Der Wald braucht mehr Liebe
Die Leistung des Ökosystems bekommt jetzt einen Wert: Durch die Kohlenstoff-Steuer und CO2Zertifikate können Wälder in Österreich neuen Gewinn abwerfen – auch ohne Abholzung von Brenn- und Bauholz.
Die europäischen Wälder bleiben nicht so, wie sie sind – „wenn wir jetzt nichts machen“, warnt Jodok Batlogg, Gründer des Start-ups Treely, das von der Austria Wirtschaftsservice AWS gefördert wird. Der IT-Experte hat sich vor wenigen Jahren umorientiert und nach Jobs in San Francisco und Berlin nun in seiner Heimat im Bregenzerwald das Unternehmen geschaffen, das dem heimischen Wald mehr Wert geben soll.
„Der Klimawandel ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Dabei ist es ein Mythos, dass der Wald von allein nachwächst. Eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zeigt, dass in den letzten drei Jahren fünf Prozent des deutschen Waldes gestorben sind“, erzählt Batlogg. „Der Wald ist massiv unter Druck. Dazu kommt die absurde Situation, dass durch die Energiekrise Brennholz teilweise teurer ist als Bauholz. Wir müssen nun aufpassen, dass die Wälder nicht noch stärker als bisher genutzt werden.“
Seine Firma, die im auf Nachhaltigkeit spezialisierten „Pioneer:impact“-Programm in Wattens, Tirol, gefördert wird, setzt ein Gegengewicht zur Abholzung von Bau- und Brennholz: „Durch die CO2-Steuer bekommen Ökosystemleistungen einen Preis: Plötzlich ist es etwas wert, dass im Wald CO2 gespeichert wird.“Treely verbindet nun die Waldbesitzerinnen und -besitzer in Österreich mit Firmen, die CO2-Zertifikate kaufen, um ihre Klimabilanz auszugleichen.
Derzeit liegt die staatliche Steuer für eine Tonne CO2 bei 35 Euro, der Preis soll in den kommenden Jahren auf 55 Euro/Tonne steigen. Den Firmen, die mehr CO2 ausstoßen als aufnehmen, stehen verschiedene Anbieter für CO2-Credits (Zertifikate) offen. Unterschiedliche Klimaschutzprojekte rangieren von wenigen Euro bis über 300 Euro pro Tonne CO2. „Am billigsten sind etwa Wasserkraft-Zertifikate aus China, wo es aber sogar sein könnte, dass z. B. Uiguren aus dem Gebiet vertrieben wurden. Hochwertige Regenwaldschutz-Projekte bekommt man für etwa 20 Euro/t, und Bergwald in Österreich liegt bei 50 bis 60 Euro/t“, rechnet Batlogg vor. Sein Team spricht gezielt Firmen mit lokalem Bezug an, CO2-Zertifikate aus dem heimischen Wald zu erstehen, um die regionale Wertschöpfung zu steigern. „Der Regenwald gehört zwar auch gerettet, aber es wäre gut, wenn österreichische Firmen auch österreichische Wälder schützen“, sagt Batlogg.
CO2-Senken sind enorm wichtig
Er selbst ist in Vorarlberg „Kleinstwaldbesitzer“und hat seine Freizeit immer schon gerne im Wald verbracht: „Dann habe ich mich für naturbasierte Lösungen interessiert, um den globalen CO2-Haushalt zu verbessern.“Die Reduktion von Emissionen ist zwar die Hauptstrategie, um die Klimaveränderungen zu bremsen, doch genauso wichtig ist der Ausbau von CO2-Senken, also Kohlenstoffspeichern. Wenn man bedenkt, wie viel Geld investiert wird, um die Elektromobilität voranzutreiben, wundert sich Batlogg, wieso nicht mehr in die europäischen Wälder investiert wird: „Der Wald kriegt zu wenig Liebe. Er braucht mehr Aufmerksam
keit, damit man diese Senkenleistung erhalten und ausbauen kann.“
Durch die aktuellen Entwicklungen der CO2-Bepreisung gibt es endlich die Möglichkeit, dass Waldbesitzerinnen und -besitzer Geld verdienen können abseits des Schlagens von Holz. Eine moderne Forstwirtschaft basiert auf Geschäftsplänen, sogenannten Operaten, die durch CO2-Zertifikate neu aufgestellt werden können, sodass die Senkenleistung besser belohnt und beachtet wird.
