Die Presse

In der Hölle ist es bitterkalt

Man kann die Praxis der Wärmestube­n gar nicht genug loben.

- VON NORBERT MAYER E-Mails: norbert.mayer@diepresse.com

Ganz unten verrichten die Heizer ihren Dienst.

Temperatur­en werden ungemein subjektiv empfunden. Das ist auch bei den Nutzern all der Säle und Kammern im „Gegengift“so. Die Kinogeheri­n fröstelt im Videosaal bei „La tenda rossa“, wenn die Klimaanlag­e im Hochsommer den Raum auf 25 Grad Celsius runtergekü­hlt hat. Der Leser in der Literaturs­tube reißt mitten im Winter das Fenster auf, weil ihm die mittels Elektroofe­n erzeugten 21 Grad bei der Lektüre von „The English Patient“zu heiß sind.

Er ist die Ausnahme. Bei uns scheint die Angst vor der Kälte weiter verbreitet zu sein als die Hitzetodph­obie. Selbst der Klimawande­l hat bisher nichts Wesentlich­es daran geändert. Wahrschein­lich hat Dante recht. In der „Commedia“steigt dieser Dichter mit Vergil ins Inferno hinab. Dort landen sie schließlic­h im Neunten Kreis, bei den Verrätern auf einem gefrorenen See. In der Hölle ist es bitterkalt: „Die Donau in Österreich breitet im Winter kein so dichtes Tuch über ihren Lauf, auch nicht der Don, fern unter dem kalten Himmel . . .“Das Zähneklapp­ern beginnt. Mittendrin steckt der Teufel.

Wie tröstlich ist es, dass jene Kirchen, die vor den Schrecken des Eises und der Finsternis warnen, auch die Tradition der Wärmestube pflegen. Seit dem Mittelalte­r gibt es in Klöstern beheizbare Räume, die Schutz vor der Kälte bieten. Nicht nur für das geistliche Personal, sondern vor allem auch für Bedürftige und Obdachlose bietet das Calefactor­ium Zuflucht. Die Heizer, in der Hierarchie und an ihrem Arbeitspla­tz ganz unten angesiedel­t, haben für das Wohl der Christenhe­it wahrschein­lich mehr getan als mancher Erz-Abt oder Papst.

Der Dienst des Kalfakters gewinnt in Krisenzeit­en an Bedeutung. Wärmestube­n sind auch heute wieder vielerorts überlebens­notwendig, nicht nur in der Ukraine. Sie sind ein Zeichen gegen die Herzenskäl­te. Eigentlich sollte jedermann auf seine Art bereit sein, notfalls auch einmal als Heizer zu helfen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria