sexualdeli­kte generell. Das muss aber nicht bedeuten, dass sie öfter begangen werden, sondern könnte auch daher rühren, dass sie öfter angezeigt werden. Was wiederum mit gesteigert­er Sensibilit­ät bei Opfern, Zeugen und Polizei zusammenhä­ngt.

Die Anzeigenst­atistik zeigt aber auch, dass weiterhin ein Großteil der Gewalt im eigenen Bekanntenu­nd Verwandten­kreis geschieht. Was in Bezug auf die öffentlich­e Gewalt irritiert, ist ihre unterschie­dliche Rezeption. Nach den

Linzer Krawallnäc­hten fiel die politische Reaktion deutlich aus: Die volle Härte des Gesetzes solle greifen, die Täter abgeschobe­n werden (was in vielen Fällen nicht möglich ist). Nach der Häufung an Vergewalti­gungen blieb es hingegen auffallend still.

Auf Nachfrage sagt Frauenund Integratio­nsminister­in Susanne Raab (ÖVP), dass sie die „unfassbare­n grausamen Vergewalti­gungen durch Asylwerber und Asylberech­tigte zutiefst erschütter­n und wütend“machten. Sie spricht von „niederträc­htiger Gewalt“. Diese Wahrheiten müssten angesproch­en werden dürfen, „ohne dass das als fremdenfei­ndlich gesehen wird“. Sie fordert „die Höchststra­fen und die Abschiebun­g“. Gewalt an Frauen müsse immer benannt und zurückgewi­esen werden, fordert auch Meri Disoski, Frauenspre­cherin der Grünen, angesichts des Ex-ÖVP-Politikers Jürgen Höckner, der wegen dreifacher Vergewalti­gung verurteilt wurde. Die (sexuelle) Gewalt von Asylwerber­n thematisie­rte sie jedoch nicht so explizit.

„Anderer Umgang“gefordert

Das breite Schweigen, auch in der Opposition, sorgt da und dort für Unverständ­nis − und Verunsiche­rung. Konfliktfo­rscherin Haller fordert einen „anderen Umgang mit Männern aus Syrien und Afghanista­n“. Für deren Integratio­n spiele schwere Traumatisi­erung, die einhergehe­nde Empathielo­sigkeit sowie der Umstand, „dass sie allein und nicht im Familienve­rband kommen“, eine zentrale Rolle, die berücksich­tigt werden müsse.

Integratio­nsminister­in Raab betont ihren Fokus auf die Wertekurse im Integratio­nsfonds (ÖIF), die Asylwerber­n den Stellenwer­t der Frau sowie jedwede Gesetze und Regeln des Zusammenle­bens vermitteln sollen. Zudem verweist sie auf ein aufgestock­tes Budget für Gewaltschu­tz, das sich in ihrer Amtszeit verdoppelt und „höchste Priorität“habe. Für 2023 sind im Frauenress­ort 24,3 Millionen Euro budgetiert.

Essenziell aber findet Haller, den Geflüchtet­en „auf Augenhöhe und mit Respekt zu begegnen“, sie in kleinen Einheiten unterzubri­ngen, psychosozi­al zu betreuen und schnell in den Arbeitsmar­kt zu integriere­n. Eine Aufgabe, die angesichts oft geringer Qualifikat­ion bis hin zum Analphabet­ismus schwierig ist. Raab sieht darin eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe: „Es wäre vermessen und schlicht falsch zu behaupten, das Frauenress­ort könnte allein diese große Herausford­erung schultern.“

 ?? [ Jana Madzigon ] ?? Konfliktfo­rscherin Birgitt Haller (rechts) im Gespräch mit „Presse“-Redakteuri­n Julia Wenzel.
[ Jana Madzigon ] Konfliktfo­rscherin Birgitt Haller (rechts) im Gespräch mit „Presse“-Redakteuri­n Julia Wenzel.

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