Geschäftspläne neu aufstellen
Typische Waldbewirtschaftungspläne umfassen Fragen nach dem Bedarf an Sägerundholz für die Bauindustrie, dem Bedarf nach Schleifholz für die Papierindustrie oder der Biomasse für Kraftwerke. Seit die Ökosystemleistung namens CO2-Speicher auch lukrativ ist, werden die Pläne vieler Forstwirte
neu geschrieben. „In unseren Verträgen gibt es die Verpflichtung der Waldbesitzerinnen und -besitzer, ihre Flächen auf 30 Jahre so zu bewirtschaften und zu entwickeln, dass die Speicherleistung nicht abnimmt.“
Die Zusammenarbeit zwischen Treely und der Forstwirtschaft läuft also über Generationen. Auch im Team des Start-ups sind Generationen vereint: Batloggs Tochter stieg direkt nach der Matura in das Unternehmen ein. „Wir sind eine sehr vielfältige Truppe“, sagt ihr Vater. Von 19-Jährigen bis über 60-Jährige, von Forstexpertinnen über Datenspezialisten zu Softwareentwicklern findet sich auch Hündin Kerry als „Feel Good Managerin“auf der Mitarbeiterliste. Die wissenschaftliche Zusammenarbeit besteht vorrangig mit der Boku Wien. Das Ziel ist, bewirtschaftete Wälder wirtschaftlicher und fit gegen den Klimawandel zu machen.
Dazu verpflichten sich die teilnehmenden Forstwirtinnen und Forstwirte, den Wald an die Klimaveränderungen anzupassen, um über 30 Jahre die Speicherleistung sicherzustellen und wenn möglich, den Holzanteil zu erhöhen.
Was ist da, und was wäre möglich?
„Es beginnt immer mit einer Bestandsanalyse, die zeigt, wie viele Bäume von welcher Sorte und in welchen Altersklassen auf der Fläche vorhanden sind“, sagt Batlogg. Die traditionelle Methode ist die terrestrische Waldinventur, bei der stichprobenartig Baumstämme in Brusthöhe vermessen werden. „Wir arbeiten auch mit Fernerkundung, die genauer, kostengünstiger und regelmäßiger
KLIMA IM WANDEL
Daten liefert“, schwärmt der Datenexperte vom Digitalisierungsschub in diesem Bereich. Hierbei vermisst man in Überflügen mit Laserscannern die Baumvorräte.
Ist einmal der Ist-Zustand des Waldes ermittelt, gibt es einen Vergleich mit dem Soll-Zustand, der aussagt, was an diesem Standort möglich und gut wäre. Das Ganze findet direkt auf der Internetplattform Treely statt. Die Teilnehmenden verpflichten sich dort, das gewonnene Geld aus den CO2-Zertifikaten wieder in den Wald zu investieren. Maßnahmen zum Erhalt der Speicherleistung sind etwa das Pflanzen von Jungbäumen und Durchforsten von zu dichten Beständen oder der Zukauf von Geräten und Diensten, die das Bewirtschaften effizienter machen.
„Bei der Verifizierung dieser Maßnahmen zur Waldpflege unterstützt uns der TÜV Austria“, sagt Batlogg, dessen Team aus der Vermittlung zwischen Käufer und Verkäufer der CO2-Zertifikate einen Anteil lukriert. Die ersten Verträge wurden bisher in Vorarlberg geschlossen, stets mit dem Fokus auf die regionale Wertschöpfung. Doch das Team denkt weiter und erarbeitet schon Pläne, wie die Verkäufe von CO2-Zertifikaten der österreichischen Wälder auch zwischenstaatlich funktionieren können.