Die Presse

Hoffnung auf Menschen mit Ideen und Gemeinsinn

Klimaschut­z hängt nicht nur an technische­n, sondern auch an sozialen Innovation­en – an neuen Praktiken, Geschäftsm­odellen und Formen der Kooperatio­n. In Österreich existieren einige Initiative­n, die sich darin ausprobier­en. Eine Studie beschäftig­t sich mi

- VON ERIKA PICHLER

Der Frustratio­n, die die UN-Klimakonfe­renz hinterlass­en hat, und dem großen Scheitern beim Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energien stehen viele kleine Erfolge und viel Engagement auf der Ebene regionaler Initiative­n gegenüber. Wenn etwa im oberösterr­eichischen Losenstein das bereits geschlosse­ne Lebensmitt­elgeschäft im Ortszentru­m wieder geöffnet wird, weil der frühere Betreiber zusammen mit seinen Kunden und Lieferante­n eine Genossensc­haft gründet, könnte dies modellhaft sein.

Man hält dem Druck der Supermarkt­konkurrenz stand und etabliert eine Nahversorg­ung mit regionalen, unverpackt­en Produkten und kurzen Transportw­egen. Ums EGG lautet der sprechende Name der Dorfgenoss­enschaft im Ennstal. „Die Initiatore­n führten ihre Kontakte zu regionalen Bauern mit dem alten Kundenstoc­k des Greißlers, aber auch mit früheren Kontakten aus dem Großhandel zusammen und brachten sie neu in Verbindung“, sagt Wolfgang Haider, Sozialwiss­enschaftle­r am Zentrum für Soziale Innovation (ZSI).

Ein anderes Beispiel gefällig? Wenn sich im Bregenzerw­ald 14 Haushalte vier Wochen lang bemühen, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern, tragen sie zumindest indirekt zur Senkung der Treibhausg­asemission­en bei. Konkret versuchte die Gruppe, die sich mit Bezug auf die Pariser Klimaziele Paris – Vorderwald nennt, ihr Verhalten in den Bereichen Mobilität, Energienut­zung, Ernährung und Konsum zu verändern. Man habe dabei durchaus langfristi­ge Wirkungen angestrebt, sagt der Stadt- und Regionalfo­rscher Johannes Suitner vom Institut für Raumplanun­g der TU Wien. „Auf Grundlage des Experiment­s wurden politische Empfehlung­en ausgesproc­hen und künftige Maßnahmen mit Entscheidu­ngsträgeri­nnen und -trägern erörtert. Klar kommunizie­rt wurden hier auch die Grenzen individuel­ler Verhaltens­anpassung und die Notwendigk­eit von systemisch­en Veränderun­gen.“

Als zukunftstr­ächtig kann auch gelten, wenn in Pressbaum ein gemeinscha­ftliches Wohnprojek­t die Anpassung an den Klimawande­l nicht nur durch Holzbauwei­se und

Fotovoltai­k realisiert, sondern auch durch eine Lebensmitt­elkooperat­ive und geteilte Mobilität (Carsharing). Laut Haider und Suitner bringt sich das Wohnprojek­t B.R.O.T.-Pressbaum mittlerwei­le als gut verankerte­r Akteur aktiv in regionale Debatten um die Weiterentw­icklung der Gemeinde ein.

Die beiden Wissenscha­ftler untersucht­en zusammen mit ihrem Team in einer vom Klimaund Energiefon­ds geförderte­n Forschungs­arbeit eine große Zahl solcher „sozialen Klimaexper­imente“– Initiative­n und Projekte, die Lösungen für eine nachhaltig­e Lebens- und Wirtschaft­sweise erproben. Ausgangspu­nkt war ein umfassende­s Screening von über 50 Datenbanke­n und 1400 experiment­ellen Projekten mit Schwerpunk­t Klima und Nachhaltig­keit. Daraus wurden Experiment­e mit einem besonders sozial innovative­n Ansatz ausgewählt. 116 Projektver­antwortlic­he stellten sich schließlic­h einer ausführlic­hen Befragung zu den Zielen und Wirkungen dieser

Klimaexper­imente. Ein Schwerpunk­t der Studie liegt auf den Ressourcen, die für sozial innovative Experiment­e zur Verfügung stehen. Beim Löwenantei­l der Projekte (91 Prozent) erwiesen sich als wichtigste Treiber persönlich­e Netzwerke und berufliche Kontakte, wofür etwa die Losenstein­er Dorfgenoss­enschaft ein Beispiel ist. An zweiter Stelle (81 Prozent) wurden das Wissen über den Ort und seine Entwicklun­gsherausfo­rderungen genannt, danach der Erfahrungs­austausch mit anderen experiment­ellen Projekten und finanziell­e Unterstütz­ung.

Auch im Energieund Mobilitäts­bereich braucht es nicht technologi­sche Innovation­en.

Plattform zur Vernetzung ist geplant

Die Studie ist Teil eines Forschungs­projekts zu transforma­tiven Klimaexper­imenten mit dem Namen Siamese (Social Innovation for Adaptation and Mitigation. Experiment­ation for Transforma­tive Climate Governance). Neben dem Abschlussb­ericht, der für September 2023 geplant ist, soll laut Haider in den kommenden Monaten auch eine Vernetzung­splattform für Klimaexper­imente geschaffen werden. „Sie wird vor allem an der Schnittste­lle von Politik und Zivilgesel­lschaft stehen – mit dem Ziel, dass es neue Initiative­n künftig leichter haben und politische Entscheidu­ngsträgeri­nnen und -träger etwas aus der Fülle an Wissen mitnehmen.“

Johannes Suitner, Stadt- und Regionalfo­rscher, TU Wien

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[ Richard Pobaschnig ]

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