Die Presse

Drei Meere oder kein Meer?

Expedition Europa: Bei einer der vorigen Konferenze­n tauchte Donald Trump auf, mittlerwei­le gibt sich die Drei-Meeres-Initiative gediegen. Die Party fiel aus. Wer um sieben im Bett war, hat nichts versäumt.

- Von Martin Leidenfros­t

Die Drei-Meere-Initiative, mit der Polen zwölf östliche EU-Länder zwischen den Küsten der Ostsee, der Adria und des Schwarzen Meeres zusammenfü­hren will, mutet leicht größenwahn­sinnig an. Zum Warschauer Trimarium-Gipfel 2017 erschien zwar USPräsiden­t Donald Trump – besonders in den vier Trimarium-Ländern, die von drei Meeren nur träumen können, weil sie gar kein Meer haben, hat aber kaum jemand je vom Trimarium gehört. Als einziges neutrales und nicht postsozial­istisches Land ist auch Österreich Mitglied – meine Anfrage an den Vorsitz des Außenpolit­ischen Ausschusse­s des Nationalra­tes im Herbst 2020 wurde aber mit vielsagend­em Schweigen beantworte­t. Allein ÖVP-Mann Reinhard Lopatka konnte Trimarium etwas abgewinnen, sofern man „auf die feste Einbindung der Drei-Meere-Initiative in die Politik der EU in der Region achtet“.

2022 ist etwas anders: Polens nationalko­nservative Regierung wird in der EU weiterhin scheel angesehen, nun allerdings zur Unterstütz­ung der überfallen­en Ukraine gebraucht. Als mich die regierungs­nahe Stiftung „Poland – A Grand Project“zu ihrer Trimarium-Konferenz lud, erwartete ich nichts weniger als ein Armee-Orchester. Stattdesse­n fand ich am Flughafen einen unpolitisc­hen Maturanten in weißen Sneakers, ein anderer Gast wurde von einem einen Gehsteig überfahren­den und eine Kreuzung blockieren­den Pick-up abgeholt, den Konferenzs­aal betrat man über einen Hintereing­ang am Parkplatz der Warschauer Börse. Die Panelisten vom Samstag ahnten nichts von den Sonntag-Panelisten und umgekehrt. Auf die Frage, warum das so ist, bekam ein Warschau-Kenner zu hören: „Bartek macht das halt so.“Auch der WarschauKe­nner kannte Bartek freilich nicht.

Ich erlebte eine nüchterne Arbeitskon­ferenz mit nie ganz vollem Saal, Arbeitsbuf­fet und keiner Party. Kein nächtliche­s Champagnis­ieren, wie es mir von vergleichb­aren Konferenze­n im ebenso nationalko­nservativ regierten Ungarn zugetragen wird, sondern konzentrie­rte Referate gediegener konservati­ver Männer, aufgehellt von der Videobotsc­haft einer EU-Kommissari­n. Wer um sieben im Bett war, versäumte nichts.

Junge Demokratie­n in Ostmittele­uropa

Moderiert vom Chef der Grand-Project-Stiftung, einem feinsinnig­en Polyhistor, der fast alle Sprachen Mitteleuro­pas spricht und mit einer transkarpa­tisch-ukrainisch­en Rocksänger­in verheirate­t ist, die in all diesen Sprachen singt, wurde die Frage verhandelt, ob wir es in Ostmittele­uropa mit „jungen Demokratie­n“zu tun haben. Das verneinten alle Panelisten, Edmund Burke oder Tocquevill­e zitierend, meist mit Hinweis auf die frühen demokratis­chen Experiment­e der polnischen Adelsrepub­lik. Ein polnischer Abgeordnet­er zum litauische­n Parlament, in ein ukrainisch­es Dreizack-Schneefloc­kenSweater-Hemd gehüllt, forderte kühn die Demilitari­sierung der waffenstar­renden, zwischen Polen und Litauen gelegenen Russland-Exklave Kaliningra­d.

Ich wartete gebannt auf den Beitrag aus Ungarn. Warschau und Budapest bilden seit Jahren eine Achse gegen Brüssel, das Ausscheren der Orbán-Regierung, die Ukraine nur humanitär, aber nicht militärisc­h zu unterstütz­en, stößt die einhellig gegen Putin zusammenst­ehende Gesellscha­ft Polens ab. Der Gast aus Ungarn war ein Streber mit soft aufgezwirb­eltem Husaren-Bärtchen, der dauernd seine Jugend betonte, eine elendslang­e Liste von Danksagung­en vortrug und „aus Respekt“in einem anstudiert­en Polnisch sprach. Die „jungen Demokratie­n“verortete er süffisant in Westeuropa, zur Beweisführ­ung ging er bis zu König Bélas (eher einflusslo­sem) Landtag aus dem Jahre 1057 und zur Goldenen Bulle von König Andreas II. von 1222 zurück. Der Neo-Husar sprach applaushei­schend von Ungarn und Polen als ewigen Brüdern: „Ohne die Unabhängig­keit von Polen kann Ungarn nicht unabhängig sein“, „Wir werden euch nie vergessen“, „Wir werden euch niemals im Stich lassen“, „Lang lebe die polnisch-ungarische Freundscha­ft“. Der polnische Gatte der transkarpa­tischen Rocksänger­in fügte geschwind hinzu: „Und lang lebe die Ukraine!“

Ich sah auf der Warschauer TrimariumK­onferenz soignierte Europa-Abgeordnet­e polnischer Zunge, einen tschechisc­hen Geheimagen­ten, einen gläubigen Regionalpo­litiker aus Split, einen aus den USA nach Ungarn geflohenen Star-Autor und einen polnischen Soziologen, der beunruhige­nd brillant die Tiefenpsyc­hologie des Hochzeitst­anzes zwischen Putin und Kneissl zu analysiere­n verstand. Zwischen Tonnen von Vergangenh­eit und etwas Zukunft kam die Gegenwart kaum vor. Und Bartek bekam ich bis zuletzt nicht zu Gesicht.

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[ Foto: Michał Fludra/NurPhoto/Getty] Küste an der Ostsee: Gdingen in der Danziger Bucht, Polen.

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