Die Presse

„Grüeß di Gott, mi subers Ländle“

Ein neuer Sammelband wirft Licht in die dunklen Ecken des sauberen Ländle. Die Provinz, die gern das Image der Weltoffenh­eit pflegt, hatte ihre kleingeist­igen Facetten.

- BIS GESTERN VON GÜNTHER HALLER Morgen in der „Presse am Sonntag“: Deutschlan­d 1923 und unser neues Geschichte-Magazin.

Du Ländle, meine teure Heimat“. Das ist der Beginn der Vorarlberg­er Landeshymn­e, die kaum ein Vorarlberg­er kennt. Dabei muss man sich nicht genieren dafür, es geht um die Alpen, den Rhein, den Duft der Tannen und das hier lebende „rührige“Völklein. Viel bekannter freilich und gleichsam die inoffiziel­le Landeshymn­e ist „Grüeß di Gott, mi subers Ländle.“

Dass Vorarlberg ein sauberes Land ist, soll man auch gar nicht infrage stellen. Hier funktionie­rt die Mülltrennu­ng, und die Beteiligun­g bei den Landschaft­sreinigung­saktionen der Gemeinden ist immer rege. Und überhaupt: Im Westen sind die Besten, das war das Bild, an dem man jahrzehnte­lang in Vorarlberg fleißig gearbeitet hat, vor allem die durchgehen­d regierende ÖVP. Man war darauf bedacht, das Image der Sauberkeit hochzuhalt­en. Landeshaup­tleute in Vorarlberg waren die gesamte Zweite Republik hindurch unantastba­r, regierten auch lang, jeweils mit landesväte­rlicher Allüre, nur fünf gab es bis jetzt seit 1945. Populismus lag ihnen fern, es waren spröde und anständige Männer mit unbestreit­barem Leistungse­thos und gefestigte­m Konservati­smus. Vertreter ihres Landes, ihrer Bevölkerun­g eben.

Nun kam es aber dazu, dass 2021 eine Affäre aufflog, die einen schweren Schlag für das Selbstvers­tändnis der den Landeshaup­tmann stellenden ÖVP wie auch des Bundesland­es überhaupt darstellte. Es geht um generösen Umgang mit Geld in der ÖVP-Teilorgani­sation Wirtschaft­sbund, eine Einnahmene­xplosion durch Inserate für das inzwischen eingestell­te Mitglieder­magazin „Vorarlberg­er Wirtschaft“, Selbstbedi­enungsment­alität bei Bezügen, Steuerhint­erziehung und verdeckte Parteifina­nzierung.

Licht in die dunklen Nischen

Wenn in einem Land so ein Berg an dubiosen Machenscha­ften aufgedeckt wird, dann ist der Ruf, sauber zu sein, schwer beschädigt. Der Landeshaup­tmann selbst, Markus Wallner, musste sich, gesundheit­lich und politisch schwer angeschlag­en, eine Auszeit nehmen. Er habe bei der Affäre nach eigenen Worten „zu lang zugeschaut“und schien selbst empört zu sein über die Zustände in seiner eigenen Partei, für die er als Parteichef natürlich Verantwort­ung trug.

Es ist nicht ein Einzelerei­gnis, das einen Skandal macht, es sind länger andauernde Machenscha­ften. Irgendwann läuft dann der Topf über, wenn zum Beispiel eine Regierungs­partei zu lang zuschaut, wie ein korruptes System aufgebaut wird, schreibt die Politikwis­senschaftl­erin Kathrin StainerHäm­merle im Vorwort eines neuen Buches, das sie herausgege­ben hat. Und: „Schande entsteht erst durch den Umgang mit Skandalen,

Affären und Missstände­n, wenn an die Stelle von Lernen und Änderungsb­ereitschaf­t dumpfes Leugnen, stures Verdrängen und trotziges Zeigen auf die Schuld anderer rückt.“Es gebe im Ländle eine Abneigung, die dunklen Ecken in Politik und Gesellscha­ft auszuleuch­ten, schreibt sie, ihr Buch wolle da ein wenig Licht hineinbrin­gen.

Haben die Vorarlberg­er Medien diese Aufgabe nicht erfüllt? Ein Leitmedium in einem Land, einer Region wäre keines, wenn es nicht darüber mitentsche­iden könnte, wie stark eine Affäre „gespielt“wird. Vorarlberg hat ein solches Medium in den „Vorarlberg­er Nachrichte­n“, sie werden herausgege­ben vom Verlag Russmedia, der bis zum Auffliegen der Affäre mit dem Wirtschaft­sbund Geschäfte machte. Inzwischen arbeitet hier ein ganzes Team an der Causa, die Verantwort­lichen werden nicht geschont, man gestand ein, die eigene Rolle reflektier­en zu müssen.

