„Grüeß di Gott, mi subers Ländle“
Ein neuer Sammelband wirft Licht in die dunklen Ecken des sauberen Ländle. Die Provinz, die gern das Image der Weltoffenheit pflegt, hatte ihre kleingeistigen Facetten.
Du Ländle, meine teure Heimat“. Das ist der Beginn der Vorarlberger Landeshymne, die kaum ein Vorarlberger kennt. Dabei muss man sich nicht genieren dafür, es geht um die Alpen, den Rhein, den Duft der Tannen und das hier lebende „rührige“Völklein. Viel bekannter freilich und gleichsam die inoffizielle Landeshymne ist „Grüeß di Gott, mi subers Ländle.“
Dass Vorarlberg ein sauberes Land ist, soll man auch gar nicht infrage stellen. Hier funktioniert die Mülltrennung, und die Beteiligung bei den Landschaftsreinigungsaktionen der Gemeinden ist immer rege. Und überhaupt: Im Westen sind die Besten, das war das Bild, an dem man jahrzehntelang in Vorarlberg fleißig gearbeitet hat, vor allem die durchgehend regierende ÖVP. Man war darauf bedacht, das Image der Sauberkeit hochzuhalten. Landeshauptleute in Vorarlberg waren die gesamte Zweite Republik hindurch unantastbar, regierten auch lang, jeweils mit landesväterlicher Allüre, nur fünf gab es bis jetzt seit 1945. Populismus lag ihnen fern, es waren spröde und anständige Männer mit unbestreitbarem Leistungsethos und gefestigtem Konservatismus. Vertreter ihres Landes, ihrer Bevölkerung eben.
Nun kam es aber dazu, dass 2021 eine Affäre aufflog, die einen schweren Schlag für das Selbstverständnis der den Landeshauptmann stellenden ÖVP wie auch des Bundeslandes überhaupt darstellte. Es geht um generösen Umgang mit Geld in der ÖVP-Teilorganisation Wirtschaftsbund, eine Einnahmenexplosion durch Inserate für das inzwischen eingestellte Mitgliedermagazin „Vorarlberger Wirtschaft“, Selbstbedienungsmentalität bei Bezügen, Steuerhinterziehung und verdeckte Parteifinanzierung.
Licht in die dunklen Nischen
Wenn in einem Land so ein Berg an dubiosen Machenschaften aufgedeckt wird, dann ist der Ruf, sauber zu sein, schwer beschädigt. Der Landeshauptmann selbst, Markus Wallner, musste sich, gesundheitlich und politisch schwer angeschlagen, eine Auszeit nehmen. Er habe bei der Affäre nach eigenen Worten „zu lang zugeschaut“und schien selbst empört zu sein über die Zustände in seiner eigenen Partei, für die er als Parteichef natürlich Verantwortung trug.
Es ist nicht ein Einzelereignis, das einen Skandal macht, es sind länger andauernde Machenschaften. Irgendwann läuft dann der Topf über, wenn zum Beispiel eine Regierungspartei zu lang zuschaut, wie ein korruptes System aufgebaut wird, schreibt die Politikwissenschaftlerin Kathrin StainerHämmerle im Vorwort eines neuen Buches, das sie herausgegeben hat. Und: „Schande entsteht erst durch den Umgang mit Skandalen,
Affären und Missständen, wenn an die Stelle von Lernen und Änderungsbereitschaft dumpfes Leugnen, stures Verdrängen und trotziges Zeigen auf die Schuld anderer rückt.“Es gebe im Ländle eine Abneigung, die dunklen Ecken in Politik und Gesellschaft auszuleuchten, schreibt sie, ihr Buch wolle da ein wenig Licht hineinbringen.
Haben die Vorarlberger Medien diese Aufgabe nicht erfüllt? Ein Leitmedium in einem Land, einer Region wäre keines, wenn es nicht darüber mitentscheiden könnte, wie stark eine Affäre „gespielt“wird. Vorarlberg hat ein solches Medium in den „Vorarlberger Nachrichten“, sie werden herausgegeben vom Verlag Russmedia, der bis zum Auffliegen der Affäre mit dem Wirtschaftsbund Geschäfte machte. Inzwischen arbeitet hier ein ganzes Team an der Causa, die Verantwortlichen werden nicht geschont, man gestand ein, die eigene Rolle reflektieren zu müssen.
