Warum Katar für die Chinesen auf einem anderen Planeten liegt
Während viele Fernsehzuschauer in der Volksrepublik im Lockdown sitzen, jubeln in Katar maskenlose Fans im Stadion. Die WM führt den Chinesen ihre Misere vor Augen – und entlarvt die Lügen der Behörden. Die Übertragung im Staatssender wird zum Propaganda-
Dass die WM für Chinas Fußballfans kein Fest der Freude sein wird, stand bereits nach der haushoch verpassten Qualifikation der Nationalmannschaft fest. Doch der tatsächliche Grund für den massiven Frust vieler Fernsehzuschauer im Reich der Mitte ist kein sportlicher: Angesichts voller Stadien und jubelnder Fans stellen nicht wenige von ihnen plötzlich die Pandemie-Maßnahmen ihrer eigenen Regierung infrage. „Ich kann es nicht fassen: So viele Menschen auf einem Haufen ohne Maske?“, schreibt ein User auf der Smartphone-App Wechat.
Tatsächlich ist das Schauen der WM eine geradezu surreale Erfahrung: Während Millionen Chinesen im Lockdown sitzen und vorsorglich Nahrungsvorräte angelegt haben, feiern in Katar Zehntausende
Fußballbegeisterte ausgelassen im Stadion. „Meine größte Erkenntnis aus der WM: Niemand trägt eine Maske, und niemand hat Angst vor der Pandemie!“, postet ein weiterer Nutzer.
Ein Video wurde auf den sozialen Medien ganz besonders häufig geteilt: Es zeigt japanische Fans im Shibuya-Viertel von Tokio, die euphorisch den Sieg gegen Deutschland feiern. „Leben die auf derselben Welt wie wir?“, fragt ein Nutzer auf der Online-Plattform Weibo, offensichtlich verdutzt über den Alltag im Nachbarland.
Erratischen Einschränkungen
Die Realität innerhalb Chinas könnte unterschiedlicher nicht sein: Nachdem am Donnerstag mit über 31.000 Infektionsfällen der höchste Wert seit Beginn der Pandemie registriert wurde, sind unzählige Städte wieder in einen strikten Lockdown versetzt worden. Und bereits seit vielen Monaten wird der Alltag der Bevölkerung von nahezu täglichen PCRTests und erratischen Einschränkungen dominiert. Reisen in benachbarte Provinzen sind seit Jahresbeginn nahezu unmöglich, an Ferien im Ausland ist nicht einmal zu denken.
Doch gleichzeitig ist es für viele, insbesondere ältere Chinesen schwer, sich ein akkurates Bild von weltweiten Pandemiegeschehen zu machen. Die Propaganda der Staatsmedien behauptet schließlich nach wie vor, dass das Ausland im Covid-Chaos versinkt, während die Volksrepublik als einziger Staat der Welt die Menschenleben vor dem Virus schützen kann. Sämtliche Schattenseiten der eigenen Lockdown-Strategie werden von den Zensoren aus dem Internet gelöscht. Und dass weite Teile der Welt – auch dank westlicher mRNA-Vakzine, die in China nicht zugelassen sind – mit dem Virus zu leben gelernt haben, wird ebenfalls verschwiegen.
Die Fußball-WM wird hingegen ganz offiziell im Staatssender CCTV übertragen. Dort wird stolz betont, dass chinesische Firmen das Sportereignis durch den Bau des Lusail-Stadions, gelieferte Elektrobusse und großzügige Sponsorings erst möglich gemacht haben. Doch schlussendlich konnten die Behörden nicht damit rechnen, dass die Wirkung eines harmlosen Fußballturniers auf die eigene Bevölkerung schlussendlich zum Propaganda-Eigentor ausarten würde.
Denn in Peking ist es derzeit nicht einmal mehr möglich, die Spiele mit Freunden in einer Bar anzuschauen. Sämtliche Geschäfte, Schulen und Parks sind schließlich seit dieser Woche geschlossen. Jeden Tag werden Hunderte Wohngebäude abgeriegelt. Wer noch auf die Straße darf, sieht eine zutiefst deprimierte Stadt: Die wenigen Passanten draußen stehen meist in riesigen Schlangen vor den PCR-Teststationen an.
Und da am Donnerstagabend erneut Lockdown-Gerüchte die Runde gemacht haben, sieht man wieder Pekinger mit riesigen Plastiktüten voller Gemüse und Reis durch die nächtlichen Straßen ziehen, um sich für einen möglichen Einbruch der öffentlichen Logistik zu wappnen. Fußball ist angesichts solcher Schwierigkeiten ein Luxusproblem.
Ich kann es nicht fassen: So viele Menschen auf einem Haufen ohne Maske?
Verdutzter chinesischer Wechat-User.