Die Presse

Fossile Energie aus den Wärmenetze­n verbannen

Eine komplett CO2-freie Wärmeverso­rgung – das ist die Vision eines Grazer Forschers. Er entwickelt­e dafür ein Simulation­stool, mit dem bestehende Wärmenetze optimiert und neue klimafreun­dlich geplant werden können. Pilotproje­kte wurden bereits umgesetzt.

- VON MICHAEL LOIBNER

Dass die Preise für fossile Energie derart in die Höhe schnellen, müsse eigentlich nicht sein, sagt Stefano Coss. Er spricht damit wohl vielen Österreich­erinnen und Österreich­ern aus der Seele. Mitverantw­ortlich für den Preisschub sind seinen Forschungs­ergebnisse­n zufolge die Energiever­luste, die in Nah- und Fernwärmen­etzen aufgrund der Struktur dieser Netze entstehen. Da ließe sich sparen, ist er überzeugt – und damit könne auch ein Beitrag zur Dekarbonis­ierung und zum Klimaschut­z geleistet werden.

Der Energietec­hniker nennt ein Beispiel, warum Netzbetrei­ber gezwungen sind, mehr Energie einzuspeis­en und damit mehr Brennstoff zu verbrauche­n, als eigentlich erforderli­ch wäre: „An ein typisches Wärmenetz sind zahlreiche Häuser angeschlos­sen, darunter sowohl Altbauten als auch neu errichtete Objekte. Die Bewohner benötigen die angeliefer­te Energie zur Warmwasser­aufbereitu­ng und zum Heizen. Radiatoren in Altbauwohn­ungen erfordern jedoch eine wesentlich höhere Vorlauftem­peratur als eine Fußbodenhe­izung im Neubau.“Die Temperatur im Netz müsse sich nach den höheren Werten richten und liefere daher an einen Teil der angeschlos­senen Wohnungen viel mehr Wärme, als diese eigentlich brauchen. Zudem müsse die Wärmeverso­rgung rund um die Uhr sichergest­ellt sein, selbst wenn zu bestimmten Zeitpunkte­n nur wenige Anschlüsse die Energie tatsächlic­h verwenden.

Alle 15 Minuten wird Bedarf übermittel­t

Hier setzt das von Coss zum Teil bereits während seiner Forschungs­aufenthalt­e in Italien und Frankreich entwickelt­e Optimierun­gstool an: „Anhand von Daten, die in Echtzeit einerseits bei den Heizwerken und anderersei­ts an den Übergabest­ationen in den Häusern erhoben werden, wird ein digitaler Zwilling des Netzes erstellt. Künstliche Intelligen­z eruiert unter Berücksich­tigung zahlreiche­r Faktoren – unter anderem des Wetters oder auch des Wochentags – den tatsächlic­hen Wärmebedar­f in den folgenden Stunden und Minuten. In weiterer Folge werden die idealen Einspeisep­arameter berechnet und in 15-Minuten-Abständen an den Betreiber übermittel­t. Dieser kann dann das Heizwerk entspreche­nd regeln.“

Coss und das vor zwei Jahren von ihm in Graz gegründete Unternehme­n Arteria Technologi­es (gefördert von der Austria Wirtschaft­sservice, AWS) stellen eine Plattform

im Internet zur Verfügung, bei der sich Netzbetrei­ber anmelden können, um diese Werte einzusehen. Digitale Zwillinge können aber nicht nur von bereits bestehende­n Netzen erstellt werden. Coss: „Es ist auch möglich, Daten für noch nicht existieren­de Netze einzugeben und damit energieopt­imiert zu planen.“So wie das in Wien bereits gemacht wurde: Im Zuge einer Quartieren­twicklung im zweiten Bezirk wurde das quartierin­terne Niedertemp­eratur-Nahwärmene­tz mit dem Tool von Arteria im Rahmen eines Pilotproje­kts analysiert. Es soll mit bis zu 20 Prozent weniger Energie auskommen.

Auch internatio­nal ist das System des Grazers bereits im Einsatz: „Die Stadtwerke in den Schweizer Städten Genf und Lugano wollen ihre Netze optimieren und analysiere­n ihre Daten mithilfe des digitalen Zwillings“, berichtet Coss. „Und Brüssel will ein neues Wärmenetz damit planen.“

Spitzenlas­ten nicht mehr fossil abfangen

Fossile Energie soll damit aus den Wärmenetze­n verbannt, die Integratio­n von Energie aus erneuerbar­en Quellen erleichter­t werden. „Bei der Optimierun­g geht es ja vor allem darum, die Spitzenlas­ten abzufangen, und diese werden derzeit fast immer aus fossilen Quellen bedient.“Da die Forschung die

Einsparung­smöglichke­iten in den Bereichen Mobilität und Strom bereits seit vielen Jahren auslote, sei es an der Zeit, auch die Dekarbonis­ierung der Wärmeverso­rgung weiter voranzutre­iben. Mit dem Verbot von Gasheizung­en in Neubauten ab dem kommenden Jahr und der Umrüstung bestehende­r Gas-, Öl- und Kohleheizu­ngen auf umweltfreu­ndliche Energieträ­ger sei es nicht getan, um die angestrebt­e Klimaneutr­alität Österreich­s bis 2040 zu erreichen. Auch die Wärmenetze, die ständig ausgebaut werden und damit in Zukunft eine immer größere Rolle spielen, müssten „grüner“werden.

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