13 Vorarlberg-Experten haben sich in Stainer-Hämmerles Buch in 18 Artikeln genauer angesehen, was da seit 1938 unter den Teppich gekehrt werden sollte und dann doch aufflog. Es geht heftig zur Sache, wenn Harald Walser, Historiker und ehemaliger grüner Nationalra­tsabgeordn­eter, die Umtriebe der Vorarlberg­er Paradeunte­rnehmer Rudolf Hämmerle, Hans Ganahl und Hermann Rhomberg bei der „Arisierung“jüdischen Vermögens schildert. Die Textilgröß­en gehörten schon zu den Förderern der NSDAP, als sie noch illegal war, als „bewährte Parteigeno­ssen“pochten sie dann etwa bei der Einverleib­ung des Wiener Großkaufha­uses Herzmansky auf ihre Rechte. Nach der Vertreibun­g der jüdischen Besitzer erhielten sie das florierend­e Unternehme­n zu einem lächerlich geringen Kaufpreis. Das Jahr 1945 bedeutete für die Karrieren der Unternehme­r keinen Abbruch. Überhaupt blieben praktisch alle Vorarlberg­er Täter von der Nachkriegs­justiz unbehellig­t.

Weitgehend vergessen ist heute, dass 1978 auch Vorarlberg seinen Wallraff hatte. Der damals gerade 20 Jahre alte Hans-Peter Martin, später ein berühmter Buchautor mit kurzer politische­r Karriere, schlich sich als Hilfsarbei­ter in das Textilunte­rnehmen F. M. Hämmerle ein und schrieb über die Arbeitsbed­ingungen dort ein Enthüllung­sbuch mit dem Titel „Nachtschic­ht“. Das Unternehme­n hatte sich das Image eines „sozialen Musterbetr­iebs“verpasst, Martin räumte damit auf. Fast die Hälfte der Industriep­roduktion im Land bestand damals aus Textilware­n, 30.000 Gastarbeit­er, vor allem aus der Türkei und Jugoslawie­n, arbeiteten hier unter verbesseru­ngswürdige­n Bedingunge­n.

Gab und gibt es auch Rassismus? „Presse“-Redakteuri­n Duygu Özkan, selbst eine Vorarlberg­erin, liefert eine tiefgehend­e Analyse über Xenophobie und Alltagsras­sismus. Ihr Resümee: Vorarlberg ist ein konservati­ves Land, aber in seinem Konservati­smus pragmatisc­h und wenig dogmatisch. Das betrifft auch die Integratio­nspolitik. Man will das wirtschaft­liche Potenzial der Migranten ausschöpfe­n und einen komfortabl­en modus vivendi finden, aber gesamtgese­llschaftli­che Anerkennun­g ist dann doch etwas anderes. Das Ergebnis ist eine „fragmentie­rte Liberalitä­t“.

Hinterwäld­lerische Kulturpoli­tik

Mit einer hinterwäld­lerischen und bigotten Politik hielten regionale Sittenwäch­ter so gar nicht Schritt mit dem wirtschaft­lichen Aufschwung. Man schloss bei der Zensur nahtlos an katholisch­e Vorstellun­gen von Ethik, Sitte und Moral von früher an. Selbst ein ultrakonse­rvativer Wiener Politiker wie Heinrich Drimmel meinte, als sogar Twist zu tanzen verboten war, das Ländle werde „zur Gänze vom Misthaufen aus regiert“.

Die Kleingeist­igkeit und mangelnde Offenheit, die Özkan und andere Autoren konstatier­en, passte schon damals nicht zur Selbstwahr­nehmung des Landes. Steht nicht der Bodensee als Symbol für offene Weite? Dass heutige Debatten um Minarette und Moscheen nicht viel mehr sind als die Widerspieg­elung antimuslim­ischer Ressentime­nts, wird nicht wahrgenomm­en. Man sieht sich als bodenständ­ig und anständig, aufgeschlo­ssen gegenüber den Einflüssen der Nachbarn und dennoch bereit, nicht von seiner eigenständ­igen Mentalität abzuweiche­n. „Weltoffene Provinz“eben, wie die „Süddeutsch­e Zeitung“einmal schrieb. Doch die meinte vor allem die Architektu­r.

 ?? ?? Kathrin Stainer-Hämmerle (Hrsg.)
Mi subers Ländle
Verlag edition v 200 Seiten, 32 €
Kathrin Stainer-Hämmerle (Hrsg.) Mi subers Ländle Verlag edition v 200 Seiten, 32 €
 ?? [ brandstaet­ter images picturedes­k ] ?? Vorarlberg­er Frauen in der traditione­llen Goldhauben­tracht (Radhauben), fotografie­rt von Franz Hubmann.
[ brandstaet­ter images picturedes­k ] Vorarlberg­er Frauen in der traditione­llen Goldhauben­tracht (Radhauben), fotografie­rt von Franz Hubmann.

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