„Die Freiheit, gegen den Takt zu musizieren“
Der Dirigent Jakub Hru˚ˇsa über seine Verpflichtungen als Gastdirigent und als künftiger Musikchef von Londons Royal Opera House, über die Wiener Philharmoniker und die Entdeckung unbekannter symphonischer Welten.
Die Presse: Kürzlich wurde bekannt, dass Sie ab 2025 als Musikdirektor am Londoner Opernhaus Covent Garden tätig sein werden. Wie wird sich das auf Ihre gegenwärtigen Engagements auswirken – wie Ihre Chefposition bei den Bamberger Symphonikern oder Ihre Aufgaben als Erster Gastdirigent in Prag und Rom? Jakub Hru˚sˇa: Die besondere Qualität, aber auch die Atmosphäre, die ich in London erlebt habe, waren ausschlaggebend dafür, dass ich dieses Angebot angenommen habe. Das bedeutet eine Bindung auf jeweils ein halbes Jahr, verteilt auf etwa drei Perioden. Denn das Haus ist bekannt dafür, dass man sich hier für die jeweiligen Produktionen viel Zeit nimmt. Mein Vertrag in Bamberg läuft bis Ende der Saison 2025/26, dann werden wir weitersehen. Die Verträge in Prag und Rom werde ich selbstverständlich erfüllen. Auch da wird man sehen, was passiert.
Können Sie schon etwas über Ihre Londoner Pläne verraten?
In der Saison vor meinem Amtsantritt, die ich mit meinem Vorgänger Antonio Pappano teile, werde ich Janáček dirigieren. Für meine erste Spielzeit habe ich Opern von Puccini, Prokofieff und Britten ausgesucht, und dann kommt Wagner, mein erster „Ring“. Meine Eröffnungspremiere als Musikchef darf ich noch nicht verraten.
Was ist für Sie das Besondere an den Wiener Philharmonikern, die Sie dieser Tage in Wien dirigieren?
Man könnte Stunden darüber reden. Ich versuche es mit Stichworten: Das Orchester hat musikalisch wie musikantisch unglaubliches Potenzial. Es besteht aus fantastischen
Musikern, sie sind mit mehr Aspekten musikalischer Praxis vertraut als viele andere Orchester. Das hängt mit ihrer Arbeit in der Oper zusammen. Dazu kommen eine Lebendigkeit des Musizierens und eine Freiheit, gewissermaßen gegen die Taktstriche
zu musizieren. Wenn es gelingt, dieses mit Präzision zu verbinden, bringt es wirklich Tolles. Ich bin generell ein großer Anhänger der mitteleuropäischen Kultur. Musiker aus Österreich, Böhmen, Mähren, Ungarn, Deutschland bilden hier eine Familie.
Die Wiener Philharmoniker können dieses Ideal repräsentieren.
Kürzlich ist Ihre Einspielung der ersten Symphonie des Mahler-Zeitgenossen Hans Rott mit den Bamberger Symphonikern herausgekommen. Sie sind zufällig bei der Vorbereitung für eine Aufnahme der Vierten Bruckner in ihren drei Versionen auf diese gestoßen. Was fasziniert Sie daran? Sie ist in der Tat faszinierend. Weil er so jung gestorben ist und so experimentell agiert hat, scheuen wir uns, Rott in eine Reihe mit Mahler oder Strauss zu stellen. Aber für mich ist es ungerecht, dass viele, die Mahler kennen und von ihm begeistert sind, von dieser Rott-Symphonie nichts wissen, die sich in Richtungen bewegt, die andere nicht entdeckt haben. Für das Orchester ist es eines der schwierigsten Werke, die ich jemals dirigiert habe. Mit den üblichen Proben kommt man hier nicht aus.