13 Vorarlberg-Experten haben sich in Stainer-Hämmerles Buch in 18 Artikeln genauer angesehen, was da seit 1938 unter den Teppich gekehrt werden sollte und dann doch aufflog. Es geht heftig zur Sache, wenn Harald Walser, Historiker und ehemaliger grüner Nationalratsabgeordneter, die Umtriebe der Vorarlberger Paradeunternehmer Rudolf Hämmerle, Hans Ganahl und Hermann Rhomberg bei der „Arisierung“jüdischen Vermögens schildert. Die Textilgrößen gehörten schon zu den Förderern der NSDAP, als sie noch illegal war, als „bewährte Parteigenossen“pochten sie dann etwa bei der Einverleibung des Wiener Großkaufhauses Herzmansky auf ihre Rechte. Nach der Vertreibung der jüdischen Besitzer erhielten sie das florierende Unternehmen zu einem lächerlich geringen Kaufpreis. Das Jahr 1945 bedeutete für die Karrieren der Unternehmer keinen Abbruch. Überhaupt blieben praktisch alle Vorarlberger Täter von der Nachkriegsjustiz unbehelligt.
Weitgehend vergessen ist heute, dass 1978 auch Vorarlberg seinen Wallraff hatte. Der damals gerade 20 Jahre alte Hans-Peter Martin, später ein berühmter Buchautor mit kurzer politischer Karriere, schlich sich als Hilfsarbeiter in das Textilunternehmen F. M. Hämmerle ein und schrieb über die Arbeitsbedingungen dort ein Enthüllungsbuch mit dem Titel „Nachtschicht“. Das Unternehmen hatte sich das Image eines „sozialen Musterbetriebs“verpasst, Martin räumte damit auf. Fast die Hälfte der Industrieproduktion im Land bestand damals aus Textilwaren, 30.000 Gastarbeiter, vor allem aus der Türkei und Jugoslawien, arbeiteten hier unter verbesserungswürdigen Bedingungen.
Gab und gibt es auch Rassismus? „Presse“-Redakteurin Duygu Özkan, selbst eine Vorarlbergerin, liefert eine tiefgehende Analyse über Xenophobie und Alltagsrassismus. Ihr Resümee: Vorarlberg ist ein konservatives Land, aber in seinem Konservatismus pragmatisch und wenig dogmatisch. Das betrifft auch die Integrationspolitik. Man will das wirtschaftliche Potenzial der Migranten ausschöpfen und einen komfortablen modus vivendi finden, aber gesamtgesellschaftliche Anerkennung ist dann doch etwas anderes. Das Ergebnis ist eine „fragmentierte Liberalität“.
Hinterwäldlerische Kulturpolitik
Mit einer hinterwäldlerischen und bigotten Politik hielten regionale Sittenwächter so gar nicht Schritt mit dem wirtschaftlichen Aufschwung. Man schloss bei der Zensur nahtlos an katholische Vorstellungen von Ethik, Sitte und Moral von früher an. Selbst ein ultrakonservativer Wiener Politiker wie Heinrich Drimmel meinte, als sogar Twist zu tanzen verboten war, das Ländle werde „zur Gänze vom Misthaufen aus regiert“.
Die Kleingeistigkeit und mangelnde Offenheit, die Özkan und andere Autoren konstatieren, passte schon damals nicht zur Selbstwahrnehmung des Landes. Steht nicht der Bodensee als Symbol für offene Weite? Dass heutige Debatten um Minarette und Moscheen nicht viel mehr sind als die Widerspiegelung antimuslimischer Ressentiments, wird nicht wahrgenommen. Man sieht sich als bodenständig und anständig, aufgeschlossen gegenüber den Einflüssen der Nachbarn und dennoch bereit, nicht von seiner eigenständigen Mentalität abzuweichen. „Weltoffene Provinz“eben, wie die „Süddeutsche Zeitung“einmal schrieb. Doch die meinte vor allem die Architektur.