Die Presse

Leiser Gesang, lauter Jubel

Dieses Mal singen Irans Fußballer die Hymne, der Protest aber geht auf den Rängen weiter. Der erste Sieg lässt Spieler und Fans träumen.

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Al-Rayyan. Mit so viel Spannung wurde das traditione­lle Abspielen der Hymne vor einem Länderspie­l wohl noch nie erwartet. Irans Fußballer hatten schließlic­h mit ihrem stummen Protest zum Auftakt die WM-Bühne für die bislang größte und mutigste Geste genutzt – und damit ihre Solidaritä­t mit den Regimegegn­ern in der Heimat bekundet. Vor dem zweiten Spiel gegen Wales sangen am Freitag alle elf Iraner mit, obgleich mit vergleichs­weise wenig Inbrunst und relativ regungslos.

Der Protest hat sich ohnehin längst auf den Tribünen fortgesetz­t, allen Bemühungen der Stadion-Security zum Trotz, die den Zutritt mit politische­n Zeichen und Symbolen eigentlich verhindern wollte. Viele iranische Fans schafften es dennoch mitsamt ihrer Botschaft hinein: Eine Frau hatte dunkelrote Tränen unter ihren Augen aufgemalt und hielt ein Fußballtri­kot mit der Aufschrift „Mahsa Amini – 22“auf der Rückseite aufgedruck­t: eine Reverenz gegenüber der 22-jährigen kurdischen Frau, deren Tod in Polizeigew­ahrsam vor zwei Monaten die Proteste ausgelöst hatte. Ein Mann neben ihr hielt ein Shirt mit den Worten „Women, Life, Freedom“in die Höhe. Ein weiterer Anhänger zeigte eine iranische Fahne mit den durchgestr­ichenen Worten „Allahu Akbar“(Gott ist der Größte).

Die politische Dimension beflügelte das Spiel der Iraner auf dem Rasen nicht, und da Wales mit einem dieses Mal unauffälli­gen Gareth Bale auch eine bescheiden­e Leistung bot, plätschert­e die Partie dahin. Eine Doppelchan­ce von Sardar Azmoun und Ali Gholizadeh, die jeweils Aluminium trafen (52.), wurde zum Weckruf, die Mannschaft von Carlos Queiroz übernahm nun das Kommando und sorgte im turbulente­n Finish für die Entscheidu­ng.

Der walisische Torhüter Wayne Hennessey foulte den enteilten Mehdi Taremi, nach TVKonsulta­tion

korrigiert­e der Schiedsric­hter aufgrund der Härte des Einsteigen­s von Gelb auf Rot (86.). Während zehn Waliser alles dafür taten, um die Nachspielz­eit unbeschade­t zu überstehen, warf der Iran nun alles nach vorn und belohnte sich. Als der Ball Roozbeh Chesmi vor die Füße fiel, hielt der aufgerückt­e Innenverte­idiger aus 20 Metern drauf – 1:0 (98.). Aus einem Konter besorgte Ramin Rezaeian (101.) den viel umjubelten 2:0-Endstand.

„Heute waren wir mental bereit. Am Ende konnten wir zum Glück den Sieg einfahren“, sagte Teamchef Queiroz und wandte sich an die Anhänger. „Das war ein Sieg der Solidaritä­t. Wir wollen die iranischen Fans beschenken, und das wollen wir noch einmal schaffen.“Dank der drei Punkte ist der erstmalige WM-Aufstieg seiner Mannschaft vor dem abschließe­nden Gruppenspi­el gegen die USA in Reichweite. „Jetzt müssen wir sicherstel­len, dass wir gut genug sind, um ins Achtelfina­le zu kommen.“Es wäre ein weiteres Zeichen in dieser schwierige­n Zeit. (red.)

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[ Imago] Diese Iranerin erinnert an Mahsa Amini, deren Tod in Polizeigew­ahrsam vor zwei Monaten die Proteste im Land ausgelöst hat